Frauensolidarität vor türkischer Botschaft in Berlin

Vor der türkischen Botschaft in Berlin haben Aktivistinnen verschiedener Initiativen gegen die Aufkündigung der Istanbul-Konvention durch Erdogan protestiert und sich mit den Frauen in der Türkei solidarisiert.

Am Mittwoch hat auf Initiative des polnischen queerfeministischen Kollektivs „Dziewuchy Berlin“ mit den „Omas gegen rechts“ und der Bewegung für sexuelle Selbstbestimmung eine Protestkundgebung gegen den Austritt der Türkei aus der Istanbul-Konvention vor der türkischen Botschaft stattgefunden. Die Aktivistinnen, darunter auch der Frauenrat Dest-Dan und der Sozialistische Frauenbund (SKB), verurteilten die Aufkündigung des Frauenschutzabkommens durch den türkischen Präsidenten Erdogan und solidarisierten sich mit den betroffenen Frauen in der Türkei.

Video: Omas gegen rechts

Das Recht, nicht ermordet zu werden“

Im Redebeitrag des kurdischen Frauenrats Dest-Dan hieß es: „Über Nacht ist die Türkei aus der Istanbul-Konvention ausgetreten. Istanbul-Konvention – ein völkerrechtlicher Vertrag, der letztendlich die Rechte festschreibt, die uns eigentlich ganz selbstverständlich zustehen sollten. Rechte, die für Frauen, so wie für alle Menschen ganz grundlegend sind: also das Recht nicht ermordet zu werden, das Recht nicht geschlagen zu werden, das Recht nicht misshandelt oder vergewaltigt zu werden. Auch wenn unser Kampf nicht bei dem Erlangen von Rechten und festgeschriebenen Gesetzen aufhört, so ist es trotzdem eine Errungenschaft von feministischen Kämpfen der letzten Jahrzehnte. Und diese Errungenschaft wird uns nun einfach so per Präsidial-Dekret genommen.

Was ist Deutschlands Reaktion?

Vergangene Woche gab es einen EU-Gipfel, bei dem zuallererst Zugeständnisse an die Türkei gemacht wurden. Das ausgerufene Ziel beider Seiten ist eine sogenannte positive Agenda, die Vertrauen schaffen und Konflikte entschärfen soll. Zum Austritt aus der Istanbul-Konvention? Keine Reaktion, außer dass die EU sich „besorgt“ zeigte. Nächste Woche reisen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel in die Türkei. Auf der Agenda steht nun, die Beziehungen zu stärken – komme, was da wolle.

Und was kommt?

Gerade wird in der Türkei diskutiert, die HDP zu verbieten, also eine parlamentarische, wählbare Partei, die aus basisdemokratischen Bewegungen heraus entstanden ist. Und gleichzeitig macht auch der Austritt aus der Istanbul-Konvention sehr deutlich, welche Linie die faschistische MHP/AKP-Regierung fährt. Das wurde auch schon die letzten Jahre deutlich und das zeigt sich besonders an der Situation der Frauen. Die Rate der Ermordungen von Frauen in der Türkei hat so drastisch zugenommen, dass es in der Gesellschaft mehr als spürbar ist. Und der Staat macht es möglich. Zum Beispiel im Fall von Melek Ipek. Sie wurde von ihrem Mann eingesperrt, misshandelt und schließlich zusammen mit ihrer Tochter mit dem Tod bedroht. Nachdem sie sich wehren konnte und im Akt der Selbstverteidigung den Mann erschoss, wurde sie festgenommen und ihr droht nun eine lange, vielleicht sogar lebenslängliche Haftstrafe.

Was kommt, wird auch in der Außenpolitik der Türkei deutlich. Es zeigt sich in dem völkerrechtswidrigem Angriffskrieg der Türkei gegen Nordostsyrien, aber auch in den Angriffen der Türkei im Irak, zum Beispiel auf Mexmûr, auf Şengal oder auf Gare. Diese richten sich gezielt gegen Frauen und gegen die kurdische Frauenbewegung.

Deshalb haben wir als kurdische Frauenbewegung auch die Kampagne „100 Gründe, um dem Diktator den Prozess zu machen“ gestartet, um auf all die systematischen Ermordungen von Frauen unter dem Erdoğan-Regime aufmerksam zu machen und Erdoğan ein Ende zu bereiten.

Patriarchen ziehen an einem Strang

Patriarchen ziehen an einem Strang und das zeigt sich in den Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei. Das zeigt sich auch in den Beziehungen zwischen der deutschen und der polnischen Regierung, aber auch in der Beziehung zwischen Erdoğan und der PiS-Regierung. Denn was bedeutet der Austritt aus der Istanbul-Konvention jetzt für andere Länder? Für die extrem frauen- und queerfeindliche Regierung in Polen ist es doch eine gute Gelegenheit, auch die Istanbul-Konvention zu überdenken. Wie auch Erdoğan damit argumentierte, dass die Istanbul-Konvention ein Angriff auf die Familie sei, so fand gestern im polnischen Parlament eine Lesung mit dem Titel „Nein zu Gender, ja zur Familie“ statt. Im letzten Jahr hat die rechts-nationalistische und fundamentalistische Regierung in Polen zusammen mit der katholischen Kirche das Recht auf Abtreibung komplett verboten. Queere Aktivist*innen werden in Polen massenhaft festgenommen.

Die Enkelinnen der Hexen

Diese Verschärfungen sind ein harter Rückschlag für Errungenschaften von feministischen Kämpfen und Frauenbewegungen in Polen, in der Türkei und weltweit. Wir sehen, dass gerade Länder, in den autoritäre, zunehmend faschistische, konservative und nationalistische Regierungen an der Macht sind, Rechte auf Selbstbestimmung von Frauen und LGBTIQ massiv einschränken.

Zugleich ist es so bestärkend zu sehen, wie trotzdem Frauen in Polen auf die Straße gehen und dieses Gesetz einfach nicht hinnehmen. Es ist auch bestärkend, dass nach Bekanntwerden des Austritts umgehend Proteste in der Türkei losgingen.

Die Aktivistin und KCDP-Generalsekretärin Fidan Ataselim sagte dazu: „Ihr könnt Millionen von Frauen nicht ignorieren, zu Hause einsperren, von den Straßen vertreiben oder zum Schweigen bringen. Wir werden massenweise auf die Plätze strömen, um das Recht von Frauen auf ein gleichberechtigtes und freies Leben zu verteidigen. Die Konvention ist ein hart erkämpftes Frauenrecht, das sich Frauen nicht nehmen lassen werden!“

Also: Unser Widerstand wird nie aufhören! Ihr werdet für immer mit den Enkelinnen der Hexen zu tun haben. Denn unsere Körper gehören uns selbst! Wir wollen uns lebend! Und wir werden nie aufhören, für unsere Selbstbestimmung zu kämpfen! Jin Jiyan Azadî!“