Als Koordinationsmitglied der PAJK (Partiya Azadiya Jin a Kurdistan - Partei der freien Frau in Kurdistan) fordert Raperîn Munzur einen radikalen Wandel der Kampfformen von Frauen: „Frauen müssen entschieden Widerstand gegen alle Institutionen und Gesinnungen leisten, die gegen die Freiheit von Frauen handeln. Gleichzeitig müssen sie einen entschiedenen Kampf für den Wandel der eigenen Lebensweise oder der Art ihres Widerstands führen.“
Sie unterstreicht dabei: „Frauen müssen in Bezug auf ihre Freiheit noch fordernder und mutiger werden. Sie müssen sich darauf konzentrieren und hier eine führende Rolle übernehmen.“
Im ANF-Interview hat das PAJK-Koordinationsmitglied Raperîn Munzur folgende Fragen beantwortet:.
Die kurdische Frauenbewegung hat in Kurdistan und im Ausland eine Offensive unter dem Motto „Aufstehen für Wandel und Freiheit“ begonnen. Was ist das Ziel dieses „Wandels und der Freiheit“?
Die Forderungen von Frauen nach Wandel und Freiheit sind nicht neu. Zu jeder Zeit des Frauenkampfes standen der Wandel und die Befreiung der Frauen im Zentrum. Diese Forderung und dieses Motto erhalten trotz ihrer allgemeinen Bedeutung in der jeweiligen Zeit verschiedene Inhalte. Der Wunsch nach Freiheit ist abhängig von den Problemen von Frauen in der jeweiligen Ära und führt über bestimmte Forderungen. Diese Forderungen betreffen beispielsweise das Wahlrecht oder das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper. Aktuell sind es grundlegende Probleme und Fragen, die der Freiheit der Frau entgegenstehen und zum Thema des Kampfes werden müssen. Dies ist das Ziel dieser Aktion.
Systemwechsel als Ziel
Die Grundlage des Frauenbefreiungskampfes muss stets der Wandel des derzeitigen Systems, des Patriarchats, des Staates, der Machthaber, der Hierarchie, des gesellschaftlichen Sexismus, Gewalt und Unterdrückung der Frau und aller nach männlichem Denken und von diesen beherrschten geschaffenen Strukturen sein. Die Freiheit der Frau und die Freiheit der Gesellschaft sind untrennbar miteinander verbunden. Nur wenn die Dinge hinterfragt werden und ein Wandel stattfindet, wird der Weg zur Freiheit geebnet. Frauen müssen daher die Dinge, die sie ändern möchten, definieren und dagegen entschieden kämpfen.
Umfassende Veränderungen in der Form des Widerstands
Schweigen, sich der Angst vor dem Faschismus zu ergeben oder die Resignation sind Haltungen, die verändert werden müssen. Die Abhängigkeit vom Mann, sein Eigentum, seine Frau, seine Geliebte oder sein Beiwerk zu sein, ist abzulehnen. Sich nach dem weiblichen Rollenbild der Gesellschaft zu verhalten, sich selbst Grenzen zu setzen, die eigenen Träume und Utopien nicht zu leben, ist zu verweigern. Dagegen muss Widerstand geleistet werden. Freiheit erfordert Verantwortung und muss erkämpft werden.
Gemeinsame Probleme von Frauen
Unabhängig davon, wo Frauen leben, haben sie alle dieselben Probleme und Schwierigkeiten. Frauen leiden am meisten unter den herrschenden Kriegen und müssen die Last der wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Krisen tragen. Die Opfer der steigenden männlichen Gewalt in einer von Brutalität und Krieg verdorbenen Gesellschaft sind Frauen. Frauenmorde werden als einfache Nachricht gebracht und dadurch normalisiert. Damit sich all dieses ändert, müssen Frauen gemeinsam aktiv werden und sich dem patriarchalen System als massive Kraft entgegenstellen.
