Murat Karayilan, Mitglied im Exekutivrat der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), hat vor den Versuchen gewarnt, einen innerkurdischen Krieg zu entfachen. An die südkurdische Regierungspartei PDK gerichtet mahnte Karayilan, sich nicht in die Kriegspläne Ankaras einspannen zu lassen. Die zwischen der von der Barzanî-Familie beherrschten PDK und der Türkei bestehende Partnerschaft sowie politische und nachrichtendienstliche Beziehungen beider Seiten dienten weder der Regierung in Hewlêr (Erbil), noch dem kurdischen Volk. Im Gegenteil würden sie alle Kurdinnen und Kurden einer großen Gefahr aussetzen, da es der Türkei ausschließlich um die panturkistische Doktrin gehe, sagte Karayilan in einer am Montag beim Fernsehsender Stêrk TV ausgestrahlen Sondersendung. Allen anderen werde das Existenzrecht aberkannt.
In der südkurdischen Autonomieregion spitzt sich der von Hewlêr ausgehende Konflikt mit der kurdischen Befreiungsbewegung wieder zu. Hintergrund sind die jüngsten Truppenkonzentrationen von Peschmerga-Sondereinheiten in die von der Guerilla kontrollierten Medya-Verteidigungsgebiete. Karayilan, der auch Oberkommandierender des Hauptquartiers der Volksverteidigungskräfte HPG (Hêzên Parastina Gel) ist, wertet die Verlegung von Truppen in Regionen wie Metîna, Gare und Behdînan als Kriegsvorbereitungen. „Wir beobachten ernstzunehmende militärische Aktivitäten. An nahezu allen Punkten unserer Guerilla gibt es Versuche der PDK, eigene Kräfte zu stationieren. Verbindet ein Weg zwei unserer Positionen, sind sie darum bemüht, genau dort Militärwachen zu errichten.“ Nach Angaben von Karayilan sei es kürzlich in der Zebarî-Region zu Provokationen gekommen, als PDK-Kräfte unweit eines Guerillapostens einen Standort installieren wollten. „Beinahe wäre es zu sehr ernsten Auseinandersetzungen gekommen. Wir haben interveniert und den Konflikt entschärft. Aber wenn das so weitergeht, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sich aus diesen Provokationen ein Krieg entwickelt. Ich persönlich würde gerne davon absehen, die Anweisung zu erteilen, das Visier auf Kurden zu richten. Niemand innerhalb unserer Bewegung möchte das. Es ist wichtig, dass das von unserem Gegenüber begriffen wird. Wir fürchten uns nicht vor einem Krieg, schließlich kämpfen wir tagtäglich gegen den Feind. Aber einen innerkurdischen Krieg zu entfachen, gehört nicht zu unseren Zielen.“
Karayilan führte weiter aus, dass das türkische Regime eine kontinuierliche Strategie verfolge, innerkurdische Unruhen und Zwietracht zu verursachen, um die eigenen Interessen durchzusetzen. Dazu gehöre insbesondere die Beeinflussung der Öffentlichkeit durch gezielte Falschinformation und Propaganda. Als Beispiel nannte Karayilan Manipulationen aus dem AKP-Lager, die PKK sehe sich als „Alternative“ der Regionalregierung und wolle Hewlêr einnehmen. Dieses manipulative Narrativ werde inzwischen auch von Vertretern der PDK-Regierung aufgegriffen. „Ob sie tatsächlich daran glauben oder irgendwen mit diesem ‚Argument‘ überzeugen wollen, ist uns schleierhaft. Wir haben jedenfalls kein Interesse daran, eine Alternative zur Regierung zu sein. Die Etablierung der Autonomieregion ist eine Leistung des kurdischen Volkes. Es ist eine Leistung, die aus jahrzehntelangen Kämpfen hervorgegangen ist. Sie steht für