Revolution in the Making: Ein Ausblick

Nach der internationalen Frauenkonferenz am vergangenen Wochenende in Frankfurt verweist Meral Çiçek auf die wichtigsten Ergebnisse und gibt einen Ausblick, wie der gemeinsame Kampf weitergehen kann.

Am vergangenen Wochenende haben sich über 500 Frauen auf der Konferenz „Revolution in the Making“ in Frankfurt getroffen. Organisiert wurde die Konferenz von der kurdischen Frauenbewegung, aber nur knapp ein Viertel der Teilnehmerinnen waren Kurdinnen. Alle anderen kamen aus verschiedenen Ländern Europas und der ganzen Welt. Es war wirklich eine internationale Konferenz.

Mehr als 500 Frauen waren in Frankfurt, aber noch viel mehr wollten kommen. Aufgrund der begrenzten Räumlichkeiten sind bereits im Vorfeld keine weiteren Anmeldungen mehr angenommen worden. Wäre mehr Platz gewesen, wären noch mehr Frauen zusammengekommen.

Das riesige Interesse zeigt, dass die Konferenz ein gemeinsames Bedürfnis von Frauen jenseits von Ländergrenzen und Altersgruppen angesprochen hat. Es besteht Bedarf an einer Diskussion über die Auswirkungen der Krise des patriarchalen Systems auf Frauen in Europa, im Mittleren Osten, in Lateinamerika, in den USA, in Asien und in Afrika. Es besteht Bedarf an einem Erfahrungsaustausch der verschiedenen Frauenbewegungen und einer Auseinandersetzung über die Methoden und das Verständnis eines gemeinsamen Kampfes.

Patriarchat in der Krise

Alle Referentinnen und Teilnehmerinnen waren sich einer Sache bewusst: Wir befinden uns in einem Prozess von historischer Bedeutung. Das patriarchale Herrschaftssystem steckt in einer strukturellen Krise und diese Krise macht sich bei Frauen in Form von Angriffen bemerkbar. Bei globaler Betrachtung können wir sogar von einem Kriegszustand sprechen. Die unmittelbarste Form haben wir Frauen im Mittleren Osten, insbesondere als kurdische Frauen, in der Konfrontation mit dem sogenannten Islamischen Staat erlebt. Diese Konfrontation geht weiter.

Wir sprechen jedoch nicht von einer historischen Zeit, weil sich die Krise des Patriarchats verschärft hat und die Angriffe zunehmen, mit denen Frauen daran gehindert werden sollen, sich zu befreien und als selbständig agierende Subjekte wahrgenommen zu werden. Was diese Zeit so besonders macht, sind die global zunehmende Suche von Frauen nach Freiheit und die Möglichkeit, dieses Jahrhundert zu einem Jahrhundert der Frauenbefreiung zu machen.

Diese Möglichkeit ist größer als je zuvor. Notwendig ist jedoch ein gemeinsamer organisierter Kampf. Dieser Punkt ist auf der Frauenkonferenz häufig angesprochen worden. Der Bedarf nach einer Vernetzung zwischen Frauenorganisationen und Frauenbewegungen weltweit wird oft thematisiert. Viel seltener wird jedoch über die Methoden, Mittel, Begriffe und Konzepte diskutiert, die für einen gemeinsamen Befreiungskampf von Frauen in verschiedenen Teilen der Welt notwendig sind. Wir sprechen von gemeinsamem Kampf, von demokratischen Bündnissen, von radikalem Widerstand und dem Aufbau eines Systems, aber was sind die Parameter dafür? Und damit einhergehend, was sind die Denkweisen, Methoden und Umgangsweisen, die uns an einem Zusammenkommen mit unseren Unterschiedlichkeiten hindern, eine Distanz zwischen uns herstellen und uns Grenzen setzen?

Radikale Kritik und Selbstkritik

Natürlich ist auf der Konferenz auch über schmerzhafte Erfahrungen gesprochen worden. Das globale patriarchal-kapitalistische System ist analysiert worden. Das ist allerdings mehr aus subjektiver Perspektive geschehen. Der allgemeine Fokus lag auf dem Kampf und dem Widerstand. Zum großen Teil waren die Beiträge von Kritik und Selbstkritik geprägt. Und das ist auch eines der wichtigsten Ergebnisse der Konferenz: Um aus diesem Zeitalter ein Jahrhundert der Frauenbefreiung zu machen, brauchen wir radikale Kritik und Selbstkritik.

Damit einhergehend sind viele Fragen aufgeworfen worden, mit denen wir uns nach der Konferenz vorrangig beschäftigen müssen: Wie wollen wir leben? Wir sollen die Beziehungen zu Frauen, Männern, der Gesellschaft und der Natur sein? Wie soll ein neuer Gesellschaftsvertrag aussehen? Was für ein System wollen wir? Wir können wir ein Frauensystem, einen weltweiten Frauenkonföderalismus aufbauen? Welche Methodik und Terminologie brauchen wir dafür? Welche gemeinsamen Mechanismen brauchen wir, um anstelle von Solidarität Subjekte desselben Kampfes zu sein und ein neues ‚wir‘ zu erschaffen?

Wir nennen es Revolution

Was jetzt ansteht, ist der Aufbau einer Geschwisterlichkeit der Bewegungen und eines Bewusstseins über die Dringlichkeit einer Gesamtheit. Wir müssen uns und unseren Schmerz fühlen können und daraus ein Verständnis der Selbstverteidigung entwickeln. Wir müssen den Individualismus aufgeben, die zerstörerischen Auswirkungen des Liberalismus auf Frauen erkennen und dagegen ankämpfen. Uns muss bewusst werden, was uns behindert und voneinander trennt. Nach welchen Prinzipien und Kriterien wollen wir eine Einheit von Frauen und nachhaltige Bündnisse aufbauen? Diese Fragen sind sehr wichtig, weil sie nicht nur Kritik, sondern auch die Perspektive eines Aufbaus widerspiegeln.

Wichtig ist jetzt, gemeinsam an den Fragen und Feststellungen zu arbeiten, die bei der Konferenz aufgeworfen wurden. Das Netzwerk „Frauen weben die Zukunft“ ist nicht nur für die Organisation der Konferenz entstanden, sondern vor allem, um die Ergebnisse der Konferenz in die Arbeit einfließen zu lassen, die Kämpfe zu vereinen und gemeinsam zu kämpfen.

Bereits jetzt sind wir viel mehr geworden. Wir werden noch mehr werden. Bereits jetzt gibt es verschiedenste Farben, Materialien und Motive innerhalb des Netzwerks. Mit jedem weiteren Knoten werden neue Farbtöne und Muster entstehen. Es entsteht etwas. Etwas befindet sich in der Entstehungsphase.

Wir nennen es Revolution.

Die Kolumne von Meral Çiçek erschien erstmalig am 10. Oktober 2018 in türkischer Sprache in der Tageszeitung Yeni Özgür Politika.