Sultan Abi wurde als Kind in der nordkurdischen Provinz Şirnex (Sırnak) entführt und zwangsverheiratet. Jahre später organisierte sie sich mit anderen Frauen und kämpft seitdem gegen patriarchale Strukturen im eigenen Umfeld. An ihrem Beispiel zeigt sich, wie sich kurdische Frauen gleichzeitig gegen staatliche und männliche Gewalt organisieren.
Sultan Abi ist heute 65 Jahre alt. Mit elf Jahren wurde sie nach dem „Berdel“-Brauch verlobt. Dieser Brauch sieht vor, dass Mädchen oder Frauen zwischen zwei Familien ausgetauscht werden. „Ich hatte zwei größere Schwestern, aber die Leute, die zu uns kamen, wollten mich als Braut. Sie sagten, dass ich mit dem Jungen, den ich heiraten sollte, gemeinsam aufwachsen würde. Ich war noch sehr jung, aber ich wusste, dass ich verheiratet werden sollte. In meinem Umfeld waren viele Mädchen verheiratet worden und mir war bekannt, was das bedeutet“, erzählt Sultan.
Was danach geschah, berichtet Sultan so: „Wir waren auf der Alm. Ich hütete die Schafe, meine Mutter und meine Schwestern waren am Melken. Dann wurde ich von Leuten entführt, die ebenfalls dort auf der Alm wohnten. Zwischen der Familie des Jungen, den ich heiraten sollte, und dieser anderen Familie gab es eine Fehde. Aus dem Grund wurde ich entführt. Vorher kamen sie sogar zu uns zum Essen. Mein Bruder begleitete sie bis zur Dorfausfahrt. Sie gingen jedoch nicht weg und warteten den nächsten Morgen ab, um mich abzufangen. Sie fragten mich nach meinem Namen und forderten mich auf, in ihr Auto zu steigen. Als ich mich weigerte, zwangen sie mich mit Gewalt dazu. Frauen aus dem Dorf wollten den Weg versperren, aber es wurde auf sie geschossen. Meine Schuhe und mein Kopftuch blieben dort zurück. Damit meine Familie mich nicht findet, wurde ich in ein anderes Dorf gebracht. Ich weinte und schrie, aber sie brachten mich nicht zurück. So wurde ich zur Frau eines anderen Mannes gemacht. An meiner Stelle wurde meine Schwester mit meinem Verlobten verheiratet.“
Sultan bekam Kinder und hütete gemeinsam mit anderen Frauen Schafe. „Wir Frauen kümmerten uns um mindestens hundert Schafe. Die Männer sorgten nur für das Heu. Wir haben sehr gelitten und mussten wie Sklavinnen arbeiten, aber mit den Jahren wurde es besser. Dabei spielten die Ideen von Abdullah Öcalan eine große Rolle. Wir zogen aus dem Dorf nach Gever (Yüksekova) und dort beteiligte ich mich an der politischen Arbeit. Bis spät in den Abend führten wir Frauenversammlungen durch. Als ich das erste Mal so spät nach Hause kam, fragte mein Mann, wo ich gewesen sei. Ich sagte: ‚Ab jetzt ist das so. Jetzt wirst du den Tisch decken und dich um die Kinder kümmern.‘ Er schwieg und wusste nicht, was er sagen sollte. Wir Frauen gaben uns inzwischen gegenseitig Kraft und konnten die Männerlogik einfach übergehen. Je mehr ich mich organisierte, veränderten sich auch meine Kinder und mein Mann. Mein Mann ist nicht mehr wie früher. Wir räumen zusammen den Tisch ab und auch die andere Arbeit erledigen wir gemeinsam.“