Rojbin Perişan nach dreißig Jahren Gefängnis frei

Nach dreißig Jahren in türkischen Gefängnissen ist Rojbin Perişan endlich frei. Die Kurdin war 1992 im Alter von 19 Jahren von einem Staatssicherheitsgericht als „Terroristin“ verurteilt worden, in Haft verfasste sie Romane, Gedichte und Kurzgeschichten.

Die politische Gefangene Rojbin Perişan ist nach dreißig Jahren in türkischen Gefängnissen freigelassen worden. Am Sonntag konnte die Kurdin ihren letzten Aufenthaltsort hinter Gittern, die Frauenvollzugsanstalt Gebze bei Kocaeli verlassen. Dort wurde sie von zahlreichen Menschen mit Applaus, Blumen und Küssen begrüßt. Neben Familienmitgliedern waren auch Aktivistinnen der kurdischen Frauenbewegung und der Gefangenensolidarität, die „Friedensmütter“ sowie Mitglieder der HDP gekommen, um Perişan in Freiheit willkommen zu heißen. Ihre ersten Worte lauteten: „Es ist schön, unter euch zu sein. Doch die Freude ist getrübt. Hunderte unserer Freundinnen sind nach wie vor im Gefängnis. Dabei sind es die Frauen und das Leben, die Freiheit am meisten verdienen. Mein größter Wunsch ist es, dass alle Gefangenen freikommen.“

Rojbin Perişan wurde 1973 in Licê bei Amed (tr. Diyarbakır) geboren. Sie studierte auf Lehramt an der Universität in Sêrt, als sie sich 1991 der PKK anschloss. Ein Jahr später geriet sie in Amed in Gefangenschaft. Über einen Monat befand sie sich in extralegaler Polizeihaft und wurde schwer gefoltert, bevor sie in reguläre Untersuchungshaft kam. 1992 wurde sie von einem Staatssicherheitsgericht (DGM, mittlerweile abgeschafft) wegen „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ zu einer erschwerten lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.

Während ihres Aufenthalts in Gefängnissen in Amed, Riha (Urfa), Sêwas (Sivas), Midyad und zuletzt in Gebze am anatolischen Stadtrand von Istanbul war Rojbin Perişan mehrmals im Hungerstreik gegen die Entrechtung der politischen Gefangenen. Sie wurde in der Liste der kranken Gefangenen des Menschenrechtsvereins IHD geführt, da sie häufig an Zysten im Magen-Darm-Trakt litt und zuletzt an Gebärmutterhalskrebs erkrankte. Vor einigen Jahren wandte sich Perişan dem Schreiben von Gedichten, Kurzgeschichten und Romanen zu. Mit ihrem ersten Werk „Saçlar ve Gölgeler” (Haare und Schatten) über die Realität kurdischer Frauen in der Türkei gewann sie bei verschiedenen Literaturwettbewerben den ersten Preis. Danach schrieb sie noch „Bakır Sesli Kadınlar” (Frauen mit kupfernen Stimmen), „Gözyaşımın Ağıdıydı Seni Beklemek“ (Das Warten auf dich war die Klage meiner Tränen), „Kırık Taşlar“ (Gebrochene Steine) und „Toprağın Şarkısı“ (Das Lied der Erde).

Letzteres Werk behandelt den Widerstand gegen die türkische Militärbelagerung in Cizîr im Winter 2015/2016. Im Fokus des Romans liegen die „Todeskeller von Cizîr“ – dieser Ausdruck steht für eine Reihe von Massakern, die das türkische Militär am 7. Februar 2016 in der nordkurdischen Kreisstadt verübte – in Wohngebäuden, in denen etliche Menschen während der Militärbelagerung Schutz vor den Kriegsverbrechen des türkischen Staates suchten. Nach Berichten von Menschenrechtsorganisationen sind in Cizîr mindestens 288 Menschen im Verlauf der Belagerung getötet worden – allein 177 von ihnen in den Todeskellern. 2019 wurde „Toprağın Şarkısı“ in der Türkei per Gerichtsbeschluss verboten und konfisziert. Zur Begründung hieß es, der Roman wirke als Mittel für „Terrorpropaganda“. Gegen den Herausgeber, den kurdischen Aram-Verlag, lief ein Ermittlungsverfahren.