Die historischen Verbindungen der BRD zum türkischen Faschismus

Der organisierte türkische Faschismus in Deutschland ist seit den 1970er Jahren aktiver Bestandteil der organisierten Kriminalität. Diese reicht von Drogen- und Waffenhandel über Hassverbrechen bis hin zu Mord.

Mit dem Militärputsch vom 12. September 1980 und der Installierung der Junta unter General Kenan Evren begann ein „goldenes Zeitalter“ für den türkischen Rechtsextremismus. Damit erhielten die rassistischen und nationalistischen Gruppen mit Türkei-Bezug in Deutschland massive Unterstützung. Mit dieser staatlichen Hilfe nahmen die Angriffe auf linke, sozialistische Strukturen innerhalb der türkischen und kurdischen Community in Deutschland zu. Während in der Türkei die Militärdiktatur wütete, wurde Putschistenführer Evren in Bonn auf dem Roten Teppich empfangen.

Trotz Massenfestnahmen und systematischer Folter durch die türkische Junta sah es auch die Europäische Gemeinschaft nicht als notwendig an, die Beziehungen zum Regime in Ankara einzuschränken. Diese Haltung, die damals eng mit der Positionierung der Türkei als Frontstaat im Kalten Krieg zusammenhing, wird auch heute unter anderem unter dem Vorzeichen der Abschottungspolitik der EU fortgesetzt. Insbesondere Deutschland ist in seiner historischen Verbindung mit dem Osmanischen Reich und der Türkei als treibende protürkische Kraft aktiv. Eine Erklärung der Bundesregierung vom 16. September 1980 kurz nach dem Militärputsch steht symptomatisch für diese bis heute andauernde Politik: „Bestehende Abkommen werden nicht ausgesetzt, weil die Militärverwaltung so schnell wie möglich zur Demokratie zurückkehren wird und Ankara die Achtung der Menschenrechte garantiert hat.“

Mit dieser Erklärung des Westens wurde dem Putschregime de facto grünes Licht für den Staatsterror in der Türkei und in Nordkurdistan gegeben. Nach dem Putsch wurden etwa 650.000 Menschen festgenommen, viele verschwanden einfach. Die Junta praktizierte Folterungen und Morde, Zehntausende mussten ins Exil gehen. Die Regierungen der EG-Staaten beschränkten sich derweil darauf zu fordern, den „Fahrplan für einen Übergang in die Demokratie“ bekannt zu machen, die „Sicherheit von Politikern zu gewährleisten“ und „Freiheitsrechte zu priorisieren“. Das Regime in der Türkei war sich der geringen Ernsthaftigkeit dieser Appelle bewusst und blieb ohne Konsequenzen tragen zu müssen beim offenen Faschismus.

Deutschland springt den Putschisten bei

Die vor dem Putsch zwischen Ankara und Brüssel unterzeichneten Finanzabkommen wurden nach dem 12. September nacheinander umgesetzt, während der Europarat 1981 beschloss, der Türkei Darlehen und Finanzhilfe in Höhe von 600 Millionen ECU (die damals eingeführte europäische Währung) zu gewähren. Als auf Druck von EG-Abgeordneten im März 1982 doch die Kooperation mit der Türkei unterbrochen werden musste, sprang Deutschland für die Türkei in die Bresche.

So kommt es nicht von ungefähr, dass der erste westliche Staatsvertreter, der die Militärjunta besuchte, der deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) war. Damit gab die Bundesrepublik der Militärdiktatur am 5. November 1981 die offizielle Anerkennung. Trotz Protest der deutschen Öffentlichkeit war die Bundesregierung entschlossen, die Beziehungen zum Putschregime aufrechtzuerhalten und auszubauen.

Bundesregierung lieferte Geflüchtete an Ankara aus

Die Bundesregierung war über die Genfer-Flüchtlingskonvention hinwegzugehen bereit und begann 1983 mit Hilfe des Bundesnachrichtendienst (BND), politische Flüchtlinge aus der Türkei und Nordkurdistan, die in Deutschland Asyl beantragt hatten, regelmäßig nach Ankara zurückzuschieben. Bereits im Dezember 1982 war bekannt geworden, dass der BND kurdische und türkische Geflüchtete erfasste und ihre Namen dem türkischen Geheimdienst MIT mitteilte. Dieser Skandal kam im Rahmen eines Asylverfahrens vor dem Verwaltungsgericht Berlin ans Licht.

Die Achse Kohl-Evren

Die 1982 antretende CDU/CSU-Regierung unter Kanzler Helmut Kohl, die für die nächsten 15 Jahre die Politik in Deutschland beherrschen sollt, vertiefte die Beziehungen zum Putschregime noch weiter. Im Jahr 1985 besuchte zuerst Kohl die türkische Hauptstadt. Im folgenden Jahr logierte dann Bundespräsident Richard von Weizsäcker bei der Junta und ließ sich vom Evren-Regime den Atatürk-Orden verleihen. Im Oktober 1988 wurde der türkische General von Weizsäcker auf dem Roten Teppich in Bonn empfangen.

