Kongress der TJK-E: „Jede Frau muss sich und andere organisieren“

Die Kurdische Frauenbewegung in Europa hat ihren 6. Kongress abgehalten und wegweisende Beschlüsse für die Umsetzung des von Abdullah Öcalan vorgelegten Paradigmas einer basisdemokratischen, genderbefreiten und ökologischen Gesellschaft gefasst.

Die Kurdische Frauenbewegung in Europa (TJK-E) hat die Ergebnisse ihres sechsten Kongresses veröffentlicht. Der Kongress fand vom 17. bis 20. Juni unter der Devise „Rêber Apos Freiheit ist unsere Freiheit“ statt. Laut der Abschlusserklärung haben die dreitägigen Diskussionen einschließlich Kritik und Selbstkritik zu großer Entschlossenheit und fundierten Entscheidungen geführt: „Unser Kongress war der Startschuss für einen offensiven Kampf gegen Besatzung, Faschismus und Feminizid und die Zerstörung des Systems der Folter und Gefangenschaft auf Imrali. Auf dieser Basis haben wir unseren sechsten Kongress unseren Weggefährtinnen Delal, Hêvî und Deniz Poyraz gewidmet, die in diesem Jahr gefallen sind.“

Der Kongress habe in einer Zeit stattgefunden, in der es sowohl für Frauen als auch für die Kurd:innen und die Völker weltweit riesige Entwicklungsmöglichkeiten und Gewinnchancen gebe, heißt es in der Abschlusserklärung. Es sei intensiv über die aktuellen Entwicklungen und die Umsetzung des von Abdullah Öcalan vorgelegten Paradigmas einer basisdemokratischen, genderbefreiten und ökologischen Gesellschaft diskutiert worden.

„Widerstandskette von Europa bis in die kurdischen Berge“

Die TJK-E stellt in ihrer Abschlusserklärung fest, dass die mörderische Politik des türkischen Staates gegen kurdische Frauen und das kurdische Volk trotz menschenverachtender Umsetzung nicht gegriffen hat: „Das kurdische Volk und die Frauen haben ständig gegen diese Angriffe gekämpft und wichtige Gewinne dabei erzielt. Aktuell wird versucht, die Völkermordpolitik auf eine neue Ebene zu bringen. Die Besatzungsangriffe auf Südkurdistan sowie auf Şengal und Rojava gehörten zu den wichtigsten Themen, die auf unserem Kongress behandelt wurden. Mit Blick auf den großartigen Widerstand der Guerilla ist auf dem Kongress der Anspruch entstanden, diesen Kampfgeist überall zu erschaffen und unter der Prämisse ,Die Guerilla und die kämpfenden kurdischen Frauen sind unsere Ehre' eine Widerstandskette von Europa bis nach Metîna, Heftanîn, Zap und Avaşîn zu bilden. Es wurde beschlossen, den Kampf gegen die Besatzungsangriffe überall zu radikalisieren und zu verstärken. Ein weiteres Ziel ist der Kampf gegen die Linie der Kollaboration und des Verrats, die sich mit der Besatzung entwickelt. Gegen diese Linie soll die Einheit kurdischer Frauen in eine aktive Positionierung umgewandelt werden.“

Kampf gegen Kriminalisierung und Völkermord

Diskussionsthema auf dem Kongress waren auch die Hegemonialmächte, die in die Aggression des türkischen Staates in Kurdistan involviert sind und zu einer Verschärfung der Situation beitragen. Die USA nehmen dabei eine führende Position ein und auch Deutschland und Frankreich sind aktiv beteiligt. Die TJK-E kündigt Widerstand gegen die Kriminalisierung der kurdischen Bewegung in diesen Ländern an und macht diese Staaten und das Schweigen internationaler Institutionen für die Massaker in Kurdistan verantwortlich: „Wenn es um das kurdische Volk geht, werden Menschenrechtsverletzungen ignoriert von den internationalen Institutionen und Organisationen, die angeblich für Demokratie und Menschenrechte eintreten. Sie müssen ihre Rolle erfüllen, andernfalls werden sie vor den Frauen und Völkern Rechenschaft ablegen müssen. Als Frauen werden wir einen ununterbrochenen Kampf führen gegen die Staaten, die wie die USA, Deutschland und Frankreich für ihre wirtschaftlichen und militärischen Interessen im 21. Jahrhundert zu einem Völkermord beitragen. Dieser Kampf wird nicht auf uns beschränkt bleiben. Er wird alle Grenzen überschreiten, sich mit den Frauen der Welt treffen und zu einem gemeinsamen Kampf werden. Auf unserem Kongress ist das Ziel formuliert worden, die gemeinsame Stimme von Frauen lauter werden zu lassen, die Kämpfe gegen Faschismus überall auf der Welt zu einem gemeinsamen Kampf zu machen und die solidarische Vernetzung von Frauen auszubauen.“

