Analyse: Warum umzingelt die PDK Gare?

Die südkurdische Regierungsparte PDK kollaboriert offen mit dem türkischen Regime und beteiligt sich an der Einkreisung des südkurdischen Guerillagebiets Gare. Welche Interessen stehen dahinter?

Bereits im Frühjahr, als die PDK militärische Einheiten am „Tor nach Qendîl“ in der Region Zînê Wertê stationierte, erhielten die Hoffnungen großer Teile der kurdischen Gesellschaft auf eine politische Einheit unter den Kurd*innen einen schweren Dämpfer. Insbesondere Kunstschaffende und Intellektuelle stellten sich gegen diese Entwicklungen. Mit der Umzingelung des Guerillagebiets Gare durch mit schweren Waffen ausgestattete PDK-Spezialeinheiten steht die kurdische Gesellschaft nun vor einem noch weitergehenden Rückschlag. Allerdings gibt es kaum Stellungnahmen dagegen. Ein Krieg zwischen der PDK und der PKK würde jedoch die gesamte Zukunft der Kurdinnen und Kurden nachhaltig beeinflussen.

USA-PDK-Türkei: Ein maliziöses Dreierbündnis

Die PDK kollaboriert nicht alleine mit der Türkei. Stattdessen ist von einem Dreiecksverhältnis zwischen der Türkei, der PDK und den USA zu sprechen. Die USA hatten ihre Vernichtungshaltung gegenüber der PKK am 6. November 2018 mit der Ausschreibung von führenden PKK-Kadern zu Festnahme erneuert. Vor diesem Hintergrund erfolgen auch die seit Frühjahr 2020 stattfindenden Angriffe auf die PKK in Koordination zwischen USA, Türkei und PDK. Der Irak, die südkurdische YNK und der Iran versuchen ebenfalls mittelbar Nutzen aus dem Angriff auf die PKK zu ziehen. Während die Türkei die PKK vollständig vernichten will, möchte die US-Führung die Bewegung schwächen, sie zur Aufgabe ihrer Befreiungsideologie zwingen, sie unter ihre Kontrolle bekommen und so als eigene Fußtruppen in der Region zu verwenden. Ein ähnlicher Versuch war bereits Anfang des 21. Jahrhunderts gescheitert, als die USA und die PDK mit Hilfe des Bruders von Abdullah Öcalan, dem Kollaborateur Osman Öcalan, und seiner Clique versuchten, die PKK unter ihre Kontrolle zu bringen. Die PDK hofft durch ihre Kollaboration mit der Türkei und den USA am Ende als Alleinherrscherin in Kurdistan übrig zu bleiben.

Angriffsplan beginnt in Zînê Wertê

Der Angriffsplan in diesem Jahr begann eigentlich mit den Auseinandersetzungen um Zînê Wertê, dem Tor zur Qendîl-Region. Obwohl die Region zum Herrschaftsbereich der YNK gehört, stationierte die PDK dort ihre Peschmerga und riskierte einen neuen innerkurdischen Bürgerkrieg. Sie plante auf diese Weise, die Verbindung zwischen den Gebieten Raperîn und Soran zu unterbrechen, und so die türkische Invasion zu erleichtern. Direkt nach der Stationierung der PDK-Peschmerga in Zînê Wertê begann die türkische Luftwaffe, Stellungen der Guerilla in der Region zu bombardieren. Dabei starben drei Kämpfer der HPG. Es gibt deutliche Hinweise darauf, dass die PDK-Peschmerga als Aufklärer für die türkische Luftwaffe agierten. Trotz massiven Protests der kurdischen Öffentlichkeit zog sich die PDK nicht zurück, sondern versuchte ihre Anwesenheit als Maßnahme gegen Corona zu legitimieren.

Şengal und Heftanîn sollten folgen

Im Juni folgte dann der türkische Angriff auf Heftanîn, den die PDK mit sogenannten „Grenzwächtern“ und Propaganda unterstützte. Im August wurde die türkische Invasion auf die ganze Region Bradost, Xinêre, Goşine und Helgurt ausgedehnt und seit dem 9. Oktober läuft ein politischer Angriff auf die Region Şengal. Die irakische Regierung und die PDK haben sich im Sinne des US-Plans für die Region darüber verständigt, die vollständige Kontrolle über die selbstverwaltete ezidische Region Şengal zu erlangen und die Selbstverteidigungskräfte aufzulösen. Hinter der PDK stehen hier klar türkische Interessen. Der Türkei war die Selbstorganisierung im Şengal immer ein Dorn im Auge. Deshalb haben wiederholt tödliche Luftangriffe auf die Region stattgefunden. Diese Angriffe der türkischen Luftwaffen konnten nicht ohne Zustimmung der Anti-IS-Koalition und allen voran der USA erfolgen.

Aufgabe der PDK: Verbindungswege schließen

Sicherlich muss in einer Zeit, in der das Abkommen der PDK mit der irakischen Regierung über die Şengal-Region die öffentliche Diskussion prägt und ein Angriff auf Şengal erwartet wird, diskutiert werden, warum die PDK ihren militärischen Fokus plötzlich auf die Region Gare verlegt hat. Stellte die Öffentlichkeit zu dem Şengal-Abkommen und den PDK-Ambitionen in der Region ein zu großes Hindernis dar? Immerhin ist unvergessen, dass es die PDK war, die durch ihren blitzschnellen Rückzug gegenüber dem IS-Vormarsch am 3. August 2014 den IS-Genozid an der ezidischen Bevölkerung der Region ermöglichte. Oder bezweckt die PDK mit dem Zusammenziehen von Truppen in der Region Gare, die Verbindung zwischen Şengal und den Guerillagebieten zu unterbrechen und die Region Şengal damit von der Guerillaunterstützung im Falle eines Angriffs abzuschneiden? Oder sollen die Regionen Şengal und Gare gleichzeitig angegriffen werden?

