Fünf Jahre in IS-Gefangenschaft

Sual Seyfo Xelef war fünf Jahre in IS-Gefangenschaft. Sie befindet sich nun auf der Suche nach ihrer Tochter, die 2014 zwei Jahre alt war. Die IS-Söldner hatten Mutter und Tochter getrennt.

Zehn Jahre Völkermord in Şengal

Zehn Jahre sind seit dem IS-Genozid an der ezidischen Bevölkerung der Şengal-Region vergangen. Am 3. August 2014 ermordete der IS nach dem fluchtartigen Rückzug der PDK-Peschmerga tausende Ezid:innen. Tausende Frauen und Kinder wurden ebenfalls ermordet oder auf Sklavenmärkten verkauft. Viele sind bis heute verschwunden.

Sual Seyfo Xelef aus dem Dorf Girzêrik wurde gefangen genommen, als sie versuchte, mit ihrer Familie in das Şengal-Massiv zu fliehen. Sie wurde gemeinsam mit 50 weiteren Personen vom IS nach Syrien verschleppt. Aus Angst davor, auf dem Sklavenmarkt zu landen oder ermordet zu werden, musste sie jahrelang ihre ezidische Identität verbergen. Nach der Niederlage des IS wurde sie zusammen mit Tausenden IS-Angehörigen ins Camp Hol in Rojava gebracht. Xelef wurde 2019 durch eine Operation der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) aus der Gefangenschaft befreit. Sie wurde daraufhin zurück nach Şengal gebracht, wo sie heute lebt. Auch die meisten von Xelefs Verwandten konnten gerettet werden. Das Schicksal ihrer damals zweijährigen Tochter bleibt jedoch unbekannt. Xelef betonte, ihr einziger Wunsch sei es, von ihrer Tochter zu erfahren. Sie müsste jetzt zwölf Jahre alt sein.


Sual Seyfo Xelef, das Schicksal ihrer jetzt zwölfjährigen Tochter ist unbekannt (c) MA

Sie legten einen Hinterhalt und nahmen uns gefangen“

Xelef erzählte ihre Geschichte der Nachrichtenagentur Mezopotamya: „Am ersten Tag des Massenmords brachen wir auf, um ins Gebirge zu fliehen. Der IS lockte uns in einen Hinterhalt und nahm uns gefangen und brachte uns nach Şengal. Dort sammelten sie alle Gefangenen. Sie trennten Frauen, Jugendliche und Kinder. Sie ließen uns zwei bis drei Tage lang in Şengal warten. Nachdem das Gebiet, in dem wir uns befanden, aus der Luft bombardiert wurde, brachten sie uns in die Haftanstalt Badush. Nur wir, also ein paar Frauen und Kinder, wurden dort gelassen.“

Zwangskonvertierungen

Xelef berichtete, sie seien während der Luftangriffe ständig an andere Orte gebracht worden und dass die Frauen, die nicht bereit waren, den Islam als Religion anzunehmen, schwer gefoltert wurden: „Wo wir hingebracht wurden, wurden die Mädchen von uns getrennt. Wir blieben ungefähr 24 Tage in Tel Afar. Man sagte uns, dass diejenigen, die den Islam annehmen, wieder mit ihren Familien zusammengeführt und ihnen Häuser gegeben würden. Dann wurden wir gesammelt und in das Dorf Kesîrmehreb gebracht. Anschließend ging es weiter nach Mosul.“

13 Gefangene aus einer Familie

Nach 25 Tagen wurden sie von Mosul wieder nach Tel Afar gebracht. Xelef führte aus: „In Tel Afar blieben wir vier Monate lang. Die Alten und Versehrten wurden in den Irak geschickt und dort verkauft. Dreizehn Personen aus meiner Kernfamilie wurden gefangen genommen. Meine Schwiegermutter wurde dort zurückgelassen, da waren wir noch zwölf. Eines Tages sammelten sie alle Gefangenen wieder ein. Sie fesselten uns die Hände und verbanden den Männern die Augen und brachten sie weg. Danach haben wir sie nie wieder gesehen. Acht- bis zwölfjährige Kinder wurden auch mitgenommen. Nach sechs Tagen in einer Religionsschule brachten sie uns nach Syrien. Nach 40 Tagen trennten sie uns voneinander. Damals trennten sie mich von meiner Familie. Wir waren damals in Raqqa. Sie brachten mich nach Tadmur. Dann nach Meyadin, Hajin und Şehba."

Niemand wurde gehen gelassen“

Xelef berichtet, dass manche der Frauen, die mit ihr zusammen gefangen waren, auf Sklavenmärkten verkauft wurden. Sie beschrieb: „Sie sagten uns: ‚Wenn ihr Muslime werdet, lassen wir euch gehen‘. Aber das passierte nicht. Viele Frauen akzeptierten, um ihre Kinder zu retten. Aber auch wenn sie zustimmten, wollte man sie nicht gehen lassen. Es ging eben nicht nur darum, Ezidinnen zu Muslimas zu machen. Viele Frauen und Kinder werden immer noch vermisst. Wir wissen nicht, ob sie getötet wurden oder ob sie noch im Gefängnis sind.“ Xelef erinnerte daran, dass viele der IS-Überlebenden nach Europa gehen mussten: „Denn was sie durchgemacht haben, war nicht leicht.“

Rückkehr nach der Befreiung

Xelef berichtete, dass sie lange auf die Befreiung gewartet habe: „Ich war 2019 in al-Bagouz. Wir waren umzingelt. Die Familie, in deren Haus ich wohnte, sagte, wir würden ins Camp Hol gehen. Ich sollte nicht sagen, dass ich Ezidin bin. Sie sagten mir: ‚Wenn du sagst, dass du Ezidin bist, werden sie dich auf den Märkten verkaufen und dich in andere Länder schicken. Ich kannte eine Person in al-Bagouz. Im Camp Hol gab es drei Ezidinnen, die zu den Sicherheitskräften gingen und sagten, dass sie Ezidinnen seien. An diesem Tag, um 00.20 Uhr nachts, umstellten die Sicherheitskräfte von Rojava das Lager und retteten uns. Sie fragten uns: ‚Warum habt ihr nicht gleich gesagt, dass ihr Ezidinnen seid?‘ Wir sagten, dass wir Angst hatten. Nachdem sie uns registriert hatten, brachten sie uns in eine ezidische Unterkunft in Syrien, dann in den Irak und übergaben uns unseren Familien.“

Es gibt keinen einzigen Tag, an dem ich nicht an meine Tochter denke“

„Wir wurden gerettet, aber die Situation hat sich nicht geändert; wir haben Kinder und Verwandte in Gefangenschaft“, sagte Xelef und fügte hinzu, dass sie auf die Befreiung ihrer zwölfjährigen Tochter hoffe. Sie fuhrt fort: „Sie haben immer noch meine Tochter. Als ich gefangen genommen wurde, war meine Tochter zwei Jahre alt. Es gibt keinen einzigen Tag, an dem ich nicht an sie denke. Wie kann ich das Leben in dieser Situation genießen, wie kann ich es schön nennen? Sie haben meine Tochter in Şehba von mir genommen. Früher habe ich sie manchmal gesehen, aber nachdem ich nach al-Bagouz gebracht worden war, haben wir den Kontakt völlig verloren. Einmal schickten sie mir ein Foto von ihr und sagten, man werde sie mir bringen. Aber sie ist immer noch nicht da. Jetzt ist meine Tochter zwölf Jahre alt. Ich weiß nicht, was sie macht, ob sie noch lebt oder nicht. Ich lebe nur noch in der Erwartung einer Nachricht.“