Dilxwaz Gabar: Dem Feind nicht die Tür öffnen

Der HPG-Kommandant Dilxwaz Gabar äußert sich im TV-Interview zu den Spezialkriegsmethoden des türkischen Staates gegen das kurdische Volk und geht dabei vor allem auf die Situation in Botan und die Rolle der Jugend ein.

Dilxwaz Gabar, einer der Kommandanten der Volksverteidigungskräfte HPG, hat in einer Sondersendung bei Stêrk TV die Fragen des Journalisten Pirdoğan Kemal beantwortet. Wir veröffentlichen das Interview in gekürzter Form.

Bekanntlich wendet das AKP/MHP-Regime vor allem in den letzten Jahren eine sehr intensive Spezialkriegspolitik gegen die Menschen in Kurdistan an. Ständig wird in den Medien behauptet, dass die Befreiungsbewegung zerschlagen ist. In den kurdischen Bergen und in den Städten finden hingegen ständig Aktionen statt. Wie bewerten Sie als Guerillakommandant die jüngsten Entwicklungen?

AKP und MHP sind als Gruppen des Spezialkriegs eine Koalition eingegangen. Seitdem die AKP 2002 an die Macht gekommen ist, hat Abdullah Öcalan ihr mehrfach Angebote gemacht und dazu aufgerufen, den stattfindenden Krieg zu beenden und Frieden entstehen zu lassen. Die Antwort darauf waren verschiedene Machenschaften und Szenarien. Die Gewalt wurde erhöht und es wurde auf Kollaborateure, Agenten, Kontras gesetzt. Zu diesem Zweck ist auch die Koalition zwischen AKP und MHP entstanden. Als Gegenzug zu den Waffenstillständen hat sie den Krieg angekurbelt, um sich an der Macht zu halten. Es handelt sich um eine Gruppe Banditen, die sich mit Krieg und Blut auf den Beinen hält. Deshalb hat sie erneut den Weg zu einem kurdischen Genozid eingeschlagen. Abdullah Öcalan hat ihr immer wieder Möglichkeiten eingeräumt, weil er die kurdische Frage in der Türkei auf friedlichem Weg lösen wollte. Das wollte die Regierung als Schwachstelle nutzen.

Vor einigen Tagen hat Süleyman Soylu gesagt, dass nur noch 200 Leute übrig sind. Manchmal sagt er 300, manchmal 500 und manchmal spricht er auch von 15.000 Guerillakämpfern. Damit soll die türkische Gesellschaft getäuscht werden. Die türkische Gesellschaft hat jedoch begriffen, dass sie angelogen wird. Langsam werden die Gesichter hinter den Vorhängen sichtbar. Deshalb setzt das Regime auf Gewalt. In den Rathäusern werden Zwangsverwalter eingesetzt, unter dem Oberbegriff „Wächter“ werden bewaffnete Bandenstrukturen aufgebaut. Und ständig heißt es, die PKK sei am Ende. Bereits in den achtziger Jahren wurde gesagt, dass nur noch fünf, sechs oder zehn Personen übrig sind. Die Menschen in der Türkei wissen inzwischen, dass das gelogen ist. Die kurdische Frage hat eine Ebene erreicht, in der sie sich nicht mit Staatsgewalt lösen lässt. Die Kurden lassen sich nicht vernichten. Es wird viel gelogen und immer wieder gibt es eine Zusammenarbeit mit Kollaborateuren und Verrätern. Kollaborateure hat es schon immer in der Geschichte Kurdistans gegeben.

Davon hat der Staat manchmal profitiert. Aber auch damit kann unsere Freiheitsbewegung nicht aufgerieben werden. Der Zeitpunkt ist längst vorbei. Die AKP/MHP-Regierung erlebt in ökonomischer, politischer, militärischer und diplomatischer Hinsicht ihre schwächste Zeit. Sie steht kurz vor dem Zusammenbruch und versucht sich mit einem sehr unethischen Krieg auf den Beinen zu halten. Selbst Kriege unterliegen einer Ethik und bestimmten Regeln. Aber der türkische Staat geht darüber hinweg und greift mit bestialischen Methoden unser Volk und die Guerilla an.

