Mit einer Performance aus Topfschlagen, Tanz und Gesang haben Aktivistinnen des Istanbuler Frauenrats gegen den Währungsverfall und die Wirtschaftsmisere in der Türkei protestiert und die Regierung zu einem Umdenken in der Sozialpolitik aufgefordert. Der Zorn der Frauen richtete sich vor allem gegen die jüngsten Energiepreiserhöhungen, die zu Jahresbeginn um bis zu 100 Prozent gestiegen sind. Verschärfend kommt die hohe Inflation von fast 50 Prozent und der starke Verfall der Lira hinzu.
Viele Waren und Güter sind für viele Menschen in der Türkei nur noch schwer erschwinglich, ein normaler Einkauf im Supermarkt ist für einen Großteil der Bevölkerung zum Luxus geworden. Im Januar lag die Inflationsrate nach offiziellen Angaben bei fast 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr – der höchste Stand seit Beginn der Ära von Erdoğan und seiner AKP. Die Bevölkerung ächzt förmlich unter der erratischen Wirtschaftspolitik des Präsidenten und der starken Verteuerung auf breiter Front. Auf wirksame Gegenmaßnahmen im Kampf gegen die Wirtschaftskrise wartet man jedoch vergeblich.
Polizei erteilt Platzverweise an LGBTIQ+
„Deshalb haben wir uns heute hier versammelt. Wir sind zusammengekommen, um zu demonstrieren, dass die Wirtschaftspolitik dieser Regierung das Land und seine Menschen in den Abgrund reißt“, sagte Fidan Ataselim. Direkt zu Beginn der Aktion drohte die Lage zu eskalieren, da die Polizei bereits Stunden zuvor Straßensperren rund um den Versammlungsplatz am Hafen des asiatischen Stadtteils Kadıköy abgesperrt hatte und die Nutzung von Töpfen sowie Pfannen unterbinden wollte. Mitglieder der LGBTIQ+-Community, die mit ihren Regenbogenfahnen die Aktion des Frauenrats unterstützen wollten, wurden von Sicherheitskräften unter dem Vorwand „Kein Zutritt für Männer“ des Platzes verwiesen.
Achtung Achtung, hier sprechen Frauen
Auf die Lautsprecheransage „Achtung, Achtung! Hier spricht die Polizei!“ entgegneten die Aktivistinnen lautstark: „Achtung Achtung! Hier sprechen die Frauen! Der Versuch von der Verfassung garantierte Grundrechte zu beschneiden wird nicht gelingen. Wir Frauen lassen uns nicht aufhalten und werden unseren Kampf gegen Krise, Armut und Arbeitslosigkeit entschieden ausfechten!“ Fidan Ataselim, die Generalsekretärin der Plattform „Wir werden Frauenmorde stoppen“ (KCDP) ist, protestierte energisch gegen das Vorgehen der Polizei. „Statt den Protest von Frauen und LGBTIQ+ gegen die Wirtschaftskrise zu unterbinden, sollte sich die Polizei vor Konzernbossen und Männern aufstellen, die Arbeitende ausbeuten und Gewalt gegen Frauen ausüben.“ Es seien diese Töpfe und Pfannen, die aufgrund der regierungsgemachten Krise symbolisch für alle leeren Teller und hungrige Bäuche im Land stünden, sagte Ataselim.
Schlag auf Topf und Pfanne – Kein Geld, kein Job, wir gehen auf die Straße
Auch alle anderen Beteiligten zeigten sich unbeeindruckt von Behinderungs- und Einschüchterungsversuchen der Polizei und führten ihre kämpferische Performance allen Schikanen zum Trotz auf. Zwar war es am Ende nicht so laut wie erhofft, da viele Pfannen und Töpfe von Sicherheitskräften beschlagnahmt worden waren. Doch für kämpferische Stimmung und gute Laune sorgten die tanzenden und hüpfenden Frauen mit ihrer Performance in jedem Fall. Besonders der Refrain des Liedtextes ging dabei schnell ins Ohr:
„Vur vur vur vur vur tencereye tavaya. Para yok, iş yok, dökülürüz sokağa“ – zu Deutsch: „Schlag schlag schlag schlag auf den Topf und die Pfanne – Kein Geld, kein Job, wir gehen auf die Straße.“
Regierung will Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel senken
Am Wochenende hat Staatschef Recep Tayyip Erdoğan angesichts der hohen Inflation eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel von acht auf ein Prozent angekündigt. Er erwarte, dass die Preise für Reis, Fleisch, Obst und Gemüse, Milchprodukte und Eier damit von Montag an um sieben Prozent fielen, sagte Erdoğan am Samstag in einer im Fernsehen übertragenen Ansprache. Die Steuer auf Mehl und Brot betrage bereits ein Prozent. Doch es gibt Zweifel; in Amed (tr. Diyarbakır und anderen Städten wurden bereits neue Proteste angekündigt.