Besatzung und der Widerstand gegen Schutzschild Euphrat – Teil 1

In Dêra Zor und Raqqa spielen Stammesverbände in den politischen und gesellschaftlichen Bewegungen eine wichtige Rolle. Das Baath-Regime und die oppositionellen Gruppen missachteten die Besonderheiten der kulturellen und sozialen Struktur der Bevölkerung.

Mit der Gründung der Demokratischen Kräften Syriens (QSD) schlossen sich Hunderte junge Menschen aus den Stämmen den QSD an. Ein großer Teil der östlichen Region wurde aus den Händen der Dschihadisten befreit; unter den Menschen in der Region wurde die Hoffnung auf Demokratie, friedliches Zusammenleben der Bevölkerung der Region und eine gute Zukunft von neuem belebt. In diesem dreiteiligen Dossier, das von der Nachrichtenagentur ANHA veröffentlicht wurde, werden die Entwicklungen in der Region seit Beginn der Revolution in Syrien, das Chaos, die Massaker, die ethnischen Säuberung, die Solidarität der Stämme und verschiedener Komponenten der Gesellschaft mit den QSD bei der Befreiung der Region dargestellt.

Wenn man sich die gesellschaftlichen Beziehungsnetzwerke in Raqqa und Dêra Zor vor Augen führt, dann kommt man zu dem Schluss, dass es sich bei den Stämmen um tragende Pfeiler der Gesellschaft handelt. Die Stämme haben einen bis heute fortdauernden Einfluss auf die Beziehungen in der Gesellschaft und sind zu einem entscheidenden Faktor in der syrischen Politik und im Krieg geworden.

Der Einfluss der Stämme in Dêra Zor und Raqqa auf die Entwicklungen in der Region dauert ungebrochen an. Das Leben unter der Bevölkerung verläuft noch immer schwerpunktmäßig entlang ihrer Zugehörigkeit zu den Stämmen.

Der baathistische Staat und die sich selbst als oppositionel bezeichnenden Gruppen gingen mit dem kulturellen Erbe der Stämme in der Region respektlos um und haben ihnen keine Rolle bei der Verteidigung und Entwicklung der Region beigemessen. Im Gegenteil, sie benutzten die Stämme als Werkzeuge für ihre eigenen Interessen.

Die Stammespolitik des Staates: Hunger und Bildungsmangel

Die Situation im Osten von Syrien und die des kurdischen Volkes oder der Völker, die in Rojava/Nordsyrien leben, unterscheidet sich kaum. Auch im Osten von Syrien versuchte man die Kultur, die Gesellschaft einzuschränken und die Bevölkerung der Region von Bildung fernzuhalten. Des weiteren wurde die gesamte Region permanent in Armut und Hunger gehalten. Die Stämme wurden vom Staat, wie auch der Opposition, als „Soldaten“ betrachtet und man versuchte, über einige wenige Personen die Gebiete zu kontrollieren und sie gegeneinander auszuspielen.

Die baathistische Regierung zeigte keinen Respekt für die ansässigen Stämme und ihr einzigartiges Selbstverständnis. Sie hat auch nichts unternommen, um sie vor ihrer kulturellen physischen Auslöschung zu schützen und ihnen Unterstützung und Bildung zukommen zu lassen. Der Staat benutzte die Stämme im Gegenteil ausschließlich als Mittel, um seine Herrschaft zu halten.

Der syrische Staat hat bewusst verhindert, dass die Stämme ihrer Natur entsprechend gute Verbindungen untereinander und in die Gesellschaft pflegen, im Gegenteil, hat er sie immer wieder gegeneinander ausgespielt. Dadurch konnte die Entwicklung eines gemeinsamen und organisierten Zusammenlebens der Völker verhindert werden. Der Staat versprach einigen Vertretern der Stämme Sitze im Parlament und hielt auf diese Weise die Region unter seiner Kontrolle.

In Raqqa und Dêra Zor zielte der syrische Staat vor allem auch darauf ab, eine Vereinigung der arabischen und kurdischen Bevölkerung zu verhindern und versuchte permanent ethnischen Konflikten eine Grundlage zu geben. Diese Politik der Aufhetzung führte zu Massakern und Kämpfen wie 2004 bei einem Fußballspiel in Qamişlo. Ebenso im Jahr 2010 wurde bei einer Newroz-Feier in Raqqa ein Massaker an der kurdischen Bevölkerung verübt.

