Die Frauenverteidigungseinheiten (YPJ) in Nord- und Ostsyrien haben eine Ezidin aus der Gefangenschaft der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) befreit. Das teilte die Generalkommandantur der Frauenkampfverbands am Sonntag in Hesekê mit. Die junge Frau wurde als Kind aus dem Şengal verschleppt und lebte zuletzt unter den im Auffang- und Internierungslager Hol untergebrachten IS-Familien, die sie als Sklavin missbrauchten. Nun werde sie von den YPJ in die Obhut des Mala Êzîdîya (Ezidisches Haus) gegeben. Die Einrichtung wird die psychische Erste Hilfe und gesundheitliche Versorgung der jungen Frau und ihrer beiden Kinder übernehmen. Anschließend soll sie mit ihren Familienmitgliedern, die den IS überlebt haben, zusammengeführt werden.
Die Befreiung der Ezidin kam den Angaben nach vergangene Nacht im Rahmen der Sicherheitsoperation gegen die organisierten Strukturen des IS zustande, die seit nunmehr einer Woche in Hol läuft. Nach einem Hinweis konnte ihr genauer Aufenthaltsort ermittelt und die Frau aus dem Lager geholt werden. Laut den YPJ stammt sie gebürtig aus dem Dorf Hardan, das auf der Nordseite des Şengal-Massivs im südlichen Kurdistan bzw. im Nordwesten des Iraks liegt. Die Ortschaft gehört zu jenen, die am 3. August 2014 als erstes vom IS überrannt worden waren.
Vor dem Genozid und Femizid in Şengal lebten in Hardan etwa 200 Familien. Hunderte Bewohnerinnen und Bewohner, die meisten von ihnen Männer, wurden bereits in den ersten Augusttagen 2014 getötet und in Massengräbern verscharrt. Über 360 Menschen – Frauen, Mädchen und Jungen – verschleppte der IS. Weitere 132 Personen aus dem Dorf gelten bis heute als vermisst. Es wird vermutet, dass sich einige von ihnen in den sieben Massengräbern befinden könnten, die vom IS in Hardan angelegt wurden. Nicht alle gefundenen Leichen konnten identifiziert werden.
Die nun in Camp Hol befreite Ezidin befand sich 2014 unter den Frauen und Mädchen, die vom IS zunächst in die östlich von Şengal gelegene Stadt Tel Afar (auch Tal Afar) gebracht und weggesperrt wurden, bevor sie in den damaligen IS-Hochburgen Mossul und Raqqa als Sklavinnen an Söldner und Anhänger der Terrormiliz verkauft wurden. Nach Camp Hol gelang sie im Verlauf der finalen Befreiungsoffensive der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) im Frühjahr 2019. Sie wurde von IS-Anhängerinnen festgehalten, die bis zuletzt in der letzten IS-Bastion Hajin im Osten Syriens ausharrten und im Zuge der Zerschlagung des IS-Kalifats nach Hol kamen. Die Ezidin gaben sie als ihre Angehörige aus. So konnte sie unentdeckt noch über Jahre vom IS ausgebeutet werden. Damit ist jetzt Schluss.
Angriff auf Şengal
Am 3. August 2014 wurde das ezidische Volk mit dem Einfall des IS in Şengal einem weiteren Völkermord, dem 74. Ferman, überlassen. Wer sich retten konnte, flüchtete in die Berge. Auf dem Weg dorthin verdursteten unzählige Kinder und ältere Menschen. Wer es nicht mehr aus der Stadt schaffte, wurde bestialisch ermordet. Der IS verübte Massenmorde an Männern und entführte Frauen und Kinder, um sie zu vergewaltigen, zu versklaven oder zu Kindersoldaten zu rekrutieren. Jüngeren Schätzungen nach fielen etwa 10.000 Menschen den Massakern in Şengal zum Opfer, mehr als 400.000 Menschen wurden aus ihrer Heimat vertrieben. Über 7.000 Frauen und Kinder wurden verschleppt, bis heute fehlt von etwa 2.700 von ihnen jede Spur.