Die kurdische Rechtsanwältin Newroz Uysal ist vom Vorwurf des „Terrorismus“ freigesprochen worden. Das Gericht in Amed (tr. Diyarbakır) sah am Mittwoch keine Beweise, dass die Juristin sich mitgliedschaftlich in einer „terroristischen“ Vereinigung beteiligt hätte. Die Anklage hatte eine Freiheitsstrafe von bis zu fünfzehn Jahren gegen Uysal gefordert. Die Kurdin gehört zum Verteidigerteam der Istanbuler Kanzlei Asrin, die Abdullah Öcalan und seine drei Mitgefangenen im Hochsicherheitsgefängnis Imrali vertritt.
Angeklagt war Uysal wegen der Teilnahme an Aktivitäten der Graswurzelbewegung „Demokratischer Gesellschaftskongress“ (KCD) – konkret ging es um zwei von der kurdischen Frauenbewegung TJA organisierte Informationsveranstaltungen rund um die Isolation auf Imrali – und an einer WhatsApp-Gruppe, in der sich Jurist:innen über Rechtsverletzungen im Zuge der Militärbelagerung und Ausgangssperren in der kurdischen Stadt Cizîr im Winter 2015/2016 austauschten.
Verteidigerin einen Tag vor Urteilsverkündung festgenommen
Der seit Ende 2021 anhängige Prozess fand vor der 10. Kammer des Gerichts für schwere Straftaten Diyarbakır statt. Uysal wurde von Gulan Çağın Kaleli, Faik Özgür Erol und Nahit Eren verteidigt. Letzterer ist Vorsitzender der Rechtsanwaltskammer Amed und war vertretungsweise bestellt worden, da die dritte Verteidigerin der Angeklagten, Halise Dakalı, am Dienstag bei der landesweiten Festnahmeoperation gegen Opposition und Zivilgesellschaft festgenommen wurde.
Angriff auf die Anwaltschaft
„Unsere Mandantin soll bestraft werden, weil sie die Öffentlichkeit über die rechtswidrige Isolationshaft auf der Gefängnisinsel Imrali informiert hat“, fasste die Verteidigung in ihrem Schlussvortrag zusammen. Uysal selbst erklärte, dass es sich bei dem Prozess um einen „Angriff auf die Anwaltschaft“ handele. Ihr werde unterstellt, nicht lediglich ihre anwaltlichen Pflichten wahrgenommen zu haben, sondern die Interessen und Anliegen ihrer Mandanten zu teilen.
Staatsanwaltschaft will in Berufung gehen
„Ich bin angeklagt, weil ich als Anwältin brutale Fälle von Verbrechen gegen die Menschlichkeit betreue und an der Verteidigung von Abdullah Öcalan beteiligt bin.“ Dass das Verfahren „haltlos“ und der Terrorvorwurf gegen sie willkürlich sei, wäre daran kenntlich, dass die Ermittlungen erst nach Durchbrechung der Isolation auf Imrali im Jahr 2019 eingeleitet wurden. Die Staatsanwaltschaft hat Berufung gegen den Freispruch für Uysal angekündigt.
Friedensbotschaft von Öcalan übermittelt
Newroz Uysal ist eine der letzten Personen, die Abdullah Öcalan persönlich getroffen haben. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Rezan Sarıca konnte die Rechtsanwältin ihren Mandanten zwischen Mai und August 2019 mehrere Male auf der Gefängnisinsel Imrali besuchen. Vorher wurde acht Jahre lang ein Besuchsverbot für Öcalans Rechtsbeistand aufrecht erhalten.
Der Besuch wurde durch einen von der kurdischen Politikerin Leyla Güven initiierten Massenhungerstreik erkämpft. In dem Gespräch übermittelten Öcalan und seine Mitgefangenen Hamili Yıldırım, Ömer Hayri Konar und Veysel Aktaş eine Botschaft, in der sie zu einem würdevollen Frieden und einer politischen Lösung der kurdischen Frage und der Probleme in der Türkei aufriefen.
Seit August 2019 hat das Verteidigerteam keinen Kontakt mehr zu Öcalan, das letzte Lebenszeichen war ein kurzes Telefonat mit seinem Bruder Mehmet Öcalan im März 2021. Von der Kontaktsperre sind auch die drei Mitgefangenen des kurdischen Vordenkers betroffen.