Er vertraut dabei auf seine technologischen Mittel. Seit Beginn des Frühlings hat er jedoch Schläge abbekommen, die ihn in einen Schockzustand versetzt haben. Es ist ganz deutlich geworden, dass seine ganze Technologie nichts nützt, wenn die Guerilla nach der neuen Art und Taktik kämpft. Dann kann er nichts ausrichten. Die ganze Kriegspropaganda ist gelogen. Es wird faktisch von Istanbul bis Serhed gekämpft. Da kann noch so viel psychologische Kriegsführung angewandt werden, die Fakten treten ans Tageslicht. Die Guerilla versetzt dem Feind harte Schläge in Serhed, Botan, den Medya-Verteidigungsgebieten. Selbst in Istanbul kriegt er harte Schläge ab. Das wird noch weitergehen und es zeigt unsere Kampfkraft. Mit unserer neuen Art und Taktik lassen wir den Spezialkrieg und die Technik des Feindes ins Leere laufen. Richtig, das kostet einen Preis, auch wir haben Verluste. Aber was im Rahmen der psychologischen Kriegsführung behauptet wird, ist gelogen. Wenn wir am Ende sind, wer macht dann die ganze Zeit diese Aktionen? Der Staat kann nur noch auf Kollaborateure und Agenten setzen, um etwas zu erreichen.

Er hat keine Kraft mehr, um auf andere Weise Krieg zu führen. Daran glaubt auch niemand mehr, nicht einmal er selbst. Auch innerhalb der Regierung gibt es Probleme. Soylu ist zu einem kritischen Zeitpunkt zurückgetreten, warum hat Erdogan den Rücktritt abgelehnt? Weil es sich um eine Banditengruppe handelt. Das Bündnis zwischen Erdogan, Hakan Fidan, Soylu, Bahçeli beruht auf schmutzigen Machenschaften, deshalb kann Erdogan nicht auf die anderen verzichten. Wenn einer ausbricht, droht der gesamte Schmutz ans Tageslicht zu kommen. Sie stehen kurz vor dem Zusammenbruch. Was glauben sie denn, wie weit sie ihr faschistisches System noch bringen können? Wie weit wollen sie politisch und militärisch noch gehen?

Sie haben von Kollaborateuren und Agenten gesprochen. Diese Politik ist seit dem Osmanischen Reich bis zum türkischen Staat bekannt, insbesondere in den letzten beiden Jahrhunderten. Welchen Einfluss hat diese Politik auf die kurdische Gesellschaft und vor allem auf die Jugend?

Diese Politik ist vor allem auf die Jugend ausgerichtet. Dabei werden Prostitution, Drogen, Spitzelanwerbung und ähnliche unethische Methoden benutzt, um die jungen Menschen von ihrer Realität zu entfremden. Sie sollen unter staatlichen Einfluss gebracht werden. Das ist alles nichts Neues. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass diese Politik von den Osmanen kommt. Sie zeugt vom osmanischen Traum. Die kurdische Jugend soll mit diesen Methoden unschädlich gemacht werden.

Die Politik richtet sich gegen das gesamte kurdische Volk, aber vor allem Botan steht im Fokus, da der Staat weiß, dass Botan eines der Zentren unseres Kampfes ist. In der Region wird aktuell versucht, das Dorfschützersystem zu verstärken. Unter den Jugendlichen wird eine schmutzige Politik gemacht. Aller Schmutz der kapitalistischen Moderne soll in Botan stattfinden. In der Türkei wird gleichzeitig das Wächtersystem weiterentwickelt. Es werden bewaffnete Bandenstrukturen aufgebaut, mit denen die Gesellschaft sich selbst zerstört. Dieser schmutzigen Politik müssen wir Aufmerksamkeit widmen.

