Die kurdische Politikerin Sebahat Tuncel ist seit dem 15. Januar im Gefängnis Kandira im unbefristeten Hungerstreik. Sie ist Ko-Vorsitzende der DBP (Partei der demokratischen Regionen) und wurde im Februar nach über zwei Jahren Untersuchungshaft zu 15 Jahren Freiheitsstrafe wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation verurteilt. Die 43-jährige Politikerin ist nicht das erste Mal in der Türkei im Gefängnis. Bereits 2006 wurde sie verhaftet und bei den Parlamentswahlen 2007 aus dem Gefängnis als Abgeordnete in die türkische Nationalversammlung gewählt.
Sebahat Tuncel hat sich wie Tausende weitere Gefangene dem am 7. November von Leyla Güven initiierten Hungerstreik gegen die Isolation des PKK-Gründers Abdullah Öcalan angeschlossen. Im ANF-Interview hat sie sich zu den Hintergründen des Hungerstreiks und der Beteiligung von Frauen geäußert.
Tausende Menschen befinden sich im Hungerstreik, darunter auch Sie. Können Sie uns von Ihrem Widerstand erzählen?
Leyla Güven ist seit Jahren ein aktives Mitglied der kurdischen Frauenbewegung und kämpft für ein freiheitliches System. Aus ihrer Erfahrung heraus, dass ohne eine Lösung der kurdischen Frage nicht von einem wirklichen Frieden, von Demokratie, Freiheit und Sicherheit im Mittleren Osten gesprochen werden kann, hat sie mit ihrem am 7. November begonnenen Hungerstreik in den Entwicklungsprozess eingegriffen. Durch diese Intervention ist in einer Zeit, in der die Politik keine Antwort auf die bestehenden gesellschaftlichen Probleme gibt, eine neue Hoffnung entstanden. Der Hungerstreik breitet sich weltweit aus. Zuletzt hat am 1. März eine Massenbeteiligung in den Gefängnissen begonnen. Tausende politische Gefangene haben sich dieser Form des Kampfes angeschlossen. Sie fordern mit großer Entschlossenheit die Beendigung der Totalisolation Abdullah Öcalans sowie freie Arbeits- und Lebensbedingungen für ihn.
Was denken Sie darüber, dass die Hungerstreik-Bewegung von einer Frau gestartet worden ist und sich viele Frauen angeschlossen haben?
Der Kampf von Frauen für Gleichheit, Freiheit und Frieden hat eine Geschichte von Tausenden Jahren. Mit der Entstehung einer patriarchalen Gesellschaftsordnung sind Frauen aus dem Leben gedrängt worden. Ihre Arbeit und ihre Körper werden ausgebeutet, alle gesellschaftlichen Gesetze richten sich gegen Frauen. Die Erfahrungen von Frauen zeigen, wie wichtig Solidarität unter Frauen ist. Der organisierte Kampf von Frauen ist Voraussetzung für den Kampf für Freiheit, Gleichheit, Demokratie und Frieden. Organisierte Frauenstrukturen leisten einen wesentlichen Beitrag zu gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen, zu Veränderung und Transformation.
Die kurdenfeindliche und ausweglose Politik der Türkei seit 2015, die Abschaffung von Rechten und Freiheiten, der permanente Ausnahmezustand sowie die gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen der vergangenen vier Jahre treffen die Frauen am stärksten. Für Frauen gibt es keinen sicheren öffentlichen Raum mehr. Die patriarchale Gewalt ist in allen Lebensbereichen spürbar. Morde und Gewalt an Frauen sind zu einem normalen Bestandteil des Lebens geworden. Die Palast-Koalition von AKP und MHP fürchtet nichts so sehr wie den organisierten Kampf von Frauen. Aus diesem Grund ist auch die feministische Demonstration am 8. März am Taksim in Istanbul angegriffen worden. Aktionen, die von Frauen initiiert sind und bei denen Frauen eine tragende Rolle spielen, haben größere Chancen auf Erfolg. Das ist auch den Herrschenden bewusst und deshalb werden vor allem organisierte Frauen angegriffen.
Parallel zur Unterdrückung und Negierung durch den Staat herrscht heute ein großes Schweigen zur Isolation. Was sagen Sie dazu und wie lautet Ihre Botschaft nach draußen?
Ich glaube daran, dass der von Leyla Güven angeführte Kampf, an dem sich viele Frauen beteiligen, zum Erfolg führen wird. Das heute auf Imrali angewandte Sonderrecht und die Isolationspolitik werden über die Person Abdullah Öcalans gegen alle Völker der Türkei angewendet. Die Durchbrechung der Isolation würde nicht nur für die Kurden, sondern für alle Menschen in der Türkei einen Neuanfang darstellen.
Der einzige Ausweg aus der Dunkelheit, in der die faschistische AKP/MHP-Regierung die Türkei getrieben hat, ist der von Leyla Güven angeführte Widerstand gegen den Faschismus und die Isolation. Und dieser Widerstand wird Erfolg haben.
Unsere Aktion und der Aufbau von Solidarität sind sowohl für den Frauenbefreiungskampf als auch für eine demokratische und freiheitliche Zukunft der Menschen in der Türkei von kritischer Bedeutung. Wer gegen das bestehende System in der Türkei ist, wer Demokratie einen Raum geben will, wer Rechte und Freiheiten entsprechend der Würde des Menschen einfordert, muss sich solidarisch zeigen und gegen den Faschismus kämpfen. Niemand ist wirklich frei, solange ein einziger Mensch nicht frei ist.