Wie jedes Jahr bildet das Frauentreffen der Istanbuler Plattform 8. März am Hafen von Kadıköy den Auftakt zum internationalen Frauenkampftag und den anschließenden Aktionstagen – dieses Mal unter der Losung: „Wir haben einen Kampf gegen Armut, Gewalt, Ausbeutung und Krieg zu führen“. Hunderte Frauen und LGBTIQ-Menschen (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans*, Inter* und Queers) beteiligten sich am Sonntag an der Veranstaltung auf der asiatischen Seite der Bosporus-Metropole. Vertreten waren auch diverse Initiativen, Gruppen und Organisationen wie etwa Lila Solidarität, Samstagsmütter, Feministisches Studierenden-Kollektiv, Netzwerk Frauenverteidigung, Feministische Solidarität für Katastrophenhilfe sowie Tevgera Jinên Azad (TJA). Es war laut, kämpferisch und bunt – und wie gewöhnlich ein Vergnügen für Augen, Ohren und das Herz.
Der Block der kurdischen Frauen fiel am Ende aber am meisten auf. Das lag hauptsächlich daran, dass die TJA-Aktivistinnen, von denen viele farbenfrohe Kleider trugen, zusammen mit den DEM-Frauen vom Parteibüro in Kadıköy aus hinter einem Fronttransparent mit der Aufschrift „Mit der Formel -Jin Jiyan Azadî- zur Freiheit“ zum Hafen zogen und begleitet von lautstarken „Es lebe unser Widerstand“-Rufen, Erbane-Klängen, dem schrillen Trillern „Tililî“ und Applaus den Kundgebungsplatz erreichten, wo sie umgehend anfingen zu singen und zu tanzen. Für Aufreger sorgten auch Versuche der türkischen Polizei, Plakate der TJA – auf denen „Wir haben ein freies Leben zu gewinnen“ oder „Wahrheit ist Liebe, Liebe ist das freie Leben“ zu lesen war – sowie eine Regenbogenfahne der feministischen Studierenden zu beschlagnahmen.
Die Störaktionen der Polizei ließen die Stimmung nicht abkühlen, im Gegenteil. Am Hafen wurde noch ausgiebiger getanzt, als aus den Lautsprechern der Song „Govendê Govendê“ von Aynur Doğan ertönte. Unter den Frauen der TJA und DEM war auch die Parlamentsabgeordnete Meral Danış Beştaş, die zusammen mit ihrem früheren Fraktionskollegen Murat Çepni für die Oberbürgermeisterwahl in Istanbul kandidiert. Auf der Bühne gaben derweil Rednerinnen der vertretenen Frauengruppen-, verbände- und Institutionen Einblicke in ihr Kampf-Repertoire und Solidaritätsbekundungen für widerständige Frauen auf der ganzen Welt, insbesondere dort, wo derzeit Krieg herrscht. Anschließend wurde in Türkisch und Kurdisch die Erklärung der Frauenplattform zum diesjährigen 8. März verlesen:
„Seit dem ersten Weltfrauentag sind mehr als 100 Jahre vergangen. Die Lebensbedingungen der Frauen haben sich seither zwar verändert, die Forderungen der Frauenbewegungen rund um den Globus jedoch sind gleichgeblieben und sind zum Teil noch immer Visionen. Denn noch immer müssen wir für unsere Rechte kämpfen und Widerstand leisten gegen misogyne Strukturen, die in alle Lebensbereiche wirken und mit ihrer menschenverachtenden Politik unserem Leben das Licht entziehen wollen. Der Mann hinter dem Ein-Mann-Regime, der schon im Alleingang entschieden hat, dass die Türkei die Istanbul-Konvention verlässt, besitzt nun auch die Dreistigkeit, Diskussionen für eine Annullierung des Frauenschutzgesetzes 6284 loszutreten und weitere Entscheidungen zu treffen, die uns Frauen betreffen. Doch wer 6284 zur Diskussion stellt, gibt einerseits Tätern Mut, weitere Feminizide zu begehen, und bestraft andererseits Frauen, die sich nicht einzuschüchtern lassen und gegen die Pläne des Regimes kämpfen. In den letzten 48 Stunden sind mindestens acht Frauen von Männern aus ihrem Umfeld – Ex-Männer, Väter oder Partner – ermordet worden. Doch diejenigen, die unsere Rechte angreifen, hüllen sich angesichts dieses massiven Anstiegs von patriarchaler Gewalt ins Schweigen. Wir aber werden nicht schweigen und die Straßen und Plätze dieses Landes nicht verlassen.“
Die Plattform thematisierte in ihrer Erklärung auch die Geschlechterungleichheit in der Arbeitswelt und verurteilte, dass in der Regel noch nicht mal ansatzweise von Gleichstellung und Chancengleichheit die Rede sein könnte. „Frauen werden noch immer viel zu oft dazu gezwungen, unter ihren Qualifikationen und in prekären Arbeitsverhältnissen zu arbeiten. Millionen von Frauen werden erst gar nicht als Teil der Erwerbsbevölkerung betrachtet. Wir leisten Widerstand gegen die Ausbeutung unserer Arbeitskraft, und fordern gleichen Lohn für gleiche Arbeit und das Recht auf gewerkschaftliche Organisierung ein.“ Zum Thema Krieg hieß es, dass die von kolonialistischen Staaten wie der Türkei in der Region und im Nahen Osten angeheizten Konflikte das Leben von Frauen zum Ziel hätten: „Überall auf der Welt wird der Widerstand gegen Krieg und Besatzung mit Folter, Strafe, Verhaftung und der Ausschaltung der Opposition beantwortet. Der Waffenhandel füllt die Kassen der Bosse. Frauen und Kinder sind von den Folgen des Krieges am meisten betroffen, die Kinder der Armen werden Subjekte von Massakern. Wir wissen, wer die Kriegsprofiteure sind. Aber noch wichtiger ist, dass wir wissen, dass es die Frauen sind, die am meisten durch den Krieg verlieren, wir kennen diese Frauen. Wir möchten, dass alle Anwesenden den Schrei der Mütter vernehmen, die ihre Kinder im Krieg verloren haben.“
Abschließend erklärte die Plattform: „Wir werden den Widerstand gegen männliche Dominanz, Ausbeutung der Arbeitskraft, Arbeitslosigkeit, Armut, prekäre Beschäftigungsverhältnisse; gegen zunehmende patriarchale und staatliche Gewalt, die Politik der Straflosigkeit, Kriege, den Anstieg von Rechtsverletzungen und Repression gegen unsere Kämpfe auf der Straße und den Widerstand in den Gefängnissen; gegen jede Form von Rassismus und Diskriminierung, gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und Hass; gegen Vorurteile und Hate Speech gegenüber LGBTIQ+ und Geflüchteten; gegen Faschismus, diese Regierung und die Mainstreamopposition verstärken. Wir sind hier, um den Frauenbefreiungskampf auszuweiten. Wir stehen Schulter an Schulter und kämpfen gemeinsam für unsere Freiheit, unser Leben und unsere Rechte. Es lebe der 8. März, es lebe die Frauensolidarität.“