Die kurdische Jugend muss das erkennen und entsprechend handeln. Sie muss in der Lage sein, eigene Entscheidungen zu treffen. In dieser Hinsicht kann sie den Geist des Städtewiderstands von 2015 auch 2020 wieder aufleben lassen. Wir haben als Bewegung entschieden, den Faschismus zu zerschlagen. Die kurdischen Jugendlichen müssen an diesem Punkt beharrlich sein. Es gibt jedoch noch viele Schwächen. Es gibt sogar einige, die diese Schwächen hinnehmen und das System für sich selbst akzeptieren. Auf diese Machenschaften sollte niemand hereinfallen. Die kurdische Jugend muss die Realität Erdogans und der AKP/MHP erkennen. Sie respektieren den Willen des kurdischen Volkes nicht. Sie besetzen die Rathäuser mit Zwangsverwaltern. Das haben sie auch schon vor der Wahl gesagt, aber damit konnten sie den Willen des Volkes nicht brechen. Wenn heute Wahlen wären, würde das kurdische Volk erneut seinen Willen zeigen. Deshalb muss die kurdische Jugend entschlossen und mutig sein. Die Jugendlichen können in die Berge kommen und hier Widerstand leisten, sie können aber auch zu Hause und in den Städten Entscheidungen treffen und kämpfen. Dafür gibt es heute viele Beispiele. Diese Praxis wird an vielen Orten umgesetzt.

Als kurdischem Volk und als kurdische Jugend muss uns diese Spezialkriegspolitik bewusst sein. Wir müssen die Politik der Agentenanwerbung erkennen. Mit dem Dorfschützersystem werden die Kurden gegeneinander aufgehetzt. Mit Methoden wie Drogen und Prostitution werden die Jugendlichen zu Fall gebracht. Unser Willen soll gebrochen werden, denn davor fürchtet sich der Feind. Er fürchtet unsere Ideologie und Philosophie. Es wird zwar behauptet, dass die Kurden anerkannt werden, aber akzeptiert werden nur einbetonierte Kurden. Tote Kurden finden Anerkennung.

Also Kurden, die sich in das System integriert lassen… Sie haben von Botan gesprochen. Botan hat sich als Quelle des Kampfes gegen dieses System hervorgetan, die Region ist eine Hochburg des Widerstands. Welche Spezialkriegsmethoden werden hier angewandt?

Vor allem in Botan wird versucht, die Stämme und auch die Familien von Gefallenen für diese schmutzigen Machenschaften zu benutzen. Auch bei den Wahlen im vergangenen Jahr wurde das versucht. Die Bevölkerung von Botan hat in der Geschichte unseres Kampfes immer Widerstand geleistet. Es ist eine heldenhafte Bevölkerung, die niemals einen Schritt zurückgesetzt hat, aller Unterdrückung und Grausamkeit zum Trotz. Jetzt behauptet der Feind, dass er Şirnex [Şırnak] eingenommen hat. Dafür hat er alle seine Mittel eingesetzt. Er hat in Şirnex gewonnen, weil er seine Soldaten, Polizisten und Kollaborateure dorthin gebracht hat. Von der eigentlichen Bevölkerung hat er keine Stimmen bekommen. Das wissen wir, weil wir die Menschen dort kennen. Ich bin selbst aus Botan und ich weiß, welch starken Willen die Menschen haben. Niemand glaubt an die staatliche Propaganda. Es wird jedoch über die Stämme der Mala Beyrê, der Jîrkî und teilweise der Sêgirkî versucht, das Dorfschützersystem auszubauen, die Jugend in schmutzige Angelegenheiten zu verwickeln und so eine Distanz zwischen der Bevölkerung und der Befreiungsbewegung herzustellen. Mit Geld oder Gewalt wird versucht, patriotische Familien zu Agententätigkeiten zu bewegen. Dabei handelt es sich um eine Falle, die unbedingt vermieden werden muss.