Die Regionalmächte Syrien, Iran und die Türkei wie auch die von ihnen unterstützten Milizen stürzten Syrien in ein blutiges Chaos und trieben Millionen von Menschen in die Flucht. Trotz der Massaker und der Vertreibungen ließen viele Menschen jedoch nicht von ihrer Hoffnung ab und kamen in Nordsyrien unter dem Vorzeichen der Demokratie zusammen und errichteten ein gemeinsames Leben im Rahmen des Projektes der Demokratischen Nation.
Im dritten und letzten Teil des ANHA-Dossiers werden die Offensiven zu Befreiung von Raqqa und Dêra Zor skizziert und ein Schwerpunkt auf den darauffolgenden gesellschaftlichen Aufbau gelegt. Die Erfahrung mit der Demokratisch-Autonomen Selbstverwaltung half bei der Organisierung einer demokratischen Struktur in den befreiten Gebieten entscheidend mit.
Das Volk von Raqqa hat einen großen Sieg errungen
Nachdem der Islamische Staat (IS) wichtige politische, militärische und logistische Zentren – wie Minbic – eins nach dem anderen verlor, konzentrierte er seine ganze Kraft in der Region auf Raqqa. In Anbetracht dieser Situation beteiligten sich viele junge Menschen aus Raqqa an der Befreiungsoffensive der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD). Die Befreiungsoffensive „Zorn des Euphrat“ begann auf Forderung der Bevölkerung von Raqqa am 6. November 2016.
Diese Offensive der QSD machte in kurzer Zeit große Fortschritte und konnte schon in ihrer ersten Phase die im Norden von Raqqa gelegenen Dörfer und Til El-Semin vom IS befreien. Daraufhin fand am 17. Januar 2017 ein Treffen mit Führungspersönlichkeiten und Intellektuellen von Raqqa und den Demokratischen Kräfte Syriens statt, auf dem verkündet wurde, dass man die materielle und moralische Unterstützung der QSD bei der Befreiung der Region steigern werde.
Im Mai vergangenen Jahres wurde dann die Stadt Tabqa und der zu ihr gehörige Staudamm befreit. Um ihre Rückkehr, den Wiederaufbau und ein demokratisches Leben zu organisieren, gründeten die Einwohner*innen am 15. Mai 2017 den Demokratischen Zivilen Leitungsrat von Tabqa. Die Stämme der Region, ebenso wie die Führungspersönlichkeiten und die Intellektuellen kamen in diesem Rat zusammen und auch die Jugend und die Frauen begannen, in der Selbstverwaltung zu partizipieren. Nach der Gründung des Rates fand eine gesellschaftliche und sicherheitstechnische Organisierung statt, die den Bereich der Dienstleistungen betraf. In Folge dessen baute die Bevölkerung von Tabqa im November die zivile Selbstverwaltung von Tabqa auf.
Die Bevölkerung von Raqqa bestimmt zum ersten Mal in der Geschichte Syriens ihre eigene Führung selbst
Die Offensive zur Befreiung von Raqqa rückte weiter vor. Die Bevölkerung begann schon vor der Befreiung des Stadtzentrums mit den Organisierungsarbeiten. So gründeten Flüchtlinge aus Raqqa schon im April 2017 den Zivilen Leitungsrat. Da der IS Raqqa zur Hauptstadt seines Kalifats gemacht hatte, stieß die Gründung des Zivilrats von Raqqa auf großes internationales Interesse. An dem Rat nahmen Vertreter*innen aller Völker der Region, Meinungsführer und Stämme unter dem Primat der Geschwisterlichkeit und des friedlichen Zusammenlebens teil.
Dêra Zor wird befreit
In den vergangen fünf Kriegsjahren wurden in der Region viele verschiedene militärische Einheiten und Brigaden gegründet. Diese militärischen Strukturen stellten ein wichtiges Standbein dar, um das Ausmerzen der Völker der Region zu verhindern und sich gegen die Besatzer zu verteidigen. Nach der Befreiung von Raqqa wandte sich die Operation nach Dêra Zor. Die Offensive auf Dêra Zor fand mit der Unterstützung von Tausenden Menschen aus der Region, die sich den QSD anschlossen, statt. Unter dem Dach der QSD wurde dementsprechend der Militärrat von Dêra Zor gegründet.
Mit der Ausrufung der Befreiungsoffensive „Gewittersturm Cizîrê“ am 9. September 2017 schlossen sich Tausende junge Menschen aus der Region Dêra Zor den QSD sowie dem Militärrat an. Auch die Stämme organisierten Brigaden, um an der Befreiung der Region mitzuwirken.
Im Rahmen dieser Offensive wurde ein großer Teil von Dêra Zor von der IS-Herrschaft befreit. Erst die Türkei verschaffte dem kurz vor seinem Ende stehenden IS durch ihren Angriff auf Efrîn eine Atempause. Nachdem die Kampagne wieder aufgenommen worden war, wurde der IS in einem kleinen Gebiet an der syrische-irakischen Grenze eingeschlossen.
Der Zivilrat von Dêra Zor wurde zur entschlossensten Antwort auf das Herrschaftssystem
Durch die Unterdrückung und Grausamkeit des baathistischen Staates und die sich selbst als Opposition darstellenden Milizen wurde das Mosaik der verschiedenen ethnischen und religiösen Identitäten in Dêra Zor fast vernichtet. Mit der Befreiung der Stadt durch die QSD und nach dem auf Initiative des Militärrats aufgebauten Zivilrat, begann ein neues Leben in der Stadt. Der Zivilrat von Dêra Zor schloss Vertreter*innen der Stämme, Meinungsführer*innen und Intellektuelle ein. Durch diesen Rat begann nun die Bevölkerung der Region, die jahrelang nichts anderes als Unterdrückung und Grausamkeit erfahren hatte, Stück für Stück ein neues Leben aufzubauen. Nach der Gründung des Rates unter Zusammenwirken der Völker der Region wurden zwischen der Umgebung von Tabqa und dem Norden von Dêra Zor 200 Kommunen gegründet. In diesen Regionen wurden nach langer Zeit zum ersten Mal wieder die Schulen geöffnet. So veränderten die Menschen aus der Region ihr eigenes Schicksal.
ANHA | ALAN ROJ