In Südkurdistan droht ein weiterer Krieg zwischen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und der Demokratischen Partei Kurdistans (PDK). Die PDK hat Sondereinheiten der Peschmerga in den von der Guerilla kontrollierten Gebieten stationiert und steht kurz davor, in Zusammenarbeit mit der Türkei durch einen Angriff einen innerkurdischen Krieg auszulösen.
Die Gemeinschaft der Frauen Kurdistans (Komalên Jinên Kurdistanê, KJK) ruft in einem eindringlichen Appell dazu auf, diesen „Krieg unter Geschwistern“ zu verhindern:
„Wir haben es in der Hand, uns zu befreien und in allen Teilen Kurdistans einen Status zu gewinnen und zu verfestigen. Es besteht die Gelegenheit, das 21. Jahrhundert für das gesamte kurdische Volk zu einem Jahrhundert der Freiheit zu machen. Als kurdisches Volk haben wir viel zu gewinnen.
Und genau in dieser Zeit bereitet die PDK eine Operation gegen unsere Bewegung in den Guerillagebieten vor. Dabei handelt es sich um eine äußerst gefährliche und für das kurdische Volk sehr unglückliche Entwicklung, die zu materiellen und ideellen Verlusten unseres ohnehin unter dem Regime der Kolonialstaaten leidenden Volkes führen wird. Wenn die PDK einen solchen Krieg beginnt, schadet sie sich vor allem selbst.
Die kurdischen Parteien können unterschiedliche Ideologien und Gedanken verfolgen. Sie können sich auch hart gegenseitig kritisieren, aber diese Unterschiedlichkeit in einen physischen Krieg münden zu lassen, ist etwas anderes. Die Kurdinnen und Kurden haben im Süden und in Rojava einen großartigen Kampf gegen den IS geführt und dabei Tausende Menschen verloren. In der Weltöffentlichkeit haben sie damit großen Respekt, Liebe und Ansehen errungen.
Wenn sich kurdische Kräfte gegenseitig bekämpfen und insbesondere die PDK sich mit dem türkischen Staat vereint und die Guerillagebiete angreift, muten sie damit unserem gesamten Volk und den Parteien großes Leid und Verluste zu. Der ,Bruderkrieg' kennzeichnet die hässlichsten und schmutzigsten Seiten in der kurdischen Geschichte. Mit diesem Krieg unter Geschwistern will die Türkei dem kurdischen Volk vor den US-Wahlen einen weiteren Schlag versetzen. Dafür hetzt sie die PDK zum Angriff auf die Guerilla auf und macht ihr Versprechungen.
Die PDK muss begreifen, was hier vor sich geht. Sie muss umgehend diesen historischen Fehler berichtigen und sich gegen die Hetze der Türkei und die Wünsche der USA stellen.
Die Türkei ist heute eines der unbeliebtesten Länder auf der Welt. Die ganze Welt weiß, dass sie mit dem IS zusammenarbeitet. Die Wahlen in den USA rücken näher und der Faschist Erdogan will diese Interimsphase mit Trumps Unterstützung für den Krieg gegen die PKK nutzen. Für unser Volk ist es eine Katastrophe, wenn die PDK in Zusammenarbeit mit der Türkei Krieg gegen die Guerilla führt.
Keine kurdische Partei darf in dieser kritischen Zeit schweigen. Alle müssen die Entwicklungen sehen, sich einmischen, sich gegen das offensichtlich Falsche positionieren und umsichtig sein. Es sind nicht die äußeren Kräfte, die für einen Gewinn der Kurdinnen und Kurden sorgen werden. Unser Volk muss auf seine eigene Kraft vertrauen und auf seine eigenen Interessen und eine Einheit setzen.
Aus diesem Grund appellieren wir an die PDK, die sich auf einen Krieg vorbereitet: Jeder ,Bruderkrieg' in der Geschichte Kurdistans hat zu großem Leid geführt und die Seele unseres Volkes unheilbar verletzt. Menschen können sehr schwere Zeiten vergessen, aber ein solcher Krieg ist für die kurdische Gemeinschaft unvergesslich. Diesen Schmerz hat in der jüngeren Geschichte vor allem unser Volk im Süden erleben müssen. Gegen das kolonialistische Baath-Regime und den türkischen Staat zu kämpfen und zu fallen, ist etwas, auf das man stolz sein kann. Der Tod durch eine Kugel von Geschwistern ist etwas anderes. Er reißt Wunden auf, für die es keine Behandlung gibt. Es ist allgemein bekannt, dass die Kämpferinnen und Kämpfer der Guerilla auf einen Angriff der PDK mit einem unerbittlichen Widerstand bis zum Tod reagieren werden.
Daher richten wir einen Appell an die PDK. Unsere Gedanken und Ideologien mögen unterschiedlich sein. Wir können uns auf gedanklicher, politischer und diplomatischer Ebene bekämpfen. Das ist normal. Wenn jedoch zwei kurdische Kräfte physisch gegen einander Krieg führen, ist das unverzeihlich. Die Kraft, die den Krieg ausgelöst hat, macht sich schuldig. Die kurdischen Parteien müssen ihre Probleme aus einer weitgefassten Perspektive betrachten und versuchen, sie über einen Dialog, über Gespräche und mit Geduld auf zivilisiertem Wege zu lösen. Ein solcher Krieg würde am allermeisten der Regierung Südkurdistans und der PDK schaden. Beendet daher eure Kriegsvorbereitungen. Lasst euch nicht vom türkischen Staat benutzen.
Wir möchten es noch einmal wiederholen: Ein solcher Krieg unter Geschwistern bedeutet, dass Kurdistan um hundert Jahre zurückgeworfen wird und die Kurdinnen und Kurden ihre wichtigsten Errungenschaften wieder verlieren können. Er würde eine weitgehende Besatzung Kurdistans ermöglichen. Auf internationaler Ebene würde die Position des kurdischen Volkes geschwächt werden, es würde nicht mehr ernst genommen werden. Vor allem für den Süden, aber auch für ganz Kurdistan würde er zu großen materiellen und ideellen Verlusten führen.
Aus diesem Grund rufen wir die Frauen, die Jugend, die Bevölkerung des Südens und unser gesamtes Volk dazu auf, diesen Krieg zu verhindern. Lasst uns aktiv sein und unsere Position verdeutlichen. Kurdinnen in allen Landesteilen müssen zu einer gemeinsamen Sprache und Aktion finden, damit dieser Krieg nicht ausbricht. Wir befinden uns in einer höchst sensiblen und wichtigen Zeit.
Alle politischen Parteien, zivilgesellschaftlichen Organisationen, Intellektuellen, Medien- und Kunstschaffenden müssen sich bewusst machen, was gerade stattfindet. Lasst uns nicht einfach zusehen, wie ein Krieg unter Geschwistern ausbricht. Lasst uns den kolonialistischen türkischen Staat aufhalten. Lasst uns in allen Teilen Kurdistans aktiv sein, um diesen Krieg zu stoppen. Lasst uns als kurdische Frauen, Jugendliche, Intellektuelle und Gesellschaft den Krieg verhindern.“