„Die kurdische Bevölkerung im Iran soll eingeschüchtert werden"

Der PJAK-Vorsitzende Siamand Moini äußert sich im Interview zur Repressionswelle des iranischen Regimes in Ostkurdistan, den stattfindenden Veränderungen in der Region und zum Regierungswechsel in den USA.

Siamand Moini, Ko-Vorsitzender der „Partei für ein freies Leben in Kurdistan“ (Partiya Jiyana Azad a Kurdistanê - PJAK), hat sich im ANF-Interview zur Repressionswelle des iranischen Regimes in Ostkurdistan (Rojhilat), den stattfindenden Veränderungen in der Region und zum Regierungswechsel in den USA geäußert.

In Rojhilat sind in den vergangenen Wochen zahlreiche Studierende und Aktivist*innen verhaftet worden, die Repression gegen das kurdische Volk hat sich verschärft. Was fürchtet der Iran und was kann gegen diese Angriffe unternommen werden?

Die Verhaftungen von zivilen Aktivistinnen und Aktivisten in der letzten Zeit in Rojhilat führen ein weiteres Mal die feindliche Politik des Regimes vor Augen. Eines der Ziele der iranischen Führung ist es, Angst zwischen den Völkern Kurdistans und des Iran zu erzeugen. Seit Gründung der Islamischen Republik Iran vor über vierzig Jahren dauern die Massaker an den freiheitsliebenden Menschen in Kurdistan an. Die Regierung betrachtet Belutschen, Araber, Turkmenen, Aserbaidschaner und Kurden aus einem chauvinistischen Blickwinkel. Das belutschische, arabische und kurdische Volk hat dafür einen hohen Preis gezahlt. Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen gehören die meisten Menschen, die verhaftet und hingerichtet werden, diesen drei Völkern an. Das zeugt von der chauvinistischen Sichtweise des Regimes im Iran.

Das kurdische Volk muss sich gegen diese Angriffe verteidigen und gegen das Vorgehen des Iran in Kurdistan Position beziehen. Es muss seinen Protest überall deutlich machen und zeigen, dass die kurdische Gesellschaft auf den Beinen ist, weil sie Unterdrückung und Unrecht nicht akzeptiert. Die Menschen sollten die Familien der politischen Gefangenen besuchen und sie in dieser Zeit nicht allein lassen. Das ist eine Methode des Kampfes gegen die Unterdrückung des iranischen Regimes. Wenn die Bevölkerung in organisierter Form protestiert, muss der Staat zurückrudern. Es muss allen bewusst sein, dass das Herrschaftssystem weiter bestehen wird, solange sich die Bevölkerung nicht organisiert. Deshalb müssen sich alle im Sinne des Freiheitsparadigmas organisieren und auf eine Veränderung in der Zukunft vorbereitet sein.

Was bedeutet der Regierungswechsel in den USA für den Iran? Welchen Einfluss wird diese Veränderung auf die Iran-Politik haben?

Die US-Politik zum Iran ist eindeutig. Bis heute ist nichts für einen Machtwechsel im Iran unternommen worden. Weder unter Obama noch unter Trump gab es Projekte dafür. Die USA werden eventuell ihre Iran-Politik ändern und eine Verbesserung der Beziehungen in der Region anstreben, aber das bedeutet nicht, dass die US-Agenda einen Machtwechsel im Iran beinhaltet.

Die Hegemonialstaaten verfolgen ihre eigenen Interessen in der Region. Wir leben in einer Zeit von historischer Bedeutung. Wie sich die Dinge verändern werden, hängt auch von dem Einsatz der Bevölkerung ab. Wenn die Bedeutung dieser Zeit begriffen und dementsprechend gehandelt wird, können in Rojhilat goldene Voraussetzungen entstehen.

