KCK: Für einen Lösungsprozess muss Öcalan frei sein

Ein Dialogprozess setzt die Bereitschaft des türkischen Staates voraus, Bedingungen für Abdullah Öcalan zu schaffen, in denen er frei und sicher ist, um so zur Lösung der Kurdistan-Frage beizutragen. Die KCK äußerte sich auch zum Anschlag in Ankara.

Besuch auf Imrali

Nach Jahren der absoluten Isolation hat der PKK-Begründer Abdullah Öcalan am Mittwoch wieder erstmals Besuch von einem Familienangehörigen empfangen. Der Besucher auf der Gefängnisinsel Imrali war der kurdische Politiker Ömer Öcalan, der für die DEM-Partei im türkischen Parlament sitzt. Abdullah Öcalan sei „bei guter Gesundheit“, schrieb der Politiker, der zugleich ein Neffe des wohl wirkmächtigsten politischen Gefangenen der Gegenwart ist, nach dem Treffen auf X – und veröffentlichte eine Botschaft seines Onkels: „Die Isolation geht weiter. Wenn die Bedingungen entstehen, habe ich die theoretische und praktische Kraft, diese Phase von der Grundlage des Konflikts und der Gewalt auf eine rechtliche und politische Grundlage zu lenken.“ Öcalan äußerte sich damit zu einem möglichen neuen Dialogprozess für die Lösung der kurdischen Frage.

Öcalans Haltung richtig verstehen

Die Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) hat das Treffen mit Abdullah Öcalan als positiv eingeschätzt und als „erfreuliche Nachricht“ für die Kurdinnen und Kurden sowie mit dem kurdischen Befreiungskampf solidarische Menschen bezeichnet. Öcalan habe deutlich gemacht, dass er seine „historische Verantwortung“ bei einer demokratischen und politischen Lösung der Kurdistan-Frage wahrnehmen werde, sobald die Bedingungen eintreten, erklärte der Ko-Vorsitz der KCK am Donnerstagabend in einer ersten Stellungnahme. Gleichzeitig mahnte der Dachverband der kurdischen Befreiungsbewegung an, dass die Haltung Öcalans von allen Seiten richtig verstanden werden müsse.

Für Gesundheit, Freiheit und Sicherheit sorgen

„Diejenigen, die für Frieden in der Türkei und für eine politische Lösung der kurdischen Frage eintreten, sie fordern und unterstützen, sollten nun die notwendige Annäherung an die Haltung von Rêber Apo gewährleisten und für Bedingungen sorgen, die gesundheitsfördernd für ihn sind, und in denen er frei und sicher arbeiten kann, um so zur Lösung der kurdischen Frage und damit für ein Ende des Krieges in Kurdistan beizutragen. Ohne diese Voraussetzungen zu erfüllen, ohne die Bedingungen für einen raschen Dialog und eine fließende Kommunikation zu schaffen, ist es weder realistisch, von Rêber Apo eine Rolle zu erwarten, noch kann von einer positiven Absicht gesprochen werden. Die Isolation auf Imrali dauert nach wie vor an. Das betonte auch Rêber Apo selbst. Solange die Isolationshaft nicht vollständig aufgehoben wird, seine Sicherheit und Gesundheitsschutz nicht gesichert sind, kein ihm würdiges Arbeitsumfeld geschaffen ist, ist es unmöglich, über Fortschritte zu sprechen und diese zu erwarten.“

Öcalan einziger Gesprächspartner der kurdischen Seite

Ein würdevoller Frieden in der Türkei könne nur durch eine demokratische Lösung der kurdischen Frage mit Öcalan als Gesprächspartner erreicht werden, betonte die KCK weiter. Davon hänge auch die Demokratisierung der Türkei ab. „Die Richtlinie des Handelns des kurdischen Volks sowie dessen Strukturen und Komponenten wird ausschließlich ein von Rêber Apo entwickelter Prozess sein. Er ist der Wille unserer Bewegung und unseres Volkes und der einzige Verhandlungspartner bei einer demokratischen Lösung der Kurdistan-Frage. In dieser Frage gibt es keinen anderen Ansatz und keine andere Haltung.“