Weltweite Selbstverteidigung gegen Feminizid

Ausführlich diskutiert wurde auf dem Kongress auch über den weltweiten Krieg gegen Frauen im patriarchale Herrschaftssystem. Dieses System befinde sich im 21. Jahrhundert in einer tiefen Krise und setze zur Existenzwahrung auf systematischen Feminizid. „Die Angriffe auf Frauen weisen in der Form regionale Unterschiedlichkeiten auf und zeigen die Dimension des stattfindenden Feminizids. In den letzten beiden Jahren haben Frauen in ihrem Kampf für Freiheit eine wichtige Stufe erreicht und ein Bewusstsein geschaffen. Frauen weltweit wehren sich gegen die ideologischen und lebensbedrohlichen Angriffe patriarchaler Herrschaft, gegen Ausbeutung, Ungleichheit und Sexismus. Sie organisieren und verteidigen sich.“

In dieser weltweiten Bewegung nehmen kurdische Frauen eine wichtige und inspirierende Rolle ein, so das Fazit der TJK-E, die das 21. Jahrhundert zum Jahrhundert der Frauen erklärt und Frauen eine führende Rolle in der Gesellschaft zuschreibt.

„Jede Frau muss sich und andere organisieren“

Die Kurdische Frauenbewegung in Europa organisiert sich nach einem konföderalen Frauensystem in zentralen und lokalen Räten, Kommunen, Initiativen und Komitees und sieht einen Aufbauprozess von unten nach oben vor. Die jeweiligen Arbeitsbereiche sollen sich gegenseitig ergänzen und Eigeninitiative ergreifen. Auf dem Kongress wurde zur Sprache gebracht, dass das nicht immer klappt und das System der Räte und Komitees Schwächen aufweist. Um den Einfluss der lokalen Frauenräte in der Gesellschaft zu erhöhen, einen mentalen Wandel herbeizuführen, die Familien zu demokratisieren und patriarchales Denken und Handeln radikal zu bekämpfen, sollen Projekte entwickelt werden. Gegen den in Europa im System der kapitalistischen Moderne vorherrschenden Individualismus will die TJK-E kollektive Strukturen in der Gesellschaft fördern. Mit Bildungsarbeit soll ein Bewusstsein für die Probleme von Frauen, Kindern und Jugendlichen geschaffen und die Beziehung zwischen Frau und Mann hinterfragt werden.

Um noch mehr Frauen zu erreichen und selbstbestimmte Lösungen für die Probleme von Frauen und der Gesamtgesellschaft entwickeln zu können, setzt die TJK-E auf die Devise „Jede Frau muss sich und andere organisieren“.

„100 Gründe”-Kampagne wird mit Schwerpunkten fortgesetzt

Die kurdische Frauenbewegung hat im vergangenen Jahr eine Offensive zur Verteidigung von Frauen und der Gesellschaft gegen Feminizid ausgerufen. In diesem Rahmen wurde die Kampagne „100 Gründe, um den Diktator zu verurteilen“ geführt, die von Hunderttausenden Menschen unterstützt wurde. Auf dem Kongress wurde die Kampagne als erfolgreich bewertet, weil die systematischen Morde an Frauen damit sichtbar gemacht wurden und Erdogan international angeprangert wurde. Mit der Kampagne wurde eine internationale Anerkennung von Feminizid als Menschheitsverbrechen gefordert.

Die Kampagne soll jetzt mit zwei Schwerpunkten fortgesetzt werden: Die Bestrafung der Verantwortlichen für die politischen Morde an den drei kurdischen Revolutionärinnen Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez am 9. Januar 2013 in Paris und der Kampf für die nach der türkischen Besatzung von Efrîn verschleppten, vergewaltigten und ermordeten Frauen.

