Erinnern wir uns an den Beginn des Syrienkrieges, so fing alles mit einem Aufstand gegen die Unterdrückung und Grausamkeit des syrischen Staates an. Schnell schalteten sich aber Regionalmächte wie der türkische Staat, der selbst durch seine gesamte Geschichte für Massaker an der kurdischen, arabischen und armenischen Bevölkerung verantwortlich ist, ein. Gruppen, die sich selbst als Teil dieser Opposition darstellten, verwandelten die Region mit Unterstützung des türkischen Staates in ein Schlachthaus. Direkt nach dem Beginn der durch die Türkei und ihre Milizen begangenen Massakern, begann der Iran die Lage zu nutzen, indem er versuchte, die Demografie der Region zu verändern und einen schiitischen Gürtel zu errichten.
Der zweite Teil des von der Nachrichtenagentur ANHA erstellten Dossiers zur Region „Schutzschild Euphrat“, beschäftigt sich mit der Ausnutzung der legitimen Forderung der Bevölkerung Syriens nach einer Revolution durch die Türkei. Die Türkei versucht, diese Revolution im Sinne ihrer ökonomischen und nationalistischen Interessen zu benutzen. Auch der Iran begann den Syrienkrieg als Mittel seiner Interessenspolitik wahrzunehmen und ebenfalls zu nutzen.
Die Rolle der Türkei als Terrorunterstützerin
Die Türkei fing schon kurz nach Beginn der Revolution in Syrien damit an, diese in ihrem Interesse zu instrumentalisieren. Sie arbeitete durch die Unterstützung der Freien Syrische Armee (FSA), unter dem Vorwand den syrischen Diktator stürzen zu wollen, an der de facto Besetzung der Region.
Nachdem die US-Armee 2003 Saddam Hussein im Irak gestürzt hatte, begann die Türkei radikalen Gruppen in der Region im Namen des „Dschihad“ Unterstützung zu leisten. Die Türkei half den Al-Qaida-Gruppen im Irak durch Rekrutierung einiger Jugendlicher in Dêra Zor und Raqqa. Einer dieser Jugendlichen war Ebû Mihemed El-Colanî, der heute Kopf der von der Türkei mit allen Mitteln unterstützten Al-Nusra-Front ist.
Die radikalen Gruppen sahen im Syrienkrieg eine Gelegenheit ihre Macht auszubauen und begannen mit Hilfe der Türkei, den Muslimbrüdern und Ländern wie Katar und Saudi-Arabien, in die Region einzusickern. Diese Kräfte benutzten die Terrorgruppen für ihre eigenen Interessen. Vor allem die Türkei und Katar erklärten diese Gruppen zu Vertretern der Opposition und versuchten so zu verhindern, dass diese auf Terrorlisten erfasst wurden.
Die radikalen Gruppen begannen die Region Schritt für Schritt mit ihrer grausamen Herrschaft zu überziehen und stahlen die Öl- und Gasverkommen, wie auch die historischen Schätze und landwirtschaftlichen Produkte der Region. Der türkische Geheimdienst beteiligte sich an dieser Plünderung in Koordination mit dem Islamischen Staat (IS). Dies ist in einer Vielzahl von Dokumenten belegt.
Die nationalistische Politik der Türkei nimmt die Kurd*innen ins Visier
Hinter den Angriffen der Milizen auf Kurd*innen standen nicht nur die Besatzungspläne und die ökonomischen Interessen der Türkei, die türkische Regierung versuchte auf diese Weise die nationalistischen Gefühle im Land am Kochen zu halten. Der erste Angriff in diesem Sinne fand 2012 auf Serêkaniyê statt. Während diese Angriffe begannen setzte auch der syrische Staat auf eine Vertiefung des Krieges, um seine eigene Macht zu sichern. Die Türkei wollte die Region mit Hilfe der mehrheitlich aus ostsyrischen Jugendlichen gebildeten El-Qehqah-Brigade besetzen und den Handel unter ihre Kontrolle bekommen. Mit der Gründung der Volksverteidigungseinheiten (YPG) scheiterten jedoch die Pläne der Türkei für die Region.
Iran beginnt die Demografie von Dêra Zor und Raqqa zu verändern
Während die Türkei in Aleppo und vor allem in Nordsyrien in vielen Region versucht die Demografie aktiv zu verändern, hat auch der mit der Türkei konkurrierende Iran mit der Umgestaltung der Bevölkerungszusammensetzung in vielen Regionen Syriens begonnen. Im Sinne der Errichtung eines schiitischen Gürtels wird die Demografie des Gebietes von Damaskus bis Homs transformiert. Diese Politik breitet sich mittlerweile auch in den Süden von Syrien aus.
Zur Beginn des Aufstands in Syrien war die Präsenz schiitischer Milizen in Syrien sehr begrenzt. Es gab nur einige Brigaden der libanesischen Hisbollah und einige iranische Pasdaran. Aber mit dem Übergang des Volksaufstands in Syrien in einen Krieg, stieg die Anwesenheit schiitischer Milizen in Syrien kontinuierlich an und man begann gemeinsam mit den Milizen, deren Familien in den Dörfern um Damaskus und Homs anzusiedeln.
Mit der Vertiefung des Kriegs verstärkten sowohl der Iran, als auch die Türkei ihre logistische und politische Unterstützung für die Milizen. Aufgrund der Unterstützung des Iran ist die Zahl der schiitischen Milizen in Syrien auf 30 Bataillone mit Mitgliedern aus Pakistan, Afghanistan, Libanon, Iran und Irak gestiegen.
Die Anwesenheit der fremden Soldaten und Milizen begann die Einigkeit unter der Bevölkerung zu bedrohen und trug dazu bei, dass es auch nach Jahren keinen Ausweg aus dem Syrienkrieg gibt. In der vorwiegend sunnitisch geprägten Region Dêra Zor wurde die Anwesenheit iranischer Kräfte Schritt für Schritt gesteigert und man begann die Region zu beherrschen. Die iranischen Milizen haben erst vor kurzem eine Linie, die vom Libanon über Damaskus und Homs bis in den Irak reicht, errichtet.
Im Lichte der sektiererischen Parolen, die im Osten von Syrien ertönen, muss man Fragen, wo das politische und militärische Durcheinander in der Region noch hinführen wird. Wird die Bevölkerung Syriens gezwungen sein eine der beiden skrupellos machtversessenen Seiten zu wählen oder werden sie sich wie die Völker Nordsyriens für ein Projekt des Zusammenlebens der unterschiedlichen Identitäten entscheiden?
ANHA | ALAN ROJ