Jinwar: Unsere Kraft und Energie verbinden

„Wir wissen, was wir wollen und wofür wir kämpfen. In einem Umfeld von Chaos, Zerstörung und Gewalt stellen wir das Leben in den Mittelpunkt. Wir kämpfen für Würde“, erklären die Bewohnerinnen des Frauendorfs Jinwar zum 8. März.

Die Bewohnerinnen von Jinwar in Rojava haben eine Erklärung zum Frauenkampftag am 8. März abgegeben. Das Frauendorf liegt im Westen von Dirbêsiyê im Kanton Hesekê. Es wurde am 25. November 2018 eröffnet. In dem Dorf leben Frauen verschiedener Herkunft. Neben Ezidinnen, Christinnen, Muslima, Kurdinnen, Suryoye und Araberinnen nehmen auch Frauen aus der ganzen der Welt am Dorfleben teil.

Die Erklärung aus Jinwar wird mit einem Gedicht von einer unbekannten vietnamesischen Revolutionärin eingeleitet:

„Wir füllen die Krater der Bomben

und säen wieder

und singen wieder

denn das Leben kapituliert nie"

Jinwar musste zu Beginn der türkischen Invasion in Nordsyrien im Oktober vergangenen Jahres aus Sicherheitsgründen vorübergehend evakuiert werden. Inzwischen sind die Frauen wieder zurück im Dorf und führen ihr kollektives Leben dort weiter. In der Erklärung zum Frauenkampftag heißt es:

„Heute ist der 8. März. An diesem Tag geben wir dem Kampf, den wir als Frauen seit Tausenden von Jahren führen, eine Bedeutung. Wir schauen an diesem Tag auf die Kämpfe vor uns und gedenken den Frauen, Freundinnen, Schwestern und Müttern, die entschlossen und mutig für unsere Freiheit, für unsere Zukunft gekämpft und in diesen Kampf ihr Leben gegeben haben.

Wir sehen auf das Heute und was wir sehen ist, dass an allen Orten dieser Welt Frauen sich erheben, weil wir sehen, weil wir hören, weil wir spüren, dass ein Leben in Freiheit und Frieden für uns als Frauen absolut nichts mit der Politik der Ausbeutung, des Krieges, der Gewalt und Zerstörung zu tun hat. Im Gegenteil.

Hier im Mittleren Osten, in Kurdistan sind wir mit den brutalsten Formen der Unterdrückung konfrontiert, sei es durch den Faschismus der Türkei, ihrer verbündeten Staaten und dschihadistischen Gruppen. An anderen Orten dieser Welt, an denen Frauen kämpfen, sind es andere Staaten und andere Gruppen mit anderen Namen, aber alle mit derselben feindlichen Haltung gegenüber Frauen.

Frauen an allen Orten, aller Glaubensrichtungen und jeden Alters erheben sich, weil sie sehen, dass über Frauen geherrscht wird, sie unterdrückt und als wertlos betrachtet werden. Allein wegen unserer Existenz als Frauen werden wir als eine Gefahr dargestellt, die bekämpft werden muss. Es ist heutzutage sogar so, dass uns das Kämpfen verboten werden soll.

Deswegen sagen unsere Freundinnen in Mexiko, die zapatistischen Frauen, die für ihr Land kämpfen und sich seit fast 30 Jahren im Widerstand befinden, dieses Jahr zum 8.März: Wir fragen nicht um Erlaubnis, um kämpfen zu dürfen.

So wie sie und viele andere wissen wir, was wir wollen und wofür wir kämpfen. In einem Umfeld von Chaos, Zerstörung und Gewalt stellen wir das Leben in den Mittelpunkt. Wir als Frauen kämpfen dafür, säen zu können. Wir kämpfen dafür, dass die Erde, die uns ernährt, auch noch unsere Kinder und Kindeskinder ernähren wird. Wir kämpfen für die Luft zum Atmen und sauberes Wasser zum Trinken. Wir kämpfen, um die Kindheit unsere Kinder zu schützen, sodass sie die Wunder des Lebens nach und nach entdecken können. Dass sie geliebt werden und selber lieben können. Wir kämpfen dafür, dass unsere Werte das Erbe für unsere Kinder sind.

