Viele Menschen versammelten sich vor der Leichenhalle des Krankenhauses von Kocaeli, um den Leichnam von Garibe Gezer entgegenzunehmen. Gezer war nach schwerer Folter und sexualisierter Gewalt durch Sicherheitskräfte unter verdächtigen Umständen im Hochsicherheitsgefängnis Kandira in Einzelhaft ums Leben gekommen.
Garibe Gezers sterbliche Überreste wurden von Mitgliedern des Rats der Friedensmütter, der Frauenbewegung TJA, des Gefangenenhilfsvereins TUHAY-DER, der Demokratischen Partei der Völker (HDP) und Frauenorganisationen unter großer Anteilnahme in Empfang genommen. Die Frauen schulterten Gezers Sarg und riefen „Şehîd namirin!“ (dt: Die Gefallenen sind unsterblich). Die Polizei versuchte zu intervenieren und mit Sprüchen wie „Das ist keine Gefallene“ zu provozieren. Die Frauen ließen sich nicht einschüchtern und riefen vor dem Krankenhaus weiter Parolen. Gezers Leichnam soll nun zum Flughafen gebracht und in ihre Heimat in Mêrdîn-Kerboran (tr. Dargeçit) zur Beisetzung gebracht werden.
Garibe Gezers Schwester Asya Gezer hat zuletzt am 16. November mit ihr telefoniert und erklärte am Donnerstag, dass es ihr zu dem Zeitpunkt gut gegangen sei. „Sie sagte, dass die Repression gegen sie abgenommen habe und sie daher guter Stimmung sei. Sie sagte jedoch auch, dass sie vorher insgesamt zwanzig Bunkerstrafen erhalten habe und deshalb erneut in Bunkerhaft müsse. Ich sagte ihr, dass ich sie im Januar besuchen werde. Darüber freute sie sich sehr. Sie meinte, dass sie mich sehnsüchtig erwartet. Ich habe ihr drei Pakete geschickt. Sie wollte Fotos unserer Kinder haben. Ich hatte ihr auch Kleidung geschickt.“
Asya Gezer wurde am Donnerstag von einer Person angerufen, die sich als zweiter Direktor der Vollzugsleitung vorstellte und sagte, dass ihre Schwester Selbstmord begangen habe. „Ich glaube nicht, dass meine kleine Schwester Selbstmord begangen hat. Ihr ist mit Sicherheit etwas angetan worden“, so Asya Gezer.
Wer war Garibe Gezer?
Garibe Gezer war Kurdin und wurde im März 2016 in der Provinz Mêrdîn festgenommen. Sie war damals 23 Jahre alt und im Vorstand des Kreisverbands der DBP in Kerboran (tr. Dargeçit). Zwei Jahre zuvor wurde ihr Bruder Bilal Gezer bei den Kobanê-Protesten im Oktober 2014 von Unbekannten ermordet. Ein weiterer Bruder, Mehmet Emin Gezer, wollte bei der Polizei in Kerboran nach den Mördern fragen und wurde vor dem Gebäude von polizeilichen Sondereinsatzkräften angeschossen. Aufgrund der Schussverletzung sind seine Beine gelähmt. Alle neun Mitglieder der Familie wurden festgenommen, es wurden Ermittlungen gegen sie eingeleitet.
Der Haftbefehl gegen Garibe Gezer erging aufgrund eines Verfahrens gegen alle, die Kerboran nach der Ausrufung der Ausgangssperre im Dezember 2015 nicht verlassen haben. Sie wurde zu einer erschwerten lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt, die nach türkischem Strafrecht bis zum Tod vollzogen wird. Garibes Bruder Haşim Gezer wurde ein knappes Jahr später verhaftet und zu 22 Jahren verurteilt.
Garibe Gezer wurde in Einzelhaft gehalten und wehrte sich dagegen. Im Gefängnis in Kayseri zündete sie aus Protest ihre Zelle an und wurde zur Strafe nach Kandira verlegt. Dort war sie 22 Tage in einer Einzelzelle und wehrte sich erneut. Im Mai drang männliches und weibliches Wachpersonal in ihre Zelle ein. Während Gefängniswärterinnen ihre Arme festhielten, traten die Männer ihr mit Stiefeln in den Rücken. Der Gewaltakt dauerte mehrere Minuten an. Ihr wurde die Wäsche vom Leib gerissen und sie wurde halbnackt durch den Männerbereich geschleift. Anschließend wurde sie in eine vollständig isolierte, 24 Stunden am Tag kameraüberwachte ‚Gummizelle‘ gesperrt. In diesem Raum erlebte sie sexualisierte Gewalt von Seiten der Gefängniswächterinnen. Danach versuchte sie sich das Leben zu nehmen. Auf der Krankenstation wurde sie erneut misshandelt. Eine medizinische Behandlung blieb aus.