Ich gehe davon aus, dass Joe Biden den Druck auf den Iran beibehalten und sogar steigern wird. Der Iran erlebt in der letzten Zeit eine Krise nach der anderen. Das diktatorische Herrschaftssystem hat die Unterstützung großer Teile der Gesellschaft verloren und verliert täglich auf religiöser, politischer und sozialer Ebene immer mehr an Legitimität. Die Bevölkerung des Iran müsste erneut einen Aufstand wie 1999 wagen und die freiheitsliebenden Völker sollten eine wichtige Rolle bei der Veränderung spielen.

Was für eine Position sollte das kurdische Volk in dieser Zeit einnehmen?

Das kurdische Volk sollte sich bereits jetzt auf künftige Veränderungen vorbereiten. Es muss sich weiterentwickeln und mit demokratischen Methoden selbstbestimmte lokale Strukturen und Verteidigungskräfte aufbauen. Wenn das gelingt, entsteht eine historische Gelegenheit. Mit der Politik von vor hundert Jahren kann unser Volk keinen Erfolg erzielen. Deshalb müssen alle kurdischen Wohnviertel in dieser Zeit ihre Rolle erfüllen. Diese Gelegenheit darf nicht verpasst werden, dafür muss gegen die Feinde der Freiheit gekämpft werden.

Die Befreiungsbewegung von Rojhilat hat in der Vergangenheit zwei Deklarationen veröffentlicht. Eine positive Antwort des Iran ist darauf nicht erfolgt. Was wird geschehen, wenn der Iran an seiner Politik der Verleugnung und Vernichtung festhält?

Unsere Bewegung hat sich hinsichtlich einer Lösung der bestehenden Probleme immer für einen Dialog ausgesprochen. Die kurdische Frage in Rojhilat ist ein politisches Problem, das gelöst werden muss. Die Islamische Republik Iran will jedoch keine Lösung und ihr Umgang mit dem kurdischen Volk ist nicht hinnehmbar. Unser Volk befindet sich in dieser Zeit des Wandels in der Region auf der Suche nach Lösungen. Seine Forderungen können nicht länger ignoriert werden. Die freiheitsliebenden Völker akzeptieren die chauvinistische Einstellung des Regimes nicht mehr, sie wehren sich dagegen. Wir glauben, dass ein demokratisches Regierungssystem im Iran nützlich wäre und die gesamte Region demokratisieren könnte.

Wie läuft die Offensive „Zeit für Freiheit“ in Rojhilat? Wie reagieren die Bevölkerung und die Politik in Rojhilat und im Iran darauf?

Die Gesellschaft ist immer lebendig und sucht nach Freiheit. Diktatorische Staaten und reaktionäre Systeme behindern die Bevölkerung und schaffen Konflikte. Daher herrscht zwischen der Gesellschaft und den Machthabenden immer Krieg. Die Bevölkerung will Freiheit und ist dafür zu Opfern bereit. Diktatorische Regierungen schützen immer nur die Interessen eines Teils der Gesellschaft. Sie haben schon oft angesichts von Protesten aus der Bevölkerung zurückrudern müssen. Regierungen, die sich vor dem Willen des Volkes fürchten, setzen auf verschiedene Methoden, diesen Willen zu brechen.

In der letzten Zeit hat das iranische Regime eine große Angriffswelle gegen zivile Aktivistinnen und Aktivisten gestartet. Hunderte Menschen sind festgenommen und verhaftet worden. Mit den Verhaftungen soll verhindert werden, dass sich eine gesellschaftliche Avantgarde organisiert. Die Menschen sollen eingeschüchtert werden. Die Machthabenden fürchten den Kampf für Freiheit und wollen diese Bewegung unter Kontrolle bringen. Ich kann dazu nur sagen, dass kein System sich lange Zeit mit Mord und Terrorisierung der Gesellschaft an der Macht halten kann. In dem Ausmaß, in dem sich die Bevölkerung von Rojhilat organisiert, kann sie der Regierung Einhalt gebieten und der Freiheit näher kommen.