Aufgrund der Politik der Unterentwicklung von Dêra Zor und Raqqa wurde die Region zur im Bildungsbereich am weitesten zurückgebliebenen von ganz Syrien. Zuletzt hatte der syrische Staat dort die qualitativ sehr schlechte Firat Universität eröffnet.

Obwohl in der Region Dêra Zor landwirtschaftliche Flächen von unendlicher Weite und reiche Ölquellen liegen, wurden die Stämme und die Regionalbevölkerung bewusst arm gehalten. Die Bodenschätze und die landwirtschaftlichen Produkte wurden vollständig vom baathistischen Staat von dort abgeführt. Das Staatssystem sah nicht vor, die Bevölkerung auch im Arbeitsbereich auszubilden. Regiert wurde aus den dortigen Militärbasen heraus.

Die Pläne des baathistischen Staates und der Opposition haben die Region in ein Schlachthaus verwandelt

Die Jugendlichen in Dêra Zor und Raqqa begannen unter dem Einfluss des Frühlings der Völker im April 2011 mit Protesten und Aktionen. Der Staat reagierte mit brutaler Repression gegen die Aktionen der Bevölkerung und es kam zu regelrechten Massakern. Direkt nach den schweren Angriffen begannen Dschihadistengruppen in der Region aufzutauchen. Diese Gruppen wurden insbesondere vom türkischen Staat, der die Region unter seine Kontrolle bekommen wollte, aber auch von anderen Staaten und Kräften, unterstützt und gestärkt.

So hat zum Beispiel die Arbeit von Ebû Mihemed El-Colanî den Grundstein für die Präsenz der von der Türkei unterstützten dschihadistischen Al-Nusra-Front gelegt. Daraufhin wurden in der Region Filialen von El-Qehqah, Ahrar al-Şam und zuletzt des IS gegründet und als konterrevolutionäre Kräfte eingesetzt.

Diese Gruppen haben unter der Leitung des türkischen Geheimdiensts Serê Kaniyê angegriffen und wollten damit einen gesellschaftlichen Bruch schaffen. Die Milizen waren mit der Motivation gegründet worden, den Krieg in der Region zu vertiefen. Sie brachten die Bevölkerung gegeneinander auf und machten die Anführer der Stämme wirkungslos. Die gerechte Forderung der Bevölkerung nach Revolution wurden auf diese Weise in einen Krieg voller Massaker verwandelt.

Die Türkei wollte einen Rat gründen, um die Milizen der Region unter einem, an sie gebundenen Dach, zu vereinen. Alle Treffen zur Gründung dieses Rates fanden in verschiedenen Städten in der Türkei statt.

Der Schrecken begann die Region zu beherrschen

Der syrische Staat, und danach die sich selbst als Oppositionelle gerierenden Milizen, haben die Region mit ihrer Respektlosigkeit gegenüber den Traditionen und Kulturen der Stämme, der gezielten Verarmung der Region und ihrer allein auf den eigenen Vorteil bedachten Politik, in einen See aus Blut verwandelt.

Es tauchten Praktiken wie Enthauptungen, Folter, Ertränken, von hohen Gebäuden werfen und andere unbeschreibliche Handlungen auf. Die Bevölkerung wurde entweder gezwungen die Region zu verlassen, oder für Milizen zwangsrekrutiert zu werden. All dies wurde von Gruppen, die in jeder Hinsicht vom türkischen Staat unterstützt wurden, umgesetzt.

An der Bevölkerung der Region und den Stämmen wurden mindestens 50 Massaker begangen. Das schwerste richtete sich gegen den Stamm El-Şihêtat im Jahr 2014. Bei dem Massaker wurden 1200 Stammesmitglieder, vorwiegend Frauen und Kinder, grausam ermordet. Im Juli 2016 wurden auch in den Dörfern Hetla, Salihiyê und Ebû Hemam schwere Massaker gegen die Bevölkerung verübt. Die Bevölkerung und die Stämme der Region hatten die Folgen der vom türkischen Staat unterstützten Milizen zu tragen.

ANHA | ALAN ROJ