Polizeiangriff gegen Aktivistinnen vor Prozessbeginn

Vor Beginn des Prozesses gegen 33 Frauen wegen ihres Protestes gegen die Austrittserklärung der türkischen Regierung aus der Istanbul-Konvention kam es in Ankara zu einem Polizeiangriff vor dem Gerichtsgebäude. Etwa 20 Frauen wurden festgenommen.

In Ankara hat der Prozess gegen 33 Frauenaktivistinnen und Journalistinnen begonnen, die sich an einem Protest der Frauenplattform gegen den Austritt der Türkei aus der Istanbul-Konvention beteiligten. Bei der Aktion am 12. August 2020 waren die 33 Frauen vorübergehend festgenommen worden. Angeklagt sind sie wegen Verstoß gegen das türkische Demonstrationsgesetz.

Vor Beginn der Verhandlung wurde bereits das Gericht wie auch der Verhandlungssaal von der Polizei weiträumig abgeriegelt. Als Prozessbeobachterinnen versuchten, vor dem Gerichtsgebäude eine Presseerklärung abzugeben, wurden die Frauen von der Polizei angegriffen. Dabei wurden etwa 20 der Beteiligten festgenommen.

Die Männerjustiz schreibt ihr eigenes Urteil“

Daraufhin formierten sich die Frauen zu einem Protestzug gegen die Polizeigewalt und die Männerjustiz. In einem Redebeitrag hieß es: „Hier werden Frauen verfolgt, die feststellen, dass das Übereinkommen von Istanbul weiterhin gilt. Nicht wir Frauen werden hier abgeurteilt, es ist die Männerjustiz, die sich selbst verurteilt. Wir Frauen werden die Konvention durchsetzen.“ Die Frauen spielen damit darauf an, dass es juristisch hoch umstritten ist, ob die Regierung überhaupt rechtlich in der Lage ist, aus einer internationalen Konvention, die sie unterzeichnete, im Schnellverfahren auszutreten.

Polizei griff auch Journalist:innen an

Auch Journalist:innen waren von der Polizeigewalt betroffen. Die Korrespondentin Dilan Babat von der Frauennachrichtenagentur JinNews wurde von der Polizei zu Boden geschleudert, als sie Aufnahmen machte. Ihr Mobiltelefon ist beschlagnahmt worden. Der Korrespondent der Nachrichtenagentur Mezopotamya (MA), Hakan Yalçın, wurde sogar mit einem Polizeiknüppel misshandelt.

Ein Verfahren gegen alle Frauen“

Die Erklärung der Frauen, die aufgrund des Angriffs nicht vor dem Gericht vorgetragen werden konnte, lautet wie folgt: „Wir sind hier, um den Männerstaat, der es nicht ertragen kann, wenn wir unser legitimes Recht einzufordern, zu verurteilen. Dieses Verfahren ist ein Verfahren gegen alle Frauen. Es ist ein Verfahren gegen die Frauen, die fragen, was mit Nadira geschehen ist, die fragen, wo Gülistan ist, die Rechenschaft für Yeldana, Rabia Naz und die vielen anderen Frauen fordern. Dies ist das Verfahren gegen die Frauen, welche die Stimmen der ermordeten Frauen auf der Straße laut werden lassen, die Frauen, die auf die Straße gehen, weil sie sich nicht in ihrer Muttersprache ausdrücken dürfen. Heute soll hier in diesem Gericht der Kampf der Frauen abgeurteilt werden. Die Regierung, die versucht, die vielen verdächtigen Todesfälle von Frauen zu vertuschen, ermutigt Frauenmörder mit einer Politik der Straflosigkeit und allerlei sexistischer, frauenfeindlicher Rhetorik. Sie versucht, die Frauen sogar strafrechtlich zu verfolgen. Aber wir sind heute hier vor dem Gericht in Ankara, wir schreien es laut heraus: Ihr werdet abgeurteilt werden und nicht die Frauen, die ihre Rechte und ihr Leben verteidigen.“

Die 33 Angeklagten protestieren gegen Repression

Der Prozess gegen die Aktivistinnen der Frauenplattform Ankara wird unter anderem von den HDP-Abgeordneten Filiz Kerestecioğlu, Züleyha Gülüm und Semra Güzel beobachtet. Die Angeklagten weigerten sich zunächst aus Protest gegen die Festnahmen, den Gerichtssaal zu betreten. Auch die Anwält:innen protestierten gegen die Festnahmen. Prozessbeobachter:innen von Amnesty International und Journalist:innen wurden von den Sicherheitskräften nicht in den Saal gelassen. Mit Eröffnung des Verfahrens sollten die Personalien der anwesenden Angeklagten festgestellt werden. Bei jedem Aufruf antworteten die Frauen alle gemeinsam im Chor „Festgenommen“.