Vielleicht treffen diese Überlegungen allesamt zu. Klar ist, die PDK hat die Aufgabe, die Verbindungen der Medya-Verteidigungsgebiete nach Rojava und Şengal zu versperren. Dies ist auch das Ziel der Verstärkung der Truppen an der Grenze von Südkurdistan nach Rojava.

Novum: PDK stellt protürkische Hauptstreitmacht in Gare

In der Region Gare gibt es aber auch ein Novum im militärischen Vorgehen. Bisher wurden die meisten Truppenkontingente vom türkischen Staat gestellt und von der PDK unterstützt. Sie legitimierte die Besatzungsoperationen des faschistischen AKP/MHP-Regimes mit der Anwesenheit der PKK. Auch wurde immer wieder behauptet, die PDK würde in die Region kommen, um eine Ausdehnung der von der Türkei besetzten Gebiete zu verhindern. In Zînê Wertê wurde dies ganz klar als Lüge widerlegt. Bei diesem Vorgehen handelt es sich vor allem um Legitimationsversuche der eigenen Basis gegenüber. Beim Angriff auf Gare hat sich dies radikal verändert. Die PDK stellt in Gare die Hauptstreitmacht. Es ist sogar wahrscheinlich, dass die Türkei auf Bitten der PDK in den Medya-Verteidigungsgebieten einmarschiert.

Kurz vor Kriegsausbruch zwischen PDK und PKK

Aber wohin wird diese Situation führen? Welche Entwicklungen stehen bevor? Es ist offensichtlich, dass die PDK und die PKK kurz vor einem Krieg stehen und ein neuer innerkurdischer Krieg jeden Moment ausbrechen kann. Es ist klar, dass dieser nicht auf ein Gebiet beschränkt bleiben wird und sich auf ganz Kurdistan ausbreitet. Deshalb wird diese Situation nicht nur Auswirkungen auf PKK und PDK, sondern auf alle haben. Die Probleme, aus denen sich der Konflikt speist, sind keine Probleme, die nur diese beiden Parteien betreffen. Im Gegenteil, sie betreffen alle kurdischen Parteien und das ganze Volk, denn es geht um die Frage der Zukunft der kurdischen Demokratie.

Dass es bisher noch keinen Krieg gibt, liegt nur an der Geduld der PKK-Führung

Dass bisher kein Krieg zwischen PDK und PKK ausgebrochen ist, liegt alleine an der Besonnenheit der PKK-Führung. Die PKK-Führung hat eine sehr reflektierte und geduldige Haltung an den Tag gelegt. Aber, wie es ein Guerillakommandant ausdrückte, es gibt eine Grenze der Geduld und diese wurde für die PKK schon lange überschritten. Wenn es keine starke öffentliche Intervention gibt, dann ist klar, was passieren wird.

Demokratische Haltung als zwingende Vorbedingung für eine Lösung

Es ist allgemein bekannt, die kurdische Öffentlichkeit will eine Lösung der Probleme in einem demokratischen Kontext und mit demokratischen Methoden. Aber wie soll das geschehen? Für eine gemeinsame politische Ebene sind Dialog und friedliche Beziehungen zwingende Vorbedingungen. Dies ist auch eine Vorbedingung für Demokratie. Wenn es an demokratischer Haltung und Politik fehlt, dann gibt es auch keinen Frieden und keinen Dialog, das ist der Dreh- und Angelpunkt. Das bedeutet, dass den drohenden kriegerischen Auseinandersetzungen das Fehlen von demokratischer Einstellung bei der PDK und ihr Familien- und Stammesdenken wie auch ihre feudale und despotische Haltung zu Grunde liegen. Die PDK betrachtet die Barzanî-Familie als Partei, die Partei als Nation und die Nation als Staat.

ENKS-Gespräche in Rojava unterbrochen

Der PDK geht es nicht um den Aufbau eines demokratischen Systems, das auf freien Beziehungen zwischen den Parteien basiert. Im Gegenteil, es geht ihr um die Machtverteilung. In Südkurdistan wurde ein Klientelsystem aufgebaut und umgesetzt. Die Gespräche zwischen der PYD und dem syrischen Arm der PDK, dem ENKS, in Rojava sollten auf ähnliche Weise verlaufen und auf eine Machtteilung hinwirken. Deshalb sind sie unterbrochen worden. Wenn die herrschenden Parteien einfach das Land untereinander aufteilen, dann hat das mit demokratischen Grundprinzipien wie Wahlen rein gar nichts zu tun. Die PDK muss sich von ihrer monistischen Haltung, nach der keine anderen Parteien neben ihr geduldet werden, befreien und ein Mindestmaß an demokratischem Bewusstsein entwickeln, sonst wird eine Lösung ausbleiben und Kurdistan in einen Bürgerkrieg abgleiten.

Die Analyse erschien am 3. November 2020 im türkischen Original in Yeni Özgür Politika