„Revolution in the Making“: Jenseits patriarchalen Denkens
Am Wochenende findet die zweitägige Frauenkonferenz „Revolution in the Making“ in Frankfurt statt. Die Veranstaltung wird vom „Network Women Weaving the Future“ organisiert.
Am Wochenende findet die zweitägige Frauenkonferenz „Revolution in the Making“ in Frankfurt statt. Die Veranstaltung wird vom „Network Women Weaving the Future“ organisiert.
In Frankfurt findet vom 6. bis 7. Oktober die internationale Frauenkonferenz „Revolution in the Making“ statt. Für die Tageszeitung Yeni Özgür Politika hat Sozdar Dersim mit Zilan Diyar über die Ziele der Konferenz gesprochen. Zilan Diyar ist als Vertreterin des Jineoloji-Komitees Teil des Netzwerks „Women Weaving the Future“, das die Konferenz organisiert.
Warum sprecht Ihr von „revolution in the making“, also einer Revolution im Aufbau?
Um diese Frage zu beantworten, muss ich erklären, unter welchen Bedingungen die Idee zu dieser Konferenz entstanden ist. In den vergangenen fünf Jahren ist die kurdische Frauenbewegung auf Konferenzen, Seminaren, Fortbildungen und Aktionen in vielen verschiedenen Ländern vom Libanon bis nach Indien, von Lateinamerika bis nach Kanada mit Frauen zusammengekommen. Dabei sind Kontakte entstanden, die sich gegenseitig ergänzt und in einigen Fällen sogar einen Wandel eingeleitet haben. Für die Frauenbefreiungsbewegung waren diese Zusammentreffen eine Gelegenheit, ihre Erfahrungen an andere Frauen weiterzugeben, die sich ebenfalls gegen Frauenunterdrückung einsetzen. Wir haben dabei festgestellt, dass die Weitergabe eigener Erfahrungen ebenso wichtig ist das Lernen aus Erfahrungen anderer. Vor allem ist es wichtig, eine langfristige Kampfperspektive zu entwickeln und aus kurzen Zusammentreffen bleibende Bündnisse entstehen zu lassen. Um der Ausbeutung von Frauen ein Ende zu setzen, brauchen wir keine vorübergehenden Bündnisse, sondern ein langfristiges Programm. Das Netzwerk „Women Weaving the Future“ (Frauen weben die Zukunft) ist deshalb gegründet worden. In dem Netzwerk sind verschiedene Einrichtungen und Organisationen der kurdischen Frauenbewegung vertreten. Die Idee zu der Konferenz ist in Diskussionen innerhalb dieses Netzwerkes entstanden.
Um auf die Frage zurückzukommen, das Motto „revolution in the making“ ist sehr bewusst gewählt worden. Die Frauenrevolution kann auf keinen Fall als ein abgeschlossenes Ereignis betrachtet oder auf einen Erfolg in der Vergangenheit beschränkt werden. Zweifellos hat die kurdische Frauenbewegung sehr große Erfolge zu verzeichnen. Es sind verschiedene Einrichtungen und Organisationen gegründet worden und werden weiterhin gegründet. Es finden Fortbildungen statt, auf denen nach Lösungen für die bestehenden gesellschaftlichen Probleme gesucht wird. Aber all das reicht nicht aus, um das Patriarchat als solches zu überwinden. Die „Frauenrevolution“ ist etwas, das in allen Lebensbereichen stattfinden muss. Sie muss kontinuierlich wachsen und dadurch entstehen immer neue Bedarfe. Es ist ein fließender Prozess.
Welche Organisationen nehmen an der Konferenz teil? Nach welchen Kriterien wurden die Teilnehmerinnen ausgesucht?
Mit einigen der teilnehmenden Organisationen und Einzelpersonen sind wir seit langer Zeit im Kontakt. Zum Beispiel haben die Paňuelos en Rebeldia langjährige Erfahrung in der Bildungsarbeit in Argentinien. Einmal jährlich findet ein lateinamerikaweites Treffen mit Einrichtungen und Organisationen statt. Im vergangenen Jahr konnten wir im Namen der Jineoloji daran teilnehmen. Dann gibt es beispielsweise in Frankreich die Femmes Solidaires, ein Netzwerk aus knapp 190 lokalen Vereinen, das zum Frauenkampf ermutigt und verschiedene Aktivitäten durchführt. An einigen ihrer Versammlungen haben auch Vertreterinnen der kurdischen Frauenbewegung teilgenommen.
Ein weiteres wichtiges Netzwerk, an dem wir uns seit seiner Gründung beteiligen, ist der Weltfrauenmarsch. Es definiert sich als internationale feministische Bewegung, in der Basisgruppen im Kampf gegen Armut und Gewalt an Frauen zusammen kommen. Der vierte Weltfrauenmarsch hat am 8. März 2015 in Nisêbîn in Nordkurdistan begonnen. Zu diesem Netzwerk bestehen Beziehungen auf lokaler Ebene und an den zentralen Versammlungen nehmen Vertreterinnen des Kurdischen Zentrums für Frauenangelegenheiten (REPAK) teil. Eine weitere Organisation, mit der wir seit langer Zeit in Kontakt stehen, ist das philippinische Frauenbündnis Gabriela. Außerdem gibt es Frauen aus Afghanistan, die bereits früher an unseren Veranstaltungen teilgenommen haben, und natürlich die Zapatistas und viele weitere mehr. Einige haben wir gerade erst kennengelernt, andere haben wir bereits häufig zu verschiedenen Anlässen getroffen, aber nie eine dauerhafte Beziehung mit ihnen aufgebaut, wie zum Beispiel tamilische und palästinensische Frauen. In dieser Hinsicht ist die Konferenz auch eine Art Selbstkritik für das, was wir bisher nicht erreicht haben.