Beschlüsse

Einige der grundlegenden Beschlüsse, die die Delegierten der TJK-E bei ihrem Kongress getroffen haben, lauten:

Die TJK-E

- stellt die physische Freiheit von Abdullah Öcalan sowie den Aufbau einer demokratischen Nation und eines freien Lebens in den Mittelpunkt all ihrer Organisationen, Aktionen und Aktivitäten – mit dem Ziel, dass das Projekt unter der führenden Rolle von Frauen aufgegriffen, die Gesellschaft damit betraut und das öffentliches Bewusstsein dafür geschärft wird;

- erweitert mit einem großen Kampfgeist unter der Maxime „Die widerständige Guerilla und die kämpfende kurdische Frau sind unsere Würde“ ihren Handlungsraum für Aktivitäten gegen die Besatzung und Völkermordpolitik;

-beteiligt sich als Kurdische Frauenbewegung in Europa federführend unter dem Motto „Die Zeit ist reif für die Verteidigung der freien Frau und Gesellschaft gegen den Feminizid“ in allen Bereichen an der Offensive „Schluss mit Isolation, Faschismus, Besatzung – Zeit für Freiheit“;

- verstärkt den Kampf für die Entfernung der PKK als der führenden Kraft des Befreiungskampfes in Kurdistan, die mit ihrem unerbittlichen Kampf den Völkermord an den Kurdinnen und Kurden verhindert und dafür einen hohen Preis bezahlt hat, aus der Terrorliste;

- baut auf dieser Grundlage internationale Solidaritätsnetzwerke auf, um konstruktiv gegen die unmoralische und schmutzige Politik vorzugehen, durch die der kurdische Befreiungskampf terrorisiert und kriminalisiert wird;

- weitet den gemeinsamen Kampf gegen den Faschismus mit den internationalen Frauenbewegungen aus;

- wirkt darauf hin, dass sich der Wille und die Entscheidungskraft der Frauen in allen Bereichen des Lebens und der Gesellschaft entfalten und bei den Aktivitäten in Räten, Kommunen und Initiativen der Widerstandsgeist von Sêvê, Pakize, Fatma und Mehmet Tunç zur Grundlage genommen wird;

- macht sich zum Zweck der Verwirklichung unseres demokratisch-kommunalen Systems zur Grundlage, alle neun Dimensionen unseres Paradigmas innerhalb der Räte anschaulich zu organisieren und zu institutionalisieren;

- leitet gegen die egozentrische, virtuelle und entfremdende Mentalität der kapitalistischen Moderne auf der Basis des kommunalen Lebens, der Organisierung und Bildung die Offensive „Jede Frau muss sich und andere organisieren“ ein und beschleunigt ihr dahingehendes Engagement nach dem Motto „Du bist, was du organisierst“;

- vertieft das System der genderparitätischen Doppelspitze auf der Grundlage der Demokratisierung der Gesellschaft und der Entwicklung eines gleichberechtigten, freien Lebens und begreift den radikalen Kampf als Antwort auf sexistische und autoritäre Ansätze;

- setzt sich gemeinsam mit ihren Räten, Kommunen und Komponenten dafür ein, mit der Perspektive, gesellschaftliche Bindungen zu stärken, den Kampf gegen die Auswirkungen des Systems, das im Zuge der Pandemie individualisiert, die Gemeinschaft tötet und die Passivität vertieft, auszuweiten;

- greift muttersprachliche Aktivitäten als ideologisches Projekt auf und setzt sich für Kurdisch-Unterricht an Schulen ein;

- organisiert Bildungsprogramme, Podiumsdiskussionen und Seminare sowie regelmäßige Kampagnen zum Thema Feminizid und der Bekämpfung von Gewalt an Frauen;

 - weitet den Widerstand gegen erniedrigende und sexistische Ansätze wie Brautpreis, Berdel („Mädchentausch“), Zwangsheirat, Kinderehe, alle Formen der häuslichen Gewalt und zur Überwindung von Prostitution, sexualisierter Diskriminierung und Vergewaltigungskultur aus;

- initiiert durch ihre Räte und Frauenorganisationen regionale Unterstützungsangebote für gewaltbetroffene Frauen, entwickelt konkrete Projekte zur Lösung der Probleme der Hilfesuchenden und bildet innerhalb der Sozialkommissionen Einheiten zur Bekämpfung von Gewalt.