Angela, deine türkischen Freunde sind Gangster

„Sag mir, wer deine Freunde sind, und ich sage dir, wer du bist” – Firaz Amargî über die Türkei mit einem Staatsgebilde aus faschistischen Banden, und über deutsche Regierungsvertreter und eine EU, die mit diesem Land eine „Positivagenda” beschwören.

Sprichwörter sind Ausdruck tiefgreifender gesellschaftlicher Erfahrungen. In ihnen steckt die Kraft und Weisheit von über Jahrhunderte und Jahrtausende gewonnenen Wissens. Das gilt auch für das so häufig gebrauchte Sprichwort: „Sag mir, wer deine Freunde sind, und ich sage dir, wer du bist.”

Jüngst griff auch die internationale Presse auf, was in der Türkei schon seit über einem Monat intensiv diskutiert wird: die Geständnisse des Faschisten und Bandenchefs Sedat Peker. In mittlerweile neun Videos hat Peker – selbst bekennender Anhänger der pantürkischen Turan-Ideologie[1], der mehrere Jahre als Ergenekon-Mitglied im Gefängnis saß – das wahre Gesicht des türkischen Staates einmal mehr zu Tage gebracht. Er hat konkret benannt, welche Abgeordneten, Regierungsmitglieder und Staatsbürokraten in den vergangenen Jahren Frauen vergewaltigt, den Drogenhandel in der Türkei organisiert oder Waffen an den IS und Al-Nusra in Syrien geliefert haben. 

Für die internationale Öffentlichkeit ist an den Geständnissen Sedat Pekers besonders interessant, dass er damit auch den Regierungen Deutschlands, Englands oder der USA den Spiegel vorhält. Mit welchen Worten lassen sich Menschen beschreiben, die mit Vergewaltigern, Mördern, Drogenhändlern und Islamisten engste Beziehungen unterhalten? Wenn also Angela Merkel oder Heiko Maas in die Türkei reisen oder in Berlin Erdoğan und Çavuşoğlu empfangen, mit welchen Worten kann man dann darüber sprechen?

Sedat Peker berichtet von einer 21-jährigen jungen Frau aus Kasachstan, die von einem türkischen Staatskader vergewaltigt und ermordet worden sei. Er nennt einen Yachthafen in der südwesttürkischen Touristenhochburg Bodrum, über den tonnenweise Drogen aus Südamerika in die Türkei gebracht werden. Diese Liste ließe sich fast endlos weiter führen. Genau mit dieser Türkei – ein Staatsgebilde aus faschistischen Banden, die ihr wahres Gesicht unter offiziell klingenden Parteinamen und Amtstiteln verbergen – wird seit mehreren Monaten von Seiten deutscher Regierungsvertreter und der EU eine „Positivagenda” beschworen. In wenigen Tagen wird Erdoğan in Brüssel auf dem NATO-Gipfel mit Angela Merkel, Joe Biden und Boris Johnson zusammentreffen und sich deren Unterstützung für den Faschismus und Krieg in der Türkei sichern. Ganz besonders wird er darauf pochen, noch mehr militärische und wirtschaftliche Unterstützung für die türkische Besatzung Südkurdistans zu erhalten. Denn trotz Chemiewaffen, tausenden Luftangriffen und dem Einsatz islamistischer Söldner kommen die seit sechs Wochen andauernden türkischen Angriffe dort nur schleppend beziehungsweise nicht voran.

Wenn also Angela Merkels Freunde Gangster, Vergewaltiger, Mörder und Drogenhändler sind, was ist dann die deutsche Bundeskanzlerin? Um es noch ein wenig allgemeiner auszudrücken: Wenn das Wesen des türkischen Staates derart beschaffen ist, wie steht es dann um die Staatskultur seines engen Partners Deutschland? Ein kurzer Einblick in die Bewertung Abdullah Öcalans zu den historischen Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei mag helfen: „Eine ähnliche Praxis wie die der sogenannten ‚Weißen Türken’[2] können wir zur gleichen Zeit auch in Nationen (Staatsnationen, durch Staaten entwickelte Nationen und Staaten, die auf der Basis von Nationalismus entstanden) beobachten, die sich erst spät zu einem Teil der Kapitalistischen Moderne entwickelt hatten – insbesondere Deutschland, Italien und Japan. Auch die Bürokratie-Kader der ‚Ittihat und Terakki’-Bewegung wollten aus dem türkischen Nationalismus einen Staat formen. Dabei begriffen sie ihre deutschen Partner aus dem Ersten Weltkrieg und deren deutschen Nationalismus und Militarismus als ihre Grundlage. Sie waren nicht nur sehr ähnlich bzw. deckungsgleich mit dem Nationalismus der Nazis, sondern gehörten praktisch zu dessen Gründungsmitgliedern. Als Hitler mit dem jüdischen Völkermord begann, gab er direkt zu, dass er dabei von den Erfahrungen des armenischen Genozids zehrte, den die ‚Ittihat und Terakki’-Regierung begangen hatte.“[3]

Folgt man Abdullah Öcalans Bewertung, kann man also eine Wesensverwandtschaft der türkischen und deutschen Staatskultur diagnostizieren. Die Bereitschaft von Angela Merkel oder Heiko Maas, Mitglieder des türkischen Bandenwesens als ihre Partner und Freunde zu begreifen, ist somit der aktuelle Ausdruck einer langen historischen Tradition. Natürlich ließe sich diese Kritik auch für die vielen anderen Staaten und Regierungen formulieren, die engste Beziehungen mit der Türkei unterhalten.

Wenn wir uns noch einmal das Anfangs erwähnte Sprichwort in Erinnerung rufen, können wir also zu folgendem Schluss kommen: Wer von der Gesellschaft nicht verurteilt und ausgegrenzt werden möchte, sollte seine Freund:innen mit Bedacht auswählen. Denn welche Gesellschaft kann schon akzeptieren, von Menschen regiert zu werden, die Faschisten, Mörder, Vergewaltiger und Drogenhändler ihre Freunde nennen?


[1] Eine ideologische Strömung des türkischen Nationalismus, die einen großtürkischen Staat bis nach Westchina zum Ziel hat und auch weite Teile Russlands mit einbezieht.

[2] Abdullah Öcalan unterscheidet in seinen Analysen zwischen drei Formen des türkischen Faschismus, die er jeweils mit einer Farbe benennt: schwarz, grün und weiß. Sie unterscheiden sich zu einem gewissen Grad ideologisch voneinander, haben aber auch zahlreiche Überschneidungen wie den türkischen Nationalismus und die Ablehnung kurdischer demokratischer Rechte.

[3] Abdullah Öcalan, Kürt Sorunu ve Demokratik Ulus Cözümü (Manifest der demokratischen Zivilisation - Band 5: Die kurdische Frage und die demokratische Nation als Lösung), S. 152. Bisher nur auf Türkisch erhältlich.