Zilan-Festival in Gelsenkirchen: Ein Gruß an alle kämpfenden Frauen

Zum 17. Mal hat der Verband von Frauen aus Kurdistan (YJK-E) zum traditionsreichen Zilan-Festival eingeladen, diesmal in das Amphitheater Gelsenkirchen. Tausende Frauen aus Deutschland und benachbarten Ländern sorgten für kämpferische Stimmung.

Zum 17. Mal hat der Verband von Frauen aus Kurdistan (YJK-E) an diesem Sonnabend zum traditionsreichen Zilan-Frauenfestival eingeladen, diesmal wieder nach Gelsenkirchen. Unter der Devise „Von Kurdistan in die Welt: Jin Jiyan Azadî!“ und in Erinnerung an die am 23. Dezember 2022 in Paris ermordete Kurdin Evîn Goyî (Emine Kara) bot die im Amphitheater Gelsenkirchen abgehaltene Veranstaltung ein reichhaltiges Programm und eine Plattform für die zahlreich in ihren traditionellen Kleidern erschienen Frauen und Gäste, sich zu vernetzen und Einblicke in die Agenda der kurdischen Frauenbefreiungsbewegung zu erhalten.

Den Auftakt des Programms zum diesjährigen Zilan-Festival machte eine Podiumsdiskussion zur „Jin Jiyan Azadî“-Philosophie. Die Parole „Frau Leben Freiheit“ hat ihren Ursprung in der von Abdullah Öcalan bereits in den 1990er Jahren vorgelegten Frauenbefreiungsideologie und wurde in Rojava/Nordsyrien zur Devise des unter hohen Opfern geführten Kampfes gegen den „Islamischen Staat“ (IS). Seit vergangenem Herbst ist „Jin Jiyan Azadî“ mit dem Aufstand nach dem Mord an der Kurdin Jina Mahsa Amini im Iran von Kurdistan aus weltweit bekannt geworden.


Genderparitätische Doppelspitze: Eine Bedrohung für den Staat?

Als Rednerinnen des von der Journalistin Zeynep Güneri moderierten Panels traten Elif Kaya vom Jineolojî-Komitee, Maryam Fathi von der Gemeinschaft der freien Frauen von Rojhilat (KJAR) und Zîlan Dîyar von der Kurdischen Frauenbewegung in Europa (TJK-E) auf. Kaya legte den Fokus auf frauenpolitische Errungenschaften in Nordkurdistan bzw. der Türkei und widmete sich im Kern dem System der genderparitätischen Doppelspitze. Die 2009 vom türkischen Verfassungsgericht verbotene Partei der Demokratischen Gesellschaft (DTP) war 2005 die erste Partei, die das System des Ko-Vorsitzes in der Politik einführte und damit die gleichberechtigte Vertretung von Frauen und Männern in allen Gremien durchgesetzt hat. Obwohl die türkische Regierung die genderparitätische Doppelspitze als eine Bedrohung für sich selbst ansieht, wurde das System von der Gesellschaft angenommen und ist auch für alle Nachfolgeparteien in der Tradition der DTP ein unverzichtbares Prinzip, das von Frauen erkämpft wurde.

Revolte in Iran größte Bedrohung für das Mullah-Regime seit 1979

Maryam Fathi thematisierte die „Jin, Jiyan, Azadî“-Revolution in Ostkurdistan und Iran. Die Sprecherin der Europa-Koordination der KJAR beschrieb den von Frauen angeführten Widerstand in dem Land als größte Bedrohung für das Mullah-Regime seit der Machtübernahme der Klerikalfaschisten im Jahr 1979 und rief die Öffentlichkeit zur Solidarität mit den kämpfenden Frauen Irans auf. „Unsere Freundinnen werden verhaftet, gefoltert, vergewaltigt, getötet. Dennoch gehen sie keinen Schritt zurück. Es ist unser aller Pflicht, diese Frauen zu unterstützen.“


Es braucht eine stärkere Organisierung von Frauen - überall!

