Geldstrafen wegen Plakaten von Femizid-Opfern

In Adana haben zwei Aktivistinnen des Frauenrats Geldstrafen im fünfstelligen Bereich wegen Plakaten mit Fotos von Femizid-Opfern erhalten. Die Betroffenen kritisieren die staatliche Schikane und fordern: „Nicht uns stoppen, sondern unsere Mörder.“

In der südtürkischen Provinz Adana haben zwei Aktivistinnen des Frauenrats Geldstrafen im fünfstelligen Bereich wegen des Anbringens von Plakaten mit Fotos von Femizid-Opfern erhalten. Die Plakate mit den Konterfeis von Frauen, die patriarchalische Gewalt erfahren haben und ermordet wurden, waren von den betroffenen Aktivistinnen kurz vor der Jahreswende mit Tesafilm an einigen Haltstellen im Stadtgebiet und im Atatürk-Park angebracht worden. Die Betroffenen sind empört über die staatliche Schikane, aber wirklich überrascht scheinen sie nicht. „Da Gewalt gegen Frauen zur staatlichen Politik gehört, wird die Arbeit der Frauenbewegung kriminalisiert”, äußern sie.

Die Bußgeldbescheide in Höhe von jeweils 12132 TL (umgerechtnet etwa 1340 Euro) erhielten die Aktivistinnen des Frauenrats Adana, eine Kooperationspartnerin der Plattform gegen Frauenmorde (Kadın Cinayetlerini Durduracağız Platformu, KCDP), von der Sicherheitsabteilung des Polizeipräsidiums. Zur Begründung, warum sich die Behörde bei den Geldstrafen an der Obergrenze des Bußgeldrahmens orientierte, heißt es zynisch, das Stadtbild sei in Teilen verschandelt worden. Die Plakatierungsaktion an Silvester war durchgeführt worden, nachdem am 29. Dezember in Ankara vier Frauen an einem Tag Opfer eines Femizids wurden.

Gegen die Bußgeldbescheide hat der Frauenrat Adana bereits Einspruch eingelegt. „Kommunale Einrichtungen sollten sich daran stören, dass Frauen von Männern ermordet werden, weil sie Frauen sind, und nicht daran, dass Plakate mit ihren Gesichtern irgendwo angebracht werden”, heißt es in einer Mitteilung des Vereinsvorstands. Der Kampf für ein Ende von Femiziden sei ein „Akt der Würde”, der nicht kriminalisiert werden dürfe. „Die Frauen, an deren Konterfeis sich die Behörden stören, würden heute leben, wenn die Istanbul-Konvention und das Gesetz 6284 effektiv umgesetzt worden wären. Die Behörden sollen nicht uns stoppen sondern Männer, die Frauen ermorden”. Frauenorganisationen kritisieren seit Jahren, dass die türkische Justiz nicht opferorientiert handelt und die Istanbuler Konvention, noch das Gesetz Nummer 6284 zum Schutz der Familie und der Unterbindung von Gewalt an Frauen, das nach der Ratifizierung des Abkommens durch die Türkei 2012 erlassen worden war, keine Anwendung findet und de facto wegen Funktionslosigkeit außer Kraft tritt.

300 Femizide in einem Jahr

Nach einer Zählung der KCDP sind in der Türkei im zurückliegenden Jahr mindestens 300 Frauen von Männern aus ihrem Umfeld ermordet worden. 171 weitere Frauen kamen unter verdächtigen Umständen ums Leben leben. In ihrer jährlichen Femizid-Bilanz weist die Organisation darauf hin, dass Gewalt gegen Frauen weltweit im Schatten von Corona zugenommen hat, in der Türkei jedoch die Ankündigung der AKP-Regierung, aus der Istanbul-Konvention auszusteigen, die geschlechtsspezifische Gewalt noch befeuert habe. Das Abkommen des Europarats dient der Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Konservative und islamistische Kreise in der Türkei hatten allerdings eine Diskussion um einen Ausstieg in Gang gesetzt, weil die Konvention traditionelle Werte untergrabe und Männer zu „Sündenböcken“ mache. Die Regierung sprach sich daraufhin für einen eigenen, nationalen Weg aus, mit einem Gesetzestext, der mehr auf die türkische Kultur und Traditionen ausgelegt sein soll.