In Frankreich, Deutschland, Österreich, der Schweiz, den Niederlanden und Belgien finden am Samstag Demonstrationen der Kurdischen Frauenbewegung in Europa (TJK-E) statt. Die TJK-E hat eine Übersicht der geplanten Aktionen veröffentlicht und teilt dazu mit:
„Es sind elf Jahre vergangen seit den Massakern an Sara (Sakine Cansız), einer der ersten Wegbegleiterinnen unserer Führung, einer der Gründerinnen der PKK, einer der Pionierinnen der Kurdischen Frauenbewegung, Rojbîn (Fidan Doğan), der Interpretin des Kampfes eines verleugneten Volkes, und Ronahî (Leyla Şaylemez), einer Kämpferin einer Bewegung, die es immer geschafft hat, jung zu bleiben. Während unsere Wut über dieses Massaker und unser Versprechen, die Massenmörder zur Rechenschaft zu ziehen, noch lebendig waren, wurden vor genau einem Jahr Evîn Goyî (Emine Kara), eine der Pionierinnen der kurdischen Frauenbewegung, der Künstler Mîr Perwer (Mehmet Şirin Aydın) und unser wertvoller Patriot Abdurrahman Kızıl in Paris ermordet."
Wem galten diese Anschläge?
Weiter heißt es in der Erklärung: „In Anbetracht des Zeitpunkts und des Ortes der beiden Massaker, der Profile der Schützen, der Repräsentation und sogar der Anzahl unserer ins Visier genommenen Freundinnen und Freunde, ist es eine unbestreitbare Tatsache, dass der türkische Staat in den Augen der kurdischen Öffentlichkeit der Täter ist. So wie im Jahr 2013 drei Generationen von Pionierinnen der kurdischen Freiheits- und Frauenbewegung und der Freiheitslinie der Frauen ins Visier genommen wurden, wurde am 23. Dezember 2022 unsere Freundin Evîn Goyî, eine weitere Vorreiterin der kurdischen Frauenbewegung, erschossen. In einer Zeit, in der der Slogan Jin-Jiyan-Azadî universell wurde, wurde Evîn Goyî ermordet, eine Freiheitskämpferin, die diesen Slogan den Frauen der Welt unter Einsatz ihres Lebens überbrachte, indem sie sich der Finsternis des IS entgegenstellte. Genauso wie Sara, Rojbîn, Ronahî, Sêvê, Fatma, Pakize, Hevrîn Helef und Nagihan Akarsel ... Genauso wie die kurdische Diplomatie mit Rojbîn im Jahr 2013 und die Jugend, der dynamischste Teil der Gesellschaft, mit Ronahî angegriffen wurden, wurde die kurdische Kultur und Kunst, das Lebenselixier des Widerstands gegen den Völkermord, im Jahr 2022 mit dem Musiker Mîr Perwer ins Visier genommen. Und mit Abdurrahman Kızıl wurden der Patriotismus und die Gemeinschaft Kurdistans, die diesen Kampf getragen haben, zur Zielscheibe.