Die Aktivistin Zîlan Dîyar betonte, dass „Jin, Jiyan, Azadî“ mehr als eine Parole sei. Dieses Losungswort sei Ausdruck einer seit Jahrzehnten andauernden Revolution, die von den Frauen Kurdistans getragen werde. „Frauen in allen vier Nationalstaaten in Kurdistan (Iran, Irak, Syrien, Türkei) haben einen hohen Blutzoll entrichtet, damit wir unser Recht auf Freiheit ausüben können. Wir müssen uns in allen Bereichen stärker organisieren, um diese Errungenschaften zu schützen.“

Kaplan: Kurdische Frauen zum Kampf entschlossen

Nach dem Panel startete das eigentliche Bühnenprogramm mit einer von der kurdischen Nationalhymne Ey Reqîb (deutsch: „Oh Feind“) begleiteten Schweigeminute. Ayten Kaplan von der YJK-E hielt die Eröffnungsrede und betonte, dass kurdische Frauen entschlossen sind, weltweit ihren Widerstand zur Verteidigung ihrer erkämpften Errungenschaften zu schützen. Danach gab es Musikbeiträge von Kevana Zêrîn und Şeyda. Parallel zum Bühnenspektakel wurden auf zahlreichen Ständen von Frauen hergestellte Produkte vorgestellt, außerdem thematisierte eine Bilderausstellung den Frauenbefreiungskampf. Für Kinder boten die Organisatorinnen ein Sonderprogramm an. Bevor es mit weiteren politischen Reden und Bühnenacts von Jin Ma, Mizgîn Tahir, Eylem Aktaş, Beser Şahin und Firmesk weiter ging, wurde eine Botschaft der Gemeinschaft der freien Frauen Kurdistans (KJK) verlesen.


Gruß von der KJK: „Mit dem Geist des Widerstands in den freien Bergen“

Der Dachverband der kurdischen Frauenbewegung begrüßte zunächst die Teilnehmerinnen des Festivals „mit dem Geist des Widerstands in den freien Bergen“ und gedachte anschließend Revolutionärinnen wie Evîn Goyî, Leyla Amed, Bêrîtan Zîlan und Raperîn Amed, die im Frauenbefreiungskampf ihr Leben ließen. Die kurdische Gesellschaft rief die KJK auf, dem Weg von Abdullah Öcalan, der Guerilla und dem Widerstand der kämpfenden Frauen „für den Sieg“ zu folgen. „Seit einem Jahrhundert führt der türkische Staat eine genozidäre Politik gegen unser Volk durch, in deren Zentrum die Ausschaltung der Frau ist. Es ist ein Zusammenspiel aus Spezialkriegsmethoden, Genozid, Feminizid, Assimilierung und Besatzung, mit dem das kurdische Volk konfrontiert ist. Das herrschende Regime aus AKP und MHP hat alle Mittel mobilisiert, um diese Politik wirksam umzusetzen und unser Volk, seine Frauen und die Befreiungsbewegung zu zerschlagen.“

Zilan-Frauenfestival: Kurdische Tradition seit 2004

Das erste Zilan-Frauenfestival hat 2004 unter dem Motto „Frauen überschreiten Grenzen“ in Gelsenkirchen stattgefunden. Im Jahr danach widmete die Frauenbewegung das Festival den Internationalistinnen Uta Schneiderbanger (Nûdem) und Ekin Ceren Doğruak (Amara), die am 31. Mai 2005 bei einem Autounfall in Südkurdistan ums Leben gekommen sind. In den folgenden Jahren standen zentrale Themen der Frauenbewegung im Mittelpunkt, so etwa der Kampf gegen den herrschenden Ehrbegriff („Wir sind niemandes Ehre, unsere Ehre ist unsere Freiheit!“) und gegen Feminizid („Frauen sind Leben, töte nicht das Leben!“) im Mittelpunkt. 2013 erklärten Tausende Frauen ihre Entschlossenheit, den Kampf der vom türkischen Geheimdienst in Paris ermordeten Revolutionärinnen Sakine Cansız (Sara), Leyla Şaylemez (Ronahî) und Fidan Doğan (Rojbîn) fortzusetzen. Weitere Festivals wurden den kämpfenden Frauen in Kobanê und Şengal gewidmet. Nach der türkischen Invasion in Efrîn lautete 2018 das Motto: „Efrîn verteidigen bedeutet die Frauenrevolution zu verteidigen“. 2019 fand das Festival unter dem Motto „Frauenwiderstand befreit“ statt. Nach zwei Jahren „Corona-Pause“ stand das Festival im vergangenen Jahr in Frankfurt unter der Devise „Wehr dich! Organisiere dich! Lebe deine Freiheit!“.