KJAR startet kollektiven befristeten Hungerstreik
Die Gemeinschaft der freien Frauen von Rojhilat (KJAR) hat die kurdische Aktivistin Varisheh Moradi zur Beendigung ihres Hungerstreiks aufgerufen. „Es ist unser ausdrücklicher Wunsch, dass unsere Freundin und Weggefährtin ihre Aktion abbricht“, erklärte der Dachverband der kurdischen Frauenbewegung in Iran am Freitag in einer Stellungnahme. Die gesundheitliche Lage Moradis, die im Teheraner Evin-Gefängnis inhaftiert ist, habe sich innerhalb der letzten Tage massiv verschlechtert und sei mittlerweile lebensbedrohlich. Jederzeit könne sie kollabieren, ins Koma fallen – oder sterben.
Varisheh Moradi befindet sich seit dem 10. Oktober in einem unbefristeten Hungerstreik. Mit der Aktion protestiert die 38-Jährige gegen ihre Haftbedingungen und für eine Abschaffung der Todesstrafe in Iran. Das Datum wählte sie nicht zufällig: Der 10. Oktober ist der europäische Tag und auch der Welttag gegen die Todesstrafe. Ziel des Aktionstages ist es, jede Form der Todesstrafe anzuprangern und für ihre weltweite Abschaffung einzutreten.
Es handelt sich nicht um den ersten Hungerstreik Moradis. Die Kurdin beteiligte sich bereits in den vorangegangenen Monaten an einer wöchentlichen Protestaktion, bei der politische Gefangene in verschiedenen Gefängnissen des Landes jeden Dienstag in einen Hungerstreik treten. Die im Januar im Qezelhesar-Gefängnis in Karadsch ins Leben gerufene Aktion „Schwarze Dienstage“ fordert ebenfalls die Abschaffung der Todesstrafe.
Varisheh Moradi | Foto: privat
Dass Moradis Zustand bereits in der zweiten Woche ihres Hungerstreiks lebensbedrohlich zu sein scheint, dürfte auch mit ihrer ohnehin schlechten körperlichen Verfassung und in Haft erlittener Folter zusammenhängen. Nach Informationen der in Frankreich ansässigen NGO Kurdistan Human Rights Watch (KHRW) leidet die Aktivistin schon länger an arterieller Hypotonie, Migräne, Schwindelanfällen, starken Gelenkschmerzen und zunehmend eingeschränkter Beweglichkeit. Der Hungerstreik habe ihre Beschwerden massiv verschlechtert.
Die KJAR hat daher vorgeschlagen, Moradis Aktion zu übernehmen. Am morgigen Samstag wollen Gruppen, Initiativen und Einzelpersonen in verschiedenen europäischen Ländern im dreitägigen Turnus einen Hungerstreik starten, „um Varisheh Moradi sowie alle anderen politischen Gefangenen und die von der Todesstrafe bedrohten Menschen in ihrem Kampf für Gerechtigkeit zu unterstützen“. Alle, die für die Freiheit kämpfen, seien aufgerufen, sich solidarisch zu zeigen „und Varisheh und alle anderen Pionierinnen in den Gefängnissen der Islamischen Republik Irans zu verteidigen“, so die KJAR.
Über Varisheh Moradi
Varishe Moradi (andere Schreibweise Warisheh), auch bekannt als Ciwana Sine, war am 1. August 2023 im Zuge einer Polizeikontrolle in der Nähe ihrer Geburtsstadt Sine (Sanandadsch) festgenommen und an einen unbekannten Ort gebracht worden. Irans Regime-Justiz beschuldigt sie der „Feindschaft zu Gott“ und „bewaffneter Rebellion gegen den Staat“. Die Vorwürfe stehen im Zusammenhang mit Moradis Mitgliedschaft in der KJAR und ihres Engagements für frauenpolitische und feministische Themen. Teheran sieht in der KJAR eine „separatistische Terrororganisation“, weil sie Teil der Partei für ein freies Leben in Kurdistan (PJAK) sein soll.
Brutal gefoltert, misshandelt und verhört
Nach Moradis Verschleppung war ihr Aufenthaltsort monatelang unklar. Erst durch Recherchen des KHRN wurde bekannt, dass die Aktivistin nach ihrer Festnahme zunächst wochenlang vom iranischen Geheimdienst in Sine brutal gefoltert, misshandelt und verhört worden war, bis sie Ende August nach Teheran überführt wurde. Dort hielt man sie über Monate im berüchtigten Hochsicherheitstrakt 209 des Evin-Gefängnisses fest – ebenfalls unter Folter und Misshandlungen, mit dem Ziel, sie zu brechen oder ein Geständnis von ihr zu erzwingen. Seit Anfang Januar befindet sich Moradi in der Frauenabteilung der Haftanstalt. Zugang zu einem Rechtsbeistand wird ihr die meiste Zeit verwehrt. Sollte sie verurteilt werden, droht ihr die Todesstrafe.
Foto: Kundgebung im Juli in Brüssel für die Freilassung weiblicher politischer Gefangener in Iran © Shnoyi Mendan