„Der kurdische Frühling sollte sich in einen Winter verwandeln“
So wie 2013 das Pariser Informationsbüro Kurdistans als Ort des Massakers ausgewählt wurde, so wurde 2022 der Schütze auf der Straße vor dem kurdischen Kulturzentrum Ahmet Kaya, dem Ort der kurdischen Gemeinschaft in Paris, losgelassen. Und wieder wollten sie an einem frostigen Tag den kurdischen Frühling in Winter verwandeln. Sie wollten das Erwachen verhindern, das seit einem halben Jahrhundert unter der Führung der kurdischen Frauen stattfindet; sie wollten die gesamte Gesellschaft massakrieren, von der Diplomatie bis zur Jugend, von der Kultur bis zu den tiefsten patriotischen Bindungen, und den Völkermord fortsetzen.“
Französisches Staatsgeheimnis
Das Ziel der beiden Anschläge sei klar und offensichtlich, so die TJK-E. Das erste Pariser Massaker sei von der kurdischen Öffentlichkeit aufgeklärt worden, indem der französischen Justiz Beweise vorgelegt wurden, die belegen, dass der Dreifachmord vom MIT organisiert wurde und dass der türkische Staat der Täter war. „Es wäre die Pflicht des französischen Staates gewesen, eine Haltung einzunehmen, die den Begriffen entspricht, die er als sein eigenes Werturteil propagiert, die Fakten öffentlich zu machen und den türkischen Staat vor Gericht zu stellen. Stattdessen wurde die Forderung des kurdischen Volkes nach Gerechtigkeit zehn Jahre lang ignoriert. Dass der Fall als Staatsgeheimnis eingestuft wurde, hat den Weg für ein neues Massaker geebnet.“
Nicht als politischer Angriff gewertet
„Mit einer ähnlichen Haltung sehen wir uns am ersten Jahrestag der Massaker an Evîn Goyî, Mîr Perwer und Abdurrahman Kızıl konfrontiert. Mehr noch, das Massaker wird nicht einmal als politischer Mord gewertet, sondern als persönlicher Angriff eines gewöhnlichen, rassistischen, kranken Franzosen. Der Schütze hat, genau wie im ersten Fall, ein sehr speziell ausgewähltes Profil, dessen internationale Verbindungen darauf warten, aufgeklärt zu werden. Was durch die Bezeichnung ,Staatsgeheimnis' vertuscht wird, sind die Interessenbeziehungen zwischen den Staaten. Der französische Staat und die Justiz sollten daher unverzüglich den Schleier des Staatsgeheimnisses über dem ersten Pariser Massaker lüften und die Akte des zweiten Pariser Massakers als politischen Mord einstufen und an die Anti-Terror-Staatsanwaltschaft weiterleiten.
Novum in der Geschichte der politischen Morde in Frankreich
Seit elf Jahren sind wir immer vor Ort und unser Kampf war ein Novum in der Geschichte der politischen Morde in Frankreich. Wie kein anderer politischer Mordfall wurde er in der Gesellschaft wahrgenommen und publik gemacht, sowohl was die Folgen als auch die Ursachen betrifft. Mit dem zweiten Pariser Massaker wuchs unsere Wut noch mehr, unser Kampfeswille wurde noch stärker.
Evîn Goyî: Jin-Jiyan-Azadî im Herzen und in der Praxis
Evîn Goyî verbrachte 34 Jahre in den Bergen Kurdistans, mit der für ihre Heimatregion Botan typischen Liebe zum eigenen Land und einem selbstlosen Wesen. Als sie von den Bergen in die Städte hinabstieg, nahm sie diese Haltung mit. Sie war eine einfache und bedeutende Revolutionärin, eine große Organisatorin, eine Pionierin, die bei jedem Menschen, den sie berührte, ihre Spuren hinterließ. Der Slogan Jin-Jiyan-Azadî lag ihr nicht auf der Zunge, sondern in ihrem Herzen und in ihrer Praxis.
Mîr Perwer: Eine brennende Stimme auf den Straßen von Paris
Mir Perwer war ein echter Künstler, der mit seinen Wurzeln verbunden war und den kurdischen Schmerz, die Unverwüstlichkeit und die Entschlossenheit des ,Wir waren, wir sind, wir werden sein' mit seiner Saz und seiner Melodie zum Ausdruck brachte. Trotz Gefangenschaft und Exil hat er seine Identität und seine Tradition nie auch nur einen Tag lang preisgegeben. Mîr Perwer war der Nachfolger von Hozan Serhad, zu dem er im Leben immer aufgeschaut hat. Er ist eine brennende Stimme auf den Straßen von Paris, die das Gelübde, nicht zu vergessen, sich nicht daran zu gewöhnen und Rechenschaft zu verlangen, immer lebendig halten wird.
Abdurrahman Kızıl: Keine Kompromisse bei der Treue zu seinen Werten
Abdurrahman Kızıl, der Xalo [Onkel] von Paris, war eine Geschichte. Auch wenn er seit den 1980er Jahren keinen Fuß mehr in sein Dorf setzen konnte, war er ein echter Patriot, der wie Evîn und Mîr nie den Geruch seines Landes verloren hatte. Abdurrahman Kızıl verkörperte einen aufopferungsvollen Patriotismus, der keine Kompromisse bei der Treue zu seinen Werten einging, selbst als er aus seinem Land verbannt und gefoltert wurde und einen unsäglichen Preis zahlen musste.