Weizsäcker schwieg zu Mord und Folter und bedauerte Eierwürfe auf Evren

Als Evren türkische Nationalisten und Faschisten begrüßen wollte, die sich vor dem Bonner Rathaus versammelt hatten, rief ihm eine Gruppe Aktivist:innen „Hau ab, Faschist“ entgegen. Einer warf mit Eiern – und traf. Die deutsche Polizei nahm die Protestierenden daraufhin unter Gewaltanwendung fest. Weizsäcker erklärte dazu gegenüber Evren: „Ihr Besuch unterstreicht den herausragenden Rang, den unsere beiden Länder der deutsch-türkischen Freundschaft zuerkennen. Erlauben Sie mir hier, Ihnen meine Entschuldigung für das ungebührliche Verhalten eines Unbekannten heute Nachmittag vor dem Rathaus auszusprechen. Ich bedaure es lebhaft und versichere Ihnen, dass sich weder das deutsche Volk noch unsere türkischen Mitbürger von einem solchen Außenseiter in Ihrem Willen zum guten Zusammenleben und zur Unterstützung der freundschaftlichen Zusammenarbeit, der sie durch Ihren uns hocherfreuenden Besuch persönlich den besten Ausdruck verleihen, beeinflussen und beirren lassen werden.“ Zur Militärhilfe für die Putschisten fügt er an: „Unsere Verteidigungshilfe für Ihr Land betrachten wir daher auch als einen Beitrag zur Stärkung des Bündnisses und seiner Solidarität in der Verteidigung der Werte, die seine Grundlage bilden.“ Bevor Evren Deutschland verließ, bekam er von Weizsäcker persönlich noch den Verdienstorden der Bundesrepublik angesteckt. Die Verleihung des Ordens wurde aus Furcht vor einem Skandal längere Zeit von der Bundesregierung geheim gehalten.

Auftragsmörder und Mafiabosse gehen in Deutschland ein und aus

Während Kenan Evren den Verdienstorden erhielt, baute der MIT gemeinsam mit faschistischen Gruppen ein Netzwerk von nationalistischen Vereinen und Moscheen auf. Enver Altaylı, der nach dem Putschversuch am 15. Juli 2016 in der Türkei verhaftet wurde und viele Jahre für den MIT und die CIA gearbeitet hatte, war damals zum Hauptverantwortlichen der MHP in Deutschland ernannt worden. Altaylı selbst war damit als rechte Hand des Faschistenführers Alparslan Türkeş zum Oberhaupt der türkisch-faschistischen Struktur in Deutschland avanciert.

Nach dem offiziellen Ende der Militärjunta Ende 1989 zogen sich einige in der Türkei per Haftbefehl gesuchte Paramilitärs und Auftragskiller der MHP nach Deutschland zurück und wurden zum Teil der faschistischen Organisierung dort. Mehmet Ali Ağca, der Mörder des Journalisten Abdi Ipekçi und Papstattentäter, war einer von ihnen. Er verbrachte lange Zeit in Deutschland, bevor er gefasst wurde. Obwohl immer wieder bei der deutschen Polizei Anzeige zum Aufenthalt des wegen Doppelmordes gesuchten Ağca erstattet worden war, ignorierte die Behörde jeglichen Hinweis. Der Faschistenführer Abdullah Çatlı, der beim Unfall in Susurluk ums Leben kam, reiste ebenfalls immer wieder nach Deutschland. Einigen Quellen zufolge wurde der mit einer Red Notice von Interpol gesuchte rechtsextreme Mafiaboss in Deutschland festgenommen, aber auf Intervention des BND freigelassen.

MHP-Killer in Vereinsvorständen

Ein weiterer faschistischer Killer, der in Deutschland einen sicheren Hafen gefunden hatte, war Ethem Kıskıs. Die wahre Identität von Ethem Kıskıs, der viele Jahre lang einer der Führer der türkischen faschistischen Organisierung in Europa war, wurde erst nach seinem Tod im Jahr 2020 bekannt gegeben. Kıskıs, der viele Jahre unter dem Namen „Hıdır“ in Frankfurt am Main lebte und ein Reisebüro betrieb, gehörte zu den Tätern des „Balgat-Massakers“ in Ankara. Am 10. August 1978 hatten Faschisten drei Cafés im Regierungsviertel Çankaya, in denen sich Linke trafen, mit Schusswaffen angegriffen. Fünf Menschen wurden getötet, vierzehn weitere verletzt. Den Befehl zu dem Massaker hatte Abdullah Çatlı gegeben. Nach seiner Ankunft in Deutschland wechselte Kıskıs seine Identität und lebte ohne jegliche Probleme als Führer faschistischer Strukturen. Er errichtete unter anderem sogar „Wehrsportlager“, in denen Konterguerillataktiken trainiert wurden. So berichtete die Stuttgarter Zeitung am 11. Dezember 1980, dass MHP-Mitglieder in der Schwäbischen Alb in Baden-Württemberg ein militärisches Trainingslager für 16 bis 18-köpfige Gruppen eingerichtet hätten.

