Terrorverfahren gegen kurdische Politikerin wegen grünen Bohnen

Die Anklageschrift gegen die abgesetzte Bürgermeisterin von Şemrex ist eingereicht worden. Die Politikerin soll sich aufgrund der Gründung einer Frauenkooperative einem Prozess wegen Terrorvorwürfen stellen.

Die Anklageschrift gegen die abgesetzte Ko-Bürgermeisterin der kurdischen Stadt Şemrex (türk. Mazıdağı) Nalan Özaydın ist beim 2. Schwurgerichtshof der Provinzhauptstadt Mêrdîn (Mardin) eingereicht worden. Der HDP-Politikerin wird „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation“ vorgeworfen. Mit der Einreichung der Anklageschrift ist damit zu rechnen, dass sich Özaydın in Kürze einem Prozess stellen muss. Unklar ist jedoch, wann die Sitzungen beginnen, da die türkische Justiz vor dem Hintergrund der Coronavirus-Pandemie eingeschränkt arbeitet.

Eindeutig klar ist allerdings, dass es sich bei dem 33-seitigen Papier um eines von vielen Fantasiegebilden türkischer Strafverfolgungsbehörden handelt, das durchaus als hanebüchenes Hirngespinst gewertet werden kann. So werden der seit November 2019 auf Betreiben des Innenministeriums inhaftierten und durch einen Zwangsverwalter ersetzten Bürgermeisterin ihre Aktivitäten für die Frauenkooperative Sarya zur Last gelegt. Bei der Genossenschaft handelte es sich um eines der ersten Projekte der im März 2019 neugewählten HDP-Stadtverwaltung, da zuvor während der dreijährigen Zwangsverwaltung keinerlei Ausgaben für Frauenprojekte stattfanden und bestehende Einrichtungen systematisch zerschlagen wurden.

Das Land war damals von Bauern gespendet worden, die Aussaat stellte die Kooperative aus eigenem Budget. Das anvisierte Ziel war es, hunderte von Frauen zu erreichen und einen Markt zu schaffen. Als erste Handlung wurden grünen Bohnen angepflanzt. Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft Mardin handele es sich dabei um einen terroristischen Akt, da „zweckgerichtetes Zusammenwirken in Kooperativen, Räten und Kommunen typisch für das Handlungsmuster der KCK“ seien. Die KCK (Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans) ist ein auf Initiative des inhaftierten Vordenkers Abdullah Öcalan gebildeter Dachverband der kurdischen Befreiungsbewegung.

Frauenkooperative Sarya

Auch politische Aktivitäten Özaydıns für den Demokratischen Gesellschaftskongress (DTK) und die Bewegung Freier Frauen (TJA) sowie den mittlerweile verbotenen Kongress der Freien Frau (KJA) werden als Beweise gegen sie in der Anklageschrift aufgeführt. Zudem beruht die Anklage teilweise auf den Aussagen von sogenannten „geheimen Zeugen“, die „gehört“ haben wollen, dass die Politikerin „Geld in die Berge“ (gemeint ist die Guerilla) geschafft habe.

Nach der Verhaftung Nalan Özaydıns musste die Kooperative ihre Projekte aussetzen. Dutzende Frauen und mit ihnen ihre Familien haben dadurch kein Einkommen mehr. Der bevorstehende Prozess gegen die Politikerin ist nur einer von vielen fingtierten Ermittlungsverfahren gegen Bürgermeister*innen der Demokratischen Partei der Völker (HDP), um die Zwangsverwaltung in den kurdischen Kommunen zu legitimieren.