Der Begriff „Kriterium“ passt meiner Meinung nach nicht. Kriterien festzulegen, birgt immer das Risiko einer Kategorisierung. Daher ist es vielleicht richtiger, es so zu sagen: Unser Grundprinzip lautet, dass es wichtig ist, jede Frau mit ihrem sozialen Umfeld kennenzulernen, die gegen die Kolonialisierung der Frau kämpft und sich damit inhaltlich auseinandersetzt. Die Referentinnen und Teilnehmerinnen haben wir anhand dieses Prinzips ausgesucht.
Welche Perspektiven beinhaltet die Konferenz? Auf welchen Themen liegt der Schwerpunkt?
Am ersten Tag findet eine Session zur Frauenpolitik und den Angriffen des kapitalistischen Systems auf Frauen statt. Es wird analysiert, wie die kapitalistische Moderne sich über Sexismus, Nationalismus, Fundamentalismus und Szientismus organisiert. Wir finden es wichtig, das System, das wir bekämpfen, zunächst zu analysieren. Nachmittags geht es in Workshops mehr ins Detail. Wir werden über die Auswirkungen von Wirtschaftskrisen, Migration, Armut, Faschismus und Ausbeutung auf Frauen diskutieren. Außerdem wollen wir uns darauf fokussieren, wie wir die Selbstverteidigung gegen den Feminizid institutionalisieren können. Bei allen Workshops haben wir darauf geachtet, dass die Perspektiven der Jineoloji mit einfließen. Das ist auch wichtig, um die Verbindung der Jineoloji zu diesen Bereichen zu konkretisieren. Jineoloji ist nicht etwas, das in höheren Sphären stattfindet, sondern eine Denk- und Lebensweise, die in alle Bereiche des Lebens einfließen muss. Im neunten Workshop – „Von der Theorie zur Praxis“ – geht es genau darum. Der Schwerpunkt liegt darauf, wie der Abstand zwischen der akademischen Welt und dem Kampf von Frauen aufgehoben werden kann.
Am zweiten Tag geht es um einen Erfahrungsaustausch zwischen der kurdischen und anderen Frauenbewegungen. Natürlich wird dabei eine Perspektive entstehen. Ich will jetzt jedoch kein Muster vorgeben, weil ich daran glaube, dass sie sich aus den Erfahrungen, Kritiken und Selbstkritiken der teilnehmenden Frauen herauskristallisieren wird.
Als kurdische Frauenbewegung betont Ihr seit langer Zeit die Bedeutung einer globalen Organisierung und eines auf Bündnissen basierenden Kampfes. Inwieweit ist das erreicht worden? Was hindert Frauen daran, ein gemeinsames Widerstandsnetz aufzubauen?
Wichtig ist vor allem, sich jenseits der Grenzen des vom Patriarchat erschaffenen Denkens zu bewegen. Alle Bündnisse, die wir bis heute eingegangen sind, dienen diesem Zweck. Natürlich sind wir damit ein gutes Stück vorangekommen. Wichtig ist jedoch die Kontinuität und dafür ist Organisierung notwendig. Es geht nicht um zeitlich und örtlich beschränkte Gemeinsamkeiten, sondern um eine Gemeinsamkeit im Denken. Deshalb habe ich von der Überwindung des patriarchalen Denksystems gesprochen. Viel zu oft versuchen wir im Umgang miteinander, die Realität des Gegenübers in unsere eigenen Denkmuster zu pressen. Anstatt uns kennenzulernen, warten wir in der Zusammenarbeit auf das, was wir hören wollen. Vor allem das ist es, was uns an einer Organisierung und Kontinuität hindert. Ich denke, dass wir weiterkommen, wenn wir diesen Umgang miteinander ändern. Also jede Frau muss ihren eigenen Bedarf festlegen und das tun, was notwendig ist. Das ist die einzige Erwartung, die wir haben. Es geht uns nicht um Vereinnahmung. Wir müssen über ein Vorgehen gemäß gemeinsamer Bedürfnisse und Perspektiven sprechen. So können meiner Meinung nach bleibende Bündnisse geschlossen werden. Globalität und Ganzheitlichkeit können entstehen, wenn meine Bedürfnisse sich mit denen einer Lateinamerikanerin oder einer Palästinenserin decken – und das halte ich für sehr wahrscheinlich.
Es gibt noch etwas, das ich ansprechen möchte, um die bisherige Arbeit sichtbar zu machen. Diese Konferenz wird das Ergebnis der gedanklichen und praktischen Arbeit aller Frauen seien. Uns hat es sehr motiviert, zu sehen, dass deutsche, italienische oder spanische Frauen sich genau so sehr für die Umsetzung der Konferenz engagieren wie kurdische Frauen, und dass die verschiedenen Einrichtungen, Räte und Medien der kurdischen Frauenbewegung einen großen Einsatz dafür gezeigt haben. Ich bin davon überzeugt, dass die Ergebnisse dieser bisher geleisteten Arbeit auf der Konferenz sichtbar werden.