Die Spaltungen der MHP in den 80er Jahren wirkten sich auch auf die Strukturen in Deutschland aus. Die 1987 gegründete Europäische Türkisch-Islamische Kulturunion (ATİB) unter der Leitung von Musa Serdar Çelebi, einem der Vorsitzenden der Türkischen Föderation, der im Verfahren zum Papstattentat gemeinsam mit Ağca vor Gericht gestanden hatte, wurde nach der ADÜTDF zur zweitgrößten Dachorganisation türkischer Faschisten in Deutschland.  Auch die faschistische Große Einheitspartei (BBP), deren Führung unter anderem in das Pogrom von Maraş im Jahr 1978, bei dem hunderte alevitische Kurd:innen ermordet worden waren, verwickelt war, organisierte sich ab 1994 in Deutschland. Die BBP begann hier als Avrupa Türk Kültür Birliği (ATB) aufzutreten.

Mit dem Ausbau des Netzwerks faschistischer Organisationen in Deutschland erweiterte der türkische Geheimdienst ab der zweiten Hälfte der 1980er Jahre sein Spionagenetzwerk. Im April 1990 wurden 30 MIT-Agenten mit Diplomatenstatus in dreizehn türkischen Konsulaten in Deutschland und der Botschaft in Bonn beschäftigt. Ihre Dokumente wurden von mehreren großen Zeitungen in Deutschland veröffentlicht. Das Netzwerk, das der türkische Geheimdienst In den späten 80ern aufgebaut hatte, bestand aber nicht nur aus MIT-Agenten. Es gab auch Hunderte mit ihnen verbundene Informant:innen, die sich über ganz Deutschland verteilten. Die Staatsanwaltschaften in Stuttgart und Hamburg hatten Ermittlungen gegen 15 identifizierte Personen eingeleitet, aber die Verfahren wurden nach jahrelanger Verzögerung eingestellt.

Drogenhandelsnetzwerk mit Verbindung zu Tansu Çiller in Deutschland aktiv

Als Tansu Çiller, ebenfalls eine Rechtsextreme, das Amt der Ministerpräsidentin 1993 in Ankara antrat, wurden die Netzwerke der organisierten Kriminalität in Deutschland weiter ausgebaut. Çiller unternahm im September 1993 eine ihrer ersten Auslandsreisen nach Deutschland. Ihr Ziel war es damit, Druck für ein Verbot der kurdischen Freiheitsbewegung in der Bundesrepublik zu bewirken und jegliche kurdische Vereinsarbeit damit zu vernichten.

Insbesondere deutsche Politiker, die als Vorreiter des PKK-Verbots berüchtigt sind, fielen ebenfalls durch enge Verbindungen ins türkisch-faschistische Milieu auf. Prominentes Beispiel hierfür war der Bayerische Innenminister Günther Beckstein. Der CSU-Politiker trat häufig bei Veranstaltungen, Tagungen und Kongressen des MHP-Dachverbandes ADÜTDF auf.

Am 13. November 1996 erschien in der Özgür Politika ein Bericht unter dem Titel „Die Çiller-Bande“, die sich mit dem Unfall von Susurluk [1996 verunfallte Istanbuls Polizeipräsident im gleichen Wagen mit einem rechtsextremen Drogenhändler und Auftragsmörder und einem Anführer der Konterguerilla] beschäftigte. Auf der Titelseite der Zeitung wurden Aufnahmen von einem Treffen zwischen Özer Çiller, Ehemann der Ministerpräsidenten, dem Medienmagnat Aydın Doğan, dem pensionierten Marinekommandant Orhan Karabulut, dem wegen Heroin- und Waffenschmuggel gesuchten Hüseyin Duman und dem rechtsextremen Mafiaboss Alattin Çakıcı gezeigt. Dieses Foto war am 26. Mai 1996 in einem Hotel in Baden-Baden aufgenommen worden und stellt einen konkreten Beweis für die schmutzigen Geschäfte türkischer rechtsextremer Mafiabanden in Deutschland zu dieser Zeit dar.