Den Kampf ununterbrochen aufrechterhalten
Wir sagen, dass das 21.Jahrhundert das Jahrhundert der Frau sein wird. Für das Ziel der Frauenbefreiung sind wir dazu gezwungen, den Kampf ununterbrochen aufrecht zu erhalten. Die gesellschaftlichen Kämpfe gegen die Klassenwidersprüche im vergangenen Jahrhundert haben Strukturen geschaffen, die nicht frei von einer machtbesessenen und patriarchalischen Denkweise sind. Sie haben keine Freiheit gebracht. Es hat sich herausgestellt, dass gesellschaftliche und individuelle Freiheiten nur auf der Freiheit der Frau basierend entstehen können. Wahre Freiheit kann sich nur entwickeln, wenn sich die erste und grundlegendste Kolonie der Geschichte, die Position und Situation von Frauen, verändert. Um die Frauenbefreiung voran zu bringen, sind das kapitalistische System und der Nationalstaat mit den von ihnen entwickelten Institutionen zu bekämpfen.
Wie bewerten Sie die Aktionen und Aktivitäten, die im Rahmen dieser Offensive der Frauenbewegung stattfinden?
Angeführt von der kurdischen Frauenbewegung sind auf vielen Ebenen Erklärungen abgegeben und Aktionen durchgeführt worden. Das Ziel dieser Offensive und ihr Motto werden jedoch unzureichend zur Sprache gebracht. In Südkurdistan und Rojava haben die Frauengruppen den Kampf gegen die Besatzungsangriffe der Türkei in den Vordergrund gestellt. Bei allen Aktivitäten zu diesem Thema haben Frauen eine federführende Rolle eingenommen. Mütter und junge Frauen stehen stets in den vordersten Reihen. Sie haben jedoch Schwierigkeiten dabei, ihre führende Rolle hervorzuheben, ihre eigenen Parolen zu rufen und ihre Forderungen laut zur Sprache zu bringen. Sie müssen ihre Forderungen nach Wandel und Freiheit noch entschiedener ausdrücken. Die führende Rolle der Frau muss in den Mittelpunkt des Kampfes gestellt werden. Es müssen unterschiedliche Aktionen unter einem Hauptmotto als Teil dieser Offensive stattfinden. Außerdem ist es unserer Meinung nach wichtig, Frauen aus allen gesellschaftlichen Bereichen in diesen Prozess einzubeziehen, denn sie haben Probleme und Freiheitsforderungen, die allen gemein sind.
Der kolonialistische Staat und sein Regime
In der Türkei und in Südkurdistan ist das faschistische AKP/MHP-Regime das Haupthindernis der Frauenbefreiung. Es geht dabei um den kolonialistischen türkischen Staat und den Erdoğan-Faschismus. Dieser Faschismus bringt antidemokratische Gesetze, Staats- und Polizeigewalt. Er schürt Feindschaft zwischen den Völkern und Gesellschaften und zwischen Frau und Mann. Die aufgehetzte Männlichkeit tötet täglich Frauen. Feudale Ehrbegriffe und ähnliches sind auf männlichen Besitzansprüchen fußende Traditionen. Der Kampf muss gegen die vom AKP-Regime erlaubten Kinderehen, gegen das klassische Familien- und Frauenmodell, gegen die entsprechenden Gesetze und gegen Angriffe auf politische Modelle, mit denen Frauen repräsentiert werden, geführt werden. Jegliche Angriffe und kapitalistischen Kulturen, die eine Objektivierung der Frau, ihre Betrachtung als Sexobjekt und die Abschaffung ihrer weiblichen Identität bezwecken, sind die grundlegenden Themen unseres Kampfes.
Soziale und politische Organisation
Die Frauenmorde und die Selbstverbrennungen aufgrund von Unterdrückung, feudalen Traditionen und schwierigen Lebensumständen im patriarchalen Gesellschaftssystem in Başur (Südkurdistan) und Rojhilat (Ostkurdistan) sind sehr ernst zu nehmen. Wie schon mehrfach unterstrichen, ist der gesellschaftliche Wandel ein grundlegendes Thema im Kampf für die Frauenbefreiung. In Rojava wird im Rahmen des Paradigmas „Freiheit der Frau“ versucht, eine neue Lebensweise zu entwickeln. Dieses System wird immer wieder vom türkischen Staat bedroht und angegriffen. So betrachtet bedeutet der Kampf von Frauen für ein freies Leben den Kampf gegen diese Besatzungsangriffe und auch die Organisation ihres sozialen und politischen Lebens. Sie müssen sich so organisieren, dass ein tiefgreifender, revolutionärer Wandel des Lebens geschaffen wird. Die Frauenbefreiung muss strategisch angegangen werden und einem bleibenden Wandel den Weg ebnen. Vor allem muss dies als gemeinsamer Kampf der Frauen aller Völker vorangebracht werden.