Anschlag von Ankara

Der Besuch bei Abdullah Öcalan fällt in eine politisch ereignisreiche Zeit in der Türkei. Unlängst forderte Devlet Bahçeli, Chef der ultranationalistischen MHP, Öcalan dazu auf, im türkischen Parlament eine Rede zu halten, in der er seine Kapitulation verkünden und das Ende der Aktivitäten der PKK einleiten solle. Unterstützung erhielt Bahçeli von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan und dem CHP-Vorsitzenden Özgür Özel, die von einer „historischen Gelegenheit“ für einen Friedensprozess sprachen. Zudem fällt der Besuch auf Imrali mit einem Anschlag am Mittwoch auf ein staatliches Rüstungsunternehmen in der Nähe der Hauptstadt Ankara zusammen. Bei dem Angriff wurden sieben Menschen – darunter die beiden Angreifer:innen – getötet, über 20 weitere sind verletzt worden. Die türkische Regierung macht die PKK verantwortlich und lässt seit Mittwochabend als Reaktion Ziele in kurdischen Gebieten in Syrien und dem Irak bombardieren. Mindestens 13 Menschen sind nach Angaben der Autonomiebehörden in Nord- und Ostsyrien sowie im ezidischen Şengal im Nordirak seitdem ums Leben gekommen, mehr als zwei Dutzend wurden verletzt.

Angriffe auf Rojava und Südkurdistan gleichen einem Massaker

Die PKK hat den Angriff bisher nicht für sich reklamiert, allerdings auch nicht dementiert. Die KCK erklärte dazu: „Sollte diese Aktion von unseren Kräften durchgeführt worden sein, werden die Volksverteidigungskräfte (HPG) sich äußern.“ Doch selbst wenn es ein Angriff der PKK-Guerilla gewesen sein sollte, sollte dieser „absolut nicht“ als Aktion gegen eine mögliche Wiederannäherung gewertet werden. Die Reaktion des türkischen Staates auf den Anschlag verurteilte die KCK scharf. Es sei nicht hinnehmbar, dass der Angriff in Ankara als Legitimation für ein „regelrechtes Massaker“ diene. Die Bombardierungen in Rojava, Şengal und in den Medya-Verteidigungsgebieten, wie die kurdische Bewegung die von ihr kontrollierten Regionen in Südkurdistan bezeichnet, seien als Kriegsverbrechen einzustufen. „Dörfer, Städte, Menschen und ihre Lebensräume wurden unterschiedslos attackiert, lebenswichtige Energie-Infrastruktur, Bäckereien und Krankenhäuser ins Visier genommen. Zahlreiche Zivilpersonen haben bei diesen Angriffen ihr Leben verloren, Dutzende wurden verletzt. Wir verurteilen diese heimtückischen Angriffe. Es ist ein großes Paradox, dass auf der einen Seite von Frieden und politischen Konfliktlösungsprozessen gesprochen wird, auf der anderen Seite aber solch rücksichtslose Angriffe verübt werden, Menschen Opfer von Massakern werden, ihre Lebensräume und Ressourcen vernichtet werden.“

Botschaft ans Volk

An die kurdische Öffentlichkeit und Kurdistan-solidarische Menschen gerichtet erklärte die KCK, folgende Realität müsse stets berücksichtigt werden: „Alles, was bisher in Kurdistan erreicht worden ist, wurde durch Widerstand erreicht. Alle bisherigen und künftigen Entwicklungen sowie Errungenschaften sind das Ergebnis unseres Kampfes. Wir müssen mit diesem Bewusstsein handeln und die Entwicklung des Kampfes als Grundlage nehmen. Wir sind für die demokratische Lösung der kurdischen Frage durch Dialog und Verhandlungen. Als Bewegung und als Volk haben wir diesen Willen oft genug zum Ausdruck gebracht und auch Rêber Apo gab diese Tatsache wiederholt zu erkennen. Doch seine Isolation hält an. Wir müssen unseren Kampf für das Ende der Isolation und die physische Freiheit Rêber Apos weiter verstärken, um diesen Zustand zu beenden. Das ist die Aufgabe unseres Volkes sowie unserer Freundinnen und Freunde.“

Titelfoto © Yann Renoult