An der 9. Schwurgerichtskammer in der nordkurdischen Metropole Amed (türk. Diyarbakir) ist am Montag der Prozess gegen die Rosa-Aktivistin Gülistan Nazlıer eröffnet worden. Die frühere Vize-Bezirksbürgermeisterin von Bajarê Nû (Yenişehir) war am 6. Juni wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in der PKK in Amed festgenommen und einen Tag später in Untersuchungshaft genommen worden. Die Anklage gegen sie im Rahmen des Ermittlungsverfahrens gegen den Frauenverein Rosa beruht formal auf den Aussagen namentlich nicht benannter Zeugen. Angeblich soll der Verein gegründet worden sein, um Mitglieder für die PKK zu werben, indem er öffentlichkeitswirksame Themen wie Femizide und Gewalt an Frauen benutzt.
Vor Gericht wies Nazlıer die Anschuldigungen gegen sie und den Verein zurück. Die Aktivistin unterstrich, dass es sich bei der 2018 in Amed gegründeten Einrichtung um eine Anlaufstelle für Frauen handelt, die von Gewalt betroffen sind. Rosa stellt nach der staatlich verordneten Schließung aller städtischen Fraueneinrichtungen mittlerweile die einzige Institution in der gesamten Provinz dar, an die Frauen sich bei Beratungs- und Unterstützungsbedarf wenden können.
Auch den Vorwürfen, gegen das Versammlungsverbot verstoßen zu haben, widersprach Nazlıer. „Alle Aktionen und Veranstaltungen, die wir als Verein organisiert haben, waren erlaubt und grundrechtlich geschützt. Aus den aus abgehörten Telefongesprächen erstellten Protokollen geht ebenfalls nichts hervor, womit eine ‚organisatorische Verbindung‘ von Rosa oder mir mit irgendeiner Vereinigung untermauert werden könnte“, sagte die Aktivistin und forderte das Gericht auf, sie freizulassen. „Ich habe ein pflegebedürftiges Kind, um das ich mich kümmern muss.“
Das Gericht ordnete die Aufhebung des Haftbefehls gegen Gülistan Nazlıer an, verhängte allerdings ein Ausreiseverbot. Der Prozess wird am 18. November in Amed fortgesetzt.