Wir verteidigen die Sprache, mit der uns unsere Mutter begrüßt hat, als wir unseren ersten Atemzug gemacht haben, denn es ist nicht nur der Klang unserer Mutter, sondern der Klang unserer Geschichte. Wir kämpfen dafür, dass wir unsere Körper mit Respekt betrachten. Und wir kämpfen für unsere Würde.

Das Wichtigste an diesem Tag ist, dass wir uns näher kommen und uns und unsere Kämpfe wahrnehmen. Wir kämpfen als Frauen für etwas Essentielles auf der Welt: Dafür, dass wir als Frauen zusammenkommen können, weil wir uns und unsere Geschichten kennenlernen wollen. Weil wir uns schätzen und respektieren und weil unser Zusammensein unsere Leben bereichert.

In Jinwar, dem Dorf der freien Frauen, haben wir mit der Kraft, der Mühe und der Kreativität vieler Frauen einen Ort geschaffen, an dem genau dies möglich ist. Hier leben und arbeiten wir als Frauen zusammen, lernen uns und unsere Geschichten kennen, teilen unser Wissen, entwickeln Freundschaften. Das wohl wichtigste und wertvollste ist, dass wir alle unterschiedliche Hintergründe haben. Wir kommen aus verschiedenen Regionen, Kulturen und Geschichten, unsere Sprachen und Glauben sind verschiedene. Doch was uns eint, sind die Angriffe gegen uns als Frauen und gegen unser Leben sowie unser Wunsch nach einem Leben in Freiheit und Frieden und unser Kampf dafür, diesen Wunsch umzusetzen.

Freiheit bedeutet für uns, mit unserer Sicht als Frauen und durch unsere tägliche Arbeit alle Bereiche unseres Lebens selber zu gestalten und Verantwortung füreinander und für unsere Kinder zu übernehmen. Wir haben hier die Kraft, eine Alternative zu erschaffen, die es möglich macht, unsere eigene Kultur zu entwickeln, nach unseren eigenen Werten frei zu leben, gemeinsam, mit unserem eigenen Willen, unseren eigenen Händen, unserer Kreativität.

Unser Kampf ist die Freiheit. Unser Widerstand ist der Erfolg. Und wir schauen heute an diesem Tag in die Zukunft. Auf der ganzen Welt stehen mehr und mehr Frauen auf und leisten Widerstand. Diese Kraft und Energie wollen wir verbinden. Aus unserer gemeinsamen Geschichte haben wir gelernt, dass unsere Einheit und unsere Organisierung unsere Stärke ist. Nur zusammen können wir erfolgreich sein, können wir unseren gemeinsamen Feind, das System der Unterdrückung bekämpfen und die männliche Mentalität überwinden.

Wir wollen uns näher kommen, unsere Geschichten kennenlernen, gemeinsame Werte und Perspektiven und eine Kultur der Politik von Frauen entwickeln. Wir rufen alle Frauen der Welt dazu auf, diese starke Basis zu entwickeln, durch einen gemeinsamen Kampf hin zu einem Weltfrauenkonföderalismus.

Als freie Frauen teilen wir den Aufruf von Suad Mustafa, der Mutter von Hevrîn Xelef: ‚Die Stimme von Hevrîn Xelef wurde zur Stimme der Welt und der Menschheit. Für die Freiheit der Frauen wurde sie ein Symbol. Sie wurde ein Wert für die Frauenbefreiung. Dieser Feind kennt keine Menschlichkeit. Heute gibt es Millionen von Hevrîns. Sie sind gegen den Faschismus aufgestanden und tun es immer noch. Mein Aufruf an alle Frauen dieser Welt ist der: Vereinigt euch. Erhebt gemeinsam eure Stimme gegen Erdogan und gegen all diejenigen, die Erdogan unterstützen, und sagt: Wir sind alle Hevrîn. Wir werden gegen dich Widerstand leisten, wir sind Arîn Mîrkan auf dem Miştenûr-Hügel‘."