Seit zwei Jahren gibt es kein Lebenszeichen von der Gefängnisinsel Imrali im Marmara-Meer. Darauf weist die Anwaltskanzlei Asrin hin, die die vier Imrali-Gefangenen Abdullah Öcalan, Ömer Hayri Konar, Hamili Yıldırım und Veysi Aktaş vertritt. Der letzte Kontakt mit Imrali fand in Form von kurzen Telefonaten mit Angehörigen am 25. März 2021 statt. Für Öcalan war das aus unbekannten Gründen nach wenigen Minuten unterbrochene Gespräch das zweite Telefonat seit seiner Inhaftierung im Februar 1999. In diesem kurzen Telefongespräch erklärte der Repräsentant der kurdischen Bewegung gegenüber seinem Bruder Mehmet Öcalan, dass er von seinem gesetzlichen Recht auf Anwaltskontakt Gebrauch machen wolle.
Die Kanzlei Asrin teilt dazu mit, dass trotz diversen rechtlichen, administrativen und demokratischen Initiativen keine Informationen über ihre Mandanten vorliegen: „Da wir sie nicht besuchen oder in irgendeiner Weise mit ihnen kommunizieren konnten, gibt es immer noch keine Informationen über ihre Haftbedingungen, ihren rechtlichen Status und insbesondere ihren Gesundheitszustand.“
Hunderte Anträge auf Besuchserlaubnis
Den Angaben der Kanzlei zufolge sind in den vergangenen zwei Jahren 274 Anträge auf Besuchsgenehmigung für die Anwältinnen und Anwälte und 118 Anträge für Familienangehörige bei der Generalstaatsanwaltschaft Bursa und der Gefängnisdirektion gestellt worden. Keiner der Anträge wurde positiv beschieden. Auch Klagen vor dem türkischen Verfassungsgericht blieben ergebnislos.
Beschluss des UN-Menschenrechtsausschusses
„Anstatt die Rechte der Betroffenen zu schützen und der illegalen Praxis ein Ende zu setzen, haben die Justizorgane einmal mehr gezeigt, dass sie eine weitere Säule der Isolation darstellen, indem sie die Fortsetzung der Isolation auf Imrali auf dem Niveau von Folter und Unmenschlichkeit ermöglichen. Die Tatsache, dass wir keine Nachrichten von Herrn Öcalan und unseren anderen Mandanten erhalten, lässt sich mit keinem Artikel von Recht und Gesetz erklären. Sie von der Welt und der Gesellschaft abzuschneiden, ihnen den Rechtsschutz zu entziehen und sie unter unbeaufsichtigten, unsicheren und unvorhersehbaren Bedingungen zu halten, ist eine unmenschliche Praxis, die einer Folter gleichkommt. Daher wurde ein Antrag an den Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen gestellt mit der Bitte um Maßnahmen zur Beendigung der absoluten Isolationshaft auf Imrali. Der Ausschuss akzeptierte zunächst den Antrag auf Maßnahmen und wies die Regierung im September 2022 an, die Isolationshaft der Antragsteller zu beenden und ihnen sofortigen und uneingeschränkten Zugang zu einem Anwalt ihrer Wahl zu gewähren. Da die Regierung diesem Beschluss nicht nachkam, wurde sie im Januar 2023 an das dringende Ersuchen erinnert. Obwohl das Verfahren bezüglich der Begründetheit des Antrags noch läuft, hat der Mahnbescheid deutlich gezeigt, dass die Bedingungen auf Imrali gegen das Folterverbot verstoßen und dass sofort beendet werden müssen“, erklärt die Anwaltskanzlei Asrin und fordert die sofortige Umsetzung der vorbeugenden Entscheidung des UN-Menschenrechtsausschusses.
Die politische Dimension der Imrali-Isolation
Die Kanzlei weist auch auf die politische Dimension der Imrali-Isolation hin: „Die Politik des Staates auf Imrali spiegelt sich in der Politik in der Türkei und des Nahen Ostens wider. Anstelle von Frieden und demokratischer Politik wird eine Sicherheitspolitik betrieben, die in jeder Hinsicht zu Polarisierung, Krise und Chaos führt. Diese Situation steht natürlich in engem Zusammenhang mit der kurdischen Frage, die regionale und globale Dimensionen hat, und mit der Tatsache, dass das Problem ungelöst bleibt. Mit der ausbleibenden Lösung vertieft sich auch der Zustand der absoluten Isolation. Solange das System der absoluten Isolation aufrechterhalten wird, kann weder die kurdische Frage gelöst noch eine demokratische Entwicklung erreicht werden. Die Imrali-Isolation bedeutet die Aufgabe von Recht und Demokratie in der Türkei. Das führt zu einem Dominoeffekt, der die materiellen und moralischen Werte der Gesellschaft und das gesamte soziale und politische Leben beschädigt. Für ein lebenswertes Land und eine lebenswerte Region muss die kurdische Frage gelöst und das System der Imrali-Isolation aufgehoben werden.“