„Frauenmörder gehören nicht nach Damaskus, sondern nach Den Haag“

„Frauenmörder gehören nicht nach Damaskus, sondern nach Den Haag“ lautet der Tenor von Protesten diverser Frauenorganisationen in Nord- und Ostsyrien mit Blick auf die sogenannte Siegeskonferenz in Damaskus.

Kriegsverbrecher in Damaskus

„Frauenmörder gehören nicht nach Damaskus, sondern nach Den Haag“. So lautet der Tenor von Protesten diverser Frauenorganisationen in Nord- und Ostsyrien am Sonntag und in den zurückliegenden Tagen mit Blick auf die sogenannte Siegeskonferenz in Damaskus. Knapp zwei Monate nach dem Sturz von Baschar al-Assad ließ sich der neue Machthaber des Landes, HTS-Chef Abu Muhammad al-Dschaulani, am Mittwoch unter seinem bürgerlichen Namen Ahmed Al-Scharaa zum Übergangspräsidenten Syriens küren. Im Publikum der „Konferenz zur Verkündung des Sieges der Revolution des syrischen Volkes“ saßen ausschließlich männliche Gefolgsleute al-Scharaas: neben Ministern der Übergangsregierung die Warlords der bewaffneten Gruppierungen seiner Dschihadistenallianz HTS.

Auch berüchtigte Kriegsverbrecher traten auf der Konferenz auf. Etwa Abu Hatem Shaqra alias Ahmad Ihsan Fayyad Al-Hayes, Chef der Islamistenmiliz Ahrar al-Sharqiya. Der aus Deir ez-Zor stammende Araber wird bislang von den USA wegen Menschenhandels mit ezidischen Frauen und Kindern, die von der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) aus der Şengal-Region in Südkurdistan verschleppt wurden, sowie der Ermordung der kurdischen Politikerin Hevrîn Xelef auf einer Sanktionsliste geführt. Ebenfalls bei der „Siegeskonferenz“ war Abu Amsha, mit bürgerlichem Namen Mohammad Hussein al-Jasim. Der Anführer der Miliz Sulaiman-Schah-Brigade wurde schon vor Jahren von Menschenrechtsorganisationen in Rojava als einer der Hauptverantwortlichen für Kriegsverbrechen wie Massaker an der Zivilbevölkerung, Vergewaltigung, gewaltsames Verschwindenlassen und Beschlagnahme von Eigentum im Zuge des Angriffskrieges gegen Efrîn und die darauffolgende Besatzung des ehemaligen Kantons ausgemacht.


Der Dachverband der nordostsyrischen Frauenbewegung Kongra Star beschrieb das Bild, das sich auf der Konferenz bot, als „Warnung“ an alle, die glaubten, in Syrien würde nach dem Ende des Assad-Regimes ein dezentraler, säkularer Staat ohne Reaktionismus in der Frauenpolitik etabliert. „Die Zusammenkunft veranschaulichte auf unmissverständliche Weise eine patriarchale, islamistische, nationalistische und rassistische Mentalität, die nun in Damaskus herrscht“, erklärte Kongra-Star-Sprecherin Rîhan Loqo. Es sei bedenklich, dass sich international kein Protest rege. „Wenn als Kriegsverbrecher, Vergewaltiger und Frauenmörder von den Vereinten Nationen angeklagte Terroristen Teil einer neuen Regierung werden und sich als ‚Sieger‘ der Revolution des syrischen Volkes feiern, darf das nicht hingenommen werden. Diese Männer gehören auf die Anklagebank internationaler Gerichtshöfe, statt in Positionen in der Staatsverwaltung“, forderte Loqo. Sie repräsentierten das genaue Gegenteil von allem, wofür großartige Frauen wie Hevrîn Xelef standen und kämpften, „nämlich für Jin Jiyan Azadî“.

Das Frauenbüro der Partei PYD in Qamişlo verurteilte in einer gestern öffentlich abgegebenen Presseerklärung die Präsenz von Kriegsverbrechern in Damaskus © ANHA

Wer war Hevrîn Xelef?

Hevrîn Xelef war studierte Bauingenieurin und arbeitete nach der Rojava-Revolution 2012 in den Strukturen der Selbstverwaltung. Sie war zunächst im Energieausschuss tätig und stieß später als Ko-Vorsitzende im Wirtschaftsausschuss des Kantons Cizîrê Projekte für den ökonomischen Wohlstand der Bevölkerung an. Ihr besonderes Augenmerk lag auf den Bedürfnissen der Frauen und der Entwicklung einer Frauenökonomie. 2018 zählte sie zu den Mitbegründer:innen der von einem basisdemokratischen Initiativprinzip geleiteten Zukunftspartei Syriens („Hizbul Suri Mustakbel“) und wurde deren Generalsekretärin. Sie galt als Hoffnungsträgerin eines vielfältigen, demokratischen Landes und diplomatische Vorreiterin für Gerechtigkeit und Gleichheit aller ethnischen und religiösen Gruppen.

Vertriebene Frauen aus Efrîn forderten heute auf einer Kundgebung in Qamişlo „Kriegsverbrecher nach Den Haag“ © ANHA

Am 12. Oktober 2019 wurde Hevrîn Xelef im Zuge eines Angriffskrieges der Türkei und deren Proxytruppe SNA, der in die Besatzung der Städte Serêkaniyê (Ras al-Ain) und Girê Spî (Tall Abyad) mündete, ermordet. Die damals 34-Jährige befand sich auf dem Weg nach Qamişlo, als sie in einen Hinterhalt geriet. Söldner von Ahrar al-Sharqiya zerrten Xelef sowie ihren Fahrer aus ihrem Wagen und exekutierten beide unter laufender Kamera. Besonders die Ermordung der kurdischen Politikerin war bestialisch. Ein medizinisches Gutachten listet zahlreiche Verletzungen auf, die ihr von Abu Hatem Shaqra und seinen Dschihadisten zugefügt wurden. So wies Xelef mehrere Schusswunden am Kopf, im Gesicht und am Rücken auf und hatte Knochenbrüche im Gesicht, am Schädel und an den Beinen. Ihre Kopfhaut war teilweise abgelöst, weil man sie an den Haaren gezerrt hatte. Sie muss nach den Ergebnissen der Obduktion noch gelebt haben, als sie verstümmelt wurde. Aber auch nach ihrem Tod wurde ihr Körper geschändet.

Das belegen auch Fotos und Videos, die von Söldnern der Ahrar al-Sharqiya ins Netz gestellt wurden. An der Stelle, an der Hevrîn Xelef und ihr Fahrer ermordet wurden, hattn Abu Hatem Shaqra und seine Leute in den Tagen danach auch mehrere Kämpfer der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) hingerichtet und dies ebenfalls auf Video dokumentiert. Der Dschihadist leitete damals ein außerhalb von Aleppo betriebenes Gefängnis, wo Hunderte aus Efrîn verschleppte Zivilist:innen hingerichtet wurden. 2023 wurde bekannt, dass Abu Hatem Shaqra an einer türkischen Universität in der kurdischen Provinz Mêrdîn (tr. Mardin) einen Abschluss gemacht hat – im Fachbereich Politikwissenschaften.