Im September und Oktober 1996 zerschlug die Frankfurter Polizei einen türkischen Heroinring. Die Beamten verhafteten 11 türkische Staatsbürger, die meisten von ihnen Mitglieder nationalistischer Gruppen, und erstellten eine detaillierte Aufschlüsselung darüber, wie Heroin von den sogenannten „idealistischen“ Gruppen und türkischen Staatsvertretern nach Deutschland geschmuggelt wurde. In seinem Urteil Anfang 1997 wies der Richter in Frankfurt direkt auf die türkische Ministerpräsidentin Tansu Çiller hin. Nach dem Urteil wurde der Fall jedoch wegen „angespannter Beziehungen“ zu Ankara eingestellt.

Bereits vor Çiller und Ağar, in den 70ern und 80er Jahren, dominierten Führungspersonen aus der MHP den Heroinhandel in Deutschland und Europa. So wurde der MHP-Senator Kudret Bayhan 1972 an der italienisch-französischen Grenze mit 146 Kilogramm Heroin erwischt. Dies ist nur ein Beispiel von vielen. Bayhan, der zusammen mit seinem Fahrer in Nizza festgenommen worden war, wurde zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt, aber nach zehm Jahren Haft an die Türkei ausgeliefert. Halit Kahraman, ein ehemaliger Abgeordneter aus Amed (tr. Diyarbakır), der 1973 über die Liste der Nationalen Heilspartei (MSP) gewählt wurde, aber enge Verbindungen zur MHP hatte, wurde im Oktober 1978 ebenfalls auf frischer Tat ertappt, als er versuchte, Heroin in Deutschland zu verkaufen. Er saß deshalb sieben Jahre im Gefängnis. 

Faschistische Morde von den 70ern bis in die 90er

Türkische faschistische Gruppen haben in Deutschland zwischen 1970 und 1990 eine ganze Reihe von Hassverbrechen gegen verschiedenste Gruppen, vor allem Kurd:innen, Armenier:innen und Jüd:innen, begangen. Trotz dieser Verbrechen, die von Drogenhandel über Mord, bis hin zum Waffenschmuggel reichen, wurden keine Bemühungen für ein Verbot dieser Strukturen von Seiten des deutschen Staats unternommen. Im Gegensatz dazu verbot die Bundesregierung die PKK im Zuge der heftigen Proteste der kurdischen Exil-Community, nachdem die türkische Armee die Stadt Licê niedergebrannt und ein Massaker verübt hatte. Zuvor war bei einem Brand in einem Lokal in Wiesbaden eine Person gestorben. Dieses Ereignis wurde als Vorwand genommen, um die PKK und fast alle kurdischen Vereine in Deutschland zu schließen.

Während die türkischen Faschisten in den 70er und 80er Jahren vor allem Sozialist:innen aus der Türkei angriffen, gerieten in den 90er Jahren vor allem kurdische Aktivist:innen ins Visier. Eine kurze Chronologie einer Auswahl von Morden macht das deutlich:

5. Mai 1974: Neşet Danış, ein 30-jähriger Forstingenieur und bekannter Intellektueller, wird während der Wahl zum Kongress des Türkischen Arbeiterverbandes Hamburg von MHP-Faschisten totgeprügelt. Er wird ins Krankenhaus gebracht und stirbt zwei Wochen später.

5. Januar 1980: Celalettin Kesim, ein 36-jähriger sozialistischer Gewerkschafter, wird bei einem Angriff von MHP-Faschisten in Berlin-Kreuzberg ermordet, als er Flugblätter verteilt.

31. Dezember 1994: Die TKP/ML-TIKKO-Mitglieder Nurettin Topuz, Mustafa Akgün und Mustafa Aksakal werden von einem MHP-Faschisten in einem Café in Germersheim in Rheinland-Pfalz erschossen. Der MIT-Agent, dessen Identität lange Zeit verborgen bleibt und der nach seiner Festnahme durch das Gericht freigelassen wird, war zuvor Mitglied einer „Anti-Terroreinheit“ in der türkischen Stadt Yozgat.

3. September 1995: Der kurdische Teenager Seyfettin Kalan wird von einer Gruppe türkischer Faschisten in Neumünster getötet. Kurz darauf beginnt eine Welle von Lynchmorden und Angriffen durch die MHP. Kurdische Einrichtungen in Ulm, Bielefeld und Mülheim werden niedergebrannt. Der Mörder, ein Mitglied der faschistischen Gruppe, die Kalan erschossen und zwei Teenager verletzt hat, wird nur wegen des Tragens einer Waffe ohne Erlaubnis verurteilt und wenig später freigelassen.

3. Januar 1997: Ercan Alkaya, Mitglied des Alevitischen Kulturvereins in Kiel, wird durch Kugeln türkischer Faschisten getötet.

4. Juli 1999: Erol Ispir wird von MHP-Faschisten ermordet, während er in der Zentrale des linken Migrantenverbands AGIF Wache steht.