Wir werden die Gerechtigkeit nicht eurer Gnade überlassen
Letztes Jahr haben wir unsere Freundin und Freunde mit einem großen Serhildan [Aufstand] verabschiedet, der ihrer würdig war. Als kurdische Menschen und Frauen, die am Tag ihrer Ermordung die Straßen von Paris füllten, haben wir ein Versprechen gegeben. Wie beim ersten Massaker von Paris haben wir gesagt: Wir werden nicht vergessen, wir werden uns nicht daran gewöhnen, wir werden sie zur Rechenschaft ziehen.
Als kurdisches Volk und kurdische Frauen haben wir eine Geschichte, die mit Schwierigkeiten erprobt, mit Schmerz geprägt und mit großen Risiken verbunden ist, so dass wir die Gerechtigkeit nicht irgendeiner Macht, einem Gesetz oder einem staatlichen Recht überlassen werden. Das haben wir aus der aufrechten Haltung von Sara gelernt, die dem Henker ins Gesicht spuckte, aus dem ungehinderten und atemlosen Kampf von Evîn Goyî.
Rechenschaft fordern
Am ersten Jahrestag des Anschlags werden wir erneut mit der gleichen Entschlossenheit auf die Straße gehen. Am 23. Dezember finden unter der Führung der Kurdischen Frauenbewegung in Europa (TJK-E) in allen europäischen Ländern, in denen wir organisiert sind, insbesondere in Paris, unter dem Motto ,Von 2013 bis 2024 liegt Paris im Dunkeln, wo ist die Gerechtigkeit?‘Aktionen im Gedenken und mit der Forderung nach Rechenschaft statt. Wir werden dem türkischen Staat zurufen, dass die Politik des Völkermords, egal wie hoch die Kosten sind, keine Ergebnisse bringen wird, und dass wir als kurdisches Volk und kurdische Frauen nie und nimmer von unserer Haltung abweichen werden. Wir werden erneut versprechen, dass wir die Philosophie von Jin-Jiyan-Azadî und die Lehren unserer Gefallenen trotz des türkischen Staates und aller herrschenden Frauen- und Menschenfeinde universell verbreiten werden.
Unsere Rache wird die Frauenrevolution sein
Wir wiederholen noch einmal unser Versprechen, Rechenschaft für Sara und Evîn einzufordern, und sagen: Unsere Rache wird die Frauenrevolution sein. Wir sind davon überzeugt, dass das kurdische Volk und die kurdischen Frauen für ihre Gefallenen heute ebenso eintreten werden wie an jenem Tag und dass sie ihren Kampf für Gerechtigkeit fortsetzen werden, bis die Verantwortlichen für das Massaker vor Gericht gestellt werden. Wir rufen unsere Freundinnen und Freunde, insbesondere das kurdische Volk und die kurdischen Frauen, sowie alle Frauenorganisationen und Einzelpersonen, die nach Freiheit streben, dazu auf, sich mit Nachdruck an den stattfindenden Aktionen zu beteiligen."
Aktionskalender
In der Erklärung wurde der Zeitplan der Aktionen, die mit Ausnahme von Stuttgart am Samstag, dem 23. Dezember stattfinden sollen, für Deutschland, Österreich und die Schweiz wie folgt angekündigt:
Stuttgart: 22. Dezember, 16 Uhr Königstraße
Frankfurt am Main: 14 Uhr Hauptbahnhof
Düsseldorf: 13 Uhr, DGB-Haus
Hannover: 14 Uhr, Hauptbahnhof
Hamburg: 13 Uhr, Sternschanze/ Rote Flora
Darmstadt: 14 Uhr, Luisenplatz
Saarbrücken: 15.30 Uhr, Europa Galerie
Zürich: 14 Uhr, Turbinenplatz 13
Wien: 15 Uhr, Schwarzenbergplatz