Selva Ehmed: „Sie stellen ihre eigene Barbarei zur Schau“

Die türkische Invasion in Nordsyrien wird von unmenschlichen Kriegsverbrechen begleitet. Selva Ehmed aus Serêkaniyê sagt, dass sich die Angriffe der Besatzer ganz bewusst gegen die Frauenbewegung richten.

Selva Ehmed ist Sprecherin des Frauendachverbands Kongreya Star in Serêkaniyê (Ras al-Ain). Aufgrund der türkischen Invasion musste sie wie Tausende weitere Menschen die Stadt verlassen. Sie berichtet, dass Massaker an der Bevölkerung vollzogen und besonders Frauen zum Ziel von Angriffen werden:

„In Serêkaniyê ist innerhalb der verschiedenen Volksgruppen – den Kurden, Arabern, Suryoye und Armeniern – ein gesellschaftlicher Frieden entstanden. Wir haben auf demokratische Weise zusammengearbeitet. Es gab eine Atmosphäre der Geschwisterlichkeit der Völker und als Ergebnis großer Anstrengungen ging es in Richtung einer demokratischen Nation. Alle zivilgesellschaftlichen Einrichtungen haben mit ihrer eigenen Farbe und Identität zusammengearbeitet. Wegen den Angriffen der Türkei mussten die Menschen Serêkaniyê verlassen und fliehen.

Beschlagnahmung freier Lebensräume

Die Stadt war auch vor dem 9. Oktober den ständigen Drohungen des türkischen Staates ausgesetzt. Am 9. Oktober hat die türkische Armee unser Land aus der Luft und mit Bodentruppen angegriffen. Vorher gab es bereits Angriffe von Dschihadisten, die sich ‚Arteşa Azad‘ nannten. Jetzt werden diese Angriffe vom türkischen Staat fortgesetzt. Es handelt sich dabei um die Beschlagnahmung freier Lebensräume. Die Türkei will die demografische Struktur der Region verändern. Das nehmen wir nicht hin.

Erdoğans Ziel ist ein Genozid an den Völkern der Region. Auch die Angriffe auf Til Temir fallen in diesen Rahmen. Diese Völkermordpolitik wird eines Tages auf Erdoğan zurückfallen. Es wird eine Wiederbelebung der alten Osmanen angestrebt. Das Osmanische Reich soll wieder auferstehen. In allen vier Teilen Kurdistans soll die Bevölkerungsstruktur geändert werden. Diese Politik werden wir niemals hinnehmen und bis zum letzten Blutstropfen Widerstand leisten.

NATO-Angriff auf eine kleine Stadt

Serêkaniyê ist eine kleine Stadt, die von einem NATO-Staat angegriffen wird. Keine internationale Kraft stellt sich dagegen. Nur der Willen unseres Volkes steht dagegen und kämpft gegen die Besatzung. Es wird von Menschenrechten gesprochen, aber in der allgemeinen Öffentlichkeit gibt es nicht genügend Unterstützung angesichts der Massaker, die unserem Volk angetan werden. Die Zivilbevölkerung wird ermordet, es werden chemische Waffen eingesetzt, auch gegen Kinder. Die internationalen Mächte schweigen dazu. Auch für uns Menschen in Serêkaniyê gelten die Menschenrechte.

Bewusste Angriffe auf die Frauenbefreiungsbewegung

Die Angriffe des türkischen Staates richten sich insbesondere gegen das freie Leben von Frauen. Die kurdische Politikerin Havrin Khalaf war eine Symbolfigur für die Gegenwart und Zukunft freier Frauen. Der Mord an ihr war ein Angriff auf den Frauenbefreiungskampf. Ein weiteres Beispiel ist der Mord an unseren Freundinnen, die im Gesundheitsdienst für den Kurdischen Roten Halbmond (Heyva Sor a Kurd) gearbeitet haben. Diese grausamen Angriffe sind von den Banden des türkischen Besatzerstaates gefilmt worden. Sie stellen ihre eigene Barbarei zur Schau. Es geht dabei ganz bewusst um einen Angriff auf die Frauenbewegung.

Bis die Besatzung vorbei ist

Eine der organisierten Kräfte, die im Moment in den Kriegsgebieten für die Freiheit der Bevölkerung und der Frauen kämpft, sind die YPJ. Die YPJ besteht aus den Töchtern dieses Volkes. Die Morde an Havrin Khalaf und den Mitarbeiterinnen von Heyva Sor haben das gleiche Ziel wie der Angriff auf die YPJ-Kämpferin Çiçek Kobanê. Es sind alles geplante Angriffe. Dagegen werden wir uns noch besser organisieren und kämpfen, bis die Besatzung vorbei ist.