An der 11. Großen Strafkammer zu Diyarbakir (kurd. Amed) ist am Montag der Prozess gegen Remziye Sızıcı eröffnet worden. Die kurdische Aktivistin wird im Rahmen eines Verfahrens gegen den Frauenverein Rosa der „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation“ beschuldigt. Die Ermittlungen beruhen formal auf den Aussagen namentlich nicht benannter Zeugen. Angeblich soll der Verein gegründet worden sein, um Mitglieder für die PKK zu werben, indem er öffentlichkeitswirksame Themen wie Femizide und Gewalt an Frauen benutzt.
Persönlich anwesend war Sızıcı nicht im Verhandlungssaal, stattdessen wurde sie aus dem Frauengefängnis Amed über das Videokonferenzsystem SEGBIS in die Verhandlung eingebunden. Seit dem 24. Mai befindet sich die Aktivistin in Untersuchungshaft. Zeitgleich waren auch elf weitere Personen aus der kurdischen Frauenbewegung sowie HDP-Strukturen verhaftet worden. Unter ihnen befand sich auch die Rosa-Vorsitzende Adalet Kaya, die im August aus dem Gefängnis entlassen wurde. Die Verfahren gegen Kaya und Sızıcı sind inzwischen zusammengelegt worden.
Anklage stört sich an öffentlichkeitswirksamen Aktionen
Zu ihrer Verteidigung klärte Sızıcı das Gericht zunächst über Rosa auf. Der Verein ist Ende 2018 als Anlaufstelle für von Gewalt betroffene Frauen gegründet worden und stellt nach der staatlich verordneten Schließung aller städtischen Fraueneinrichtungen nach dem vermeintlichen Putschversuch vom Sommer 2016 die einzige Institution in Amed dar, an die Frauen sich bei Beratungs- und Unterstützungsbedarf wenden können. „Es ist nur natürlich, dass ich als Frau Mitglied dieser Vereinigung bin, die sich für die Rechte von Frauen einsetzt und patriarchalische Gewalt bekämpft. Zugleich bin ich Politikerin und Ko-Vorsitzende der HDP im Bezirk Yenişehir (kurd. Bajarê Nû). Nichts ist so normal wie die Tatsache, dass wir für unsere Anliegen eine Öffentlichkeit herstellen und basisdemokratische Aktivitäten durchführen“, sagte Sızıcı.
Kaya-Verteidigerin: Fingierte Anklageschrift und juristische Schikane
Adalet Kayas Verteidigerin Gözde Engin sprach von einer fingierten Anklageschrift und juristischer Schikane, durch die der Frauenverein Rosa kriminalisiert werden soll. Alle Aktionen der Aktivistinnen, die von der Generalstaatsanwaltschaft als angebliche Straftaten klassifiziert wurden, seien legal und nicht zu beanstanden. „Obwohl kein einziger konkreter Beweis für eine Straftat vorliegt, wurde gegen meine Mandantin eine Observation angeordnet. Doch auch im Rahmen der systematischen Beobachtung konnten die Behörden keine strafrechtlich relevanten Handlungen feststellen. Dennoch wurde die Überwachung bis zu ihrer Festnahme und darauf folgenden Inhaftierung fortgesetzt”, erklärte Engin und forderte Freispruch.
Adalet Kaya: Angeklagt, weil wir Frieden wollen
Adalet Kaya selbst führte aus, dass der Verein Rosa aufgrund seiner Zielsetzung in ständigem Kontakt mit den türkischen Sicherheits- und Justizbehörden sei. Keine der Aktivitäten verstießen gegen gesetzliche Bestimmungen. „Ein anderer Grund, weshalb wir angeklagt sind, ist die Tatsache, dass wir uns auch für Frieden einsetzen.“ Damit wies Kaya auf die seitens der Staatsanwaltschaft inkriminierten Aktionen hin, die den Rosa-Aktivistinnen zur Last gelegt werden. Unter anderem geht es um eine Kundgebung zum internationalen Frauenkampftag am 8. März, öffentlichen Erklärungen gegen die Einsetzung von Zwangsverwaltern in den von der HDP regierten Rathäusern und Solidaritätsaktionen für den Rat der Friedensmütter während des Hungerstreiks gegen die Isolation Abdullah Öcalans zwischen 2018 und 2019.
Zwölf Verfahren zusammengelegt
Zum Ende der Verhandlung ordnete das Gericht die Aufhebung des Haftbefehls gegen Remziye Sızıcı und die Zusammenlegung von insgesamt zwölf Verfahren gegen Rosa/HDP-Mitglieder an. Der Prozess wird am 25. Januar 2021 fortgesetzt.