den Volkswillen“, erklärte Karayilan. Zudem kritisierte er die beharrlichen Berichte der PDK-nahen Presse und Beschuldigungen der Sicherheitskräfte, dass die Guerilla das tödliche Attentat auf den Direktor des Asayiş beim Zoll am Grenzübergang Serzêrê am 8. Oktober begangen habe. „Sofort hieß es, die PKK sei verantwortlich. Uns überraschten diese bestimmten Aussagen, deshalb haben wir eigene Ermittlungen eingeleitet. Inzwischen können wir eine Beteiligung unserer Mitglieder definitiv ausschließen. Würde die PDK ihre Behauptungen mit Beweisen untermauern können, hätte sie dies längst getan. Ich will damit sagen, dass der Feind uns mit dieser Geschichte gegeneinander aufbringen will.“
So sicher wie das Amen in der Kirche sei auch die Tatsache, dass keiner der bisher ausgetragenen innerkurdischen Kriege Erfolg mit sich brachte, sagte Karayilan. „In den neunziger Jahren mögen einige Gruppen vom Bruderkrieg profitiert haben, diese Möglichkeiten sind heute jedoch nicht mehr gegeben. Warum ist das so? Wir befinden uns im 21. Jahrhundert und inmitten von Diskussionen über eine Neugestaltung der gesamten Region. Dabei geht es auch um die Frage, welche Position die Kurden einnehmen werden. Wir befinden uns in einer Phase, die entscheidend für das weitere Schicksal des kurdischen Volkes sein wird. Ein innerkurdischer Krieg zu einer Zeit wie dieser würde unser strategisches Ende bedeuten. Das ist unser Standpunkt. Wir als kurdische Freiheitsbewegung bringen Tag für Tag Opfer für die Sache der Kurden. Wenn wir jetzt aufgrund innerer Konflikte eine Niederlage erleiden, bedeutet dies den Verlust aller unserer bisherigen Errungenschaften. Dies gilt sowohl für den Süden als auch für den Norden, Osten und Rojava. Vor diesem Hintergrund nehmen wir die aktuelle Lage nicht auf die leichte Schulter.“
Dass die PKK an ihrer Zielsetzung im Sinne einer innerkurdischen Einheit festhält, verdeutlichte Karayilan am Beispiel Abdullah Öcalan. „Rêber Apo hat in den 22 Jahren seiner Geiselhaft auf Imrali ein einziges Telefonat geführt. In diesem zwanzigminütigen Gespräch mit seinem Bruder Mehmet hat er eine Viertelstunde lang über die Bedeutsamkeit der nationalen Einheit gesprochen.“ Karayilan äußerte auch Zweifel daran, ob die Truppenkonzentrationen sowie politisch-militärischen Entwicklungen in Südkurdistan mit Wissen von Mesûd Barzanî, dem Vorsitzenden der PDK, stattfinden. „Wir kennen seinen Standpunkt nicht, da er sich bisher nicht zu Wort gemeldet hat. Allerdings drängen wir darauf, dass Kek Mesûd sich bald dazu äußert, warum an Verbindungswegen unserer Freunde eigene Kräfte positioniert werden sollen. Wir sind dafür, Konflikte und Probleme durch Dialoge aus dem Weg zu räumen. Aber wenn eine militärische Kraft wie die Guerilla Schritt für Schritt eingeschränkt und umzingelt wird, führt dies unweigerlich zu Konflikten.”
Die Spannungen zwischen der PKK und der PDK würden nicht nur zwei Parteien betreffen. Es handele sich um eine „nationale Angelegenheit“, die alle Kurden etwas angehe, führte Karayilan weiter aus. „Deshalb muss jeder einen Beitrag zur Problemlösung leisten. Wir sind bereit zu Gesprächen und anderweitigen Handlungen, weil wir nicht möchten, dass es zu negativen Entwicklungen kommt. Die Sache ist sehr heikel. Wir wollen, dass in Kurdistan Stabilität und Frieden herrscht.“