„Frauenmörder werden vom Staat geschützt“

Die türkische Regierung will aus der Istanbul-Konvention gegen Gewalt an Frauen aussteigen. Die TJA-Aktivistin Zeynep Üren erklärt: „Es geht weniger um eine rechtliche Angelegenheit, sondern mehr um eine ideologische Frage.“

Während Gewalt gegen Frauen und Femizide in der Türkei täglich ansteigen, will die AKP/MHP-Regierung aus der Istanbul-Konvention zur Prävention von häuslicher und frauenfeindlicher Gewalt aussteigen. Im ganzen Land gehen Frauen dagegen seit Wochen auf die Straßen. Zeynep Üren ist Aktivistin der Frauenbewegung TJA und hat sich gegenüber ANF zu dem Thema geäußert.

Üren weist darauf hin, dass Feminizide weiterhin stattfinden können, weil die Istanbul-Konvention nicht umgesetzt wird. Statt Gewalt zu verhindern, greife der Staat die Frauenbewegung an. Jeder Angriff auf Frauen sei politisch, so Zeynep Üren: „In der Türkei werden Frauen nicht geschützt und es wird auch nicht zugelassen, dass sie sich selbst verteidigen. Frauenmörder erhalten ihre Kraft von der Regierung. Die Regierung schützt die Mörder. Die Angriffe auf Frauen dienen dem Machterhalt der Regierung. Mit neu erlassenen Gesetzen werden Frauen von Männern und vom Staat abhängig gemacht. Männer übernehmen in der Familie die Rolle des Staates, auf diese Weise ist der Staat auch im häuslichen Umfeld präsent.“

Frauen müssen sich selbst verteidigen

Die TJA-Aktivistin weist darauf hin, dass der Staat überall die Errungenschaften der Frauenbewegung angreift: „Wenn die Frauenbewegung nicht stärker wird, sind Frauen überall von Gewalt betroffen. Der Staat verfolgt eine bewusste Strategie. Gewalt gegen Frauen gibt es seit jeher. Seit Beginn der Debatte um einen Ausstieg aus der Istanbul-Konvention wird jeden Tag mindestens eine Frau ermordet. Von Gewalt betroffene Frauen werden allein gelassen.

Sexuelle Übergriffe und Vergewaltigung sind zu einer Strategie im Spezialkrieg der Regierung geworden. Gewalt an Frauen basiert auf einer staatlichen Politik. Vergewaltigung wird seit Jahren als ein Mittel der Kriegsführung benutzt. Dafür gibt es viele Beispiele in der Türkei. Zuletzt haben wir das in Şirnex und Êlih erlebt. Die Stimmen von Frauen werden täglich lauter, aber wenn es sich bei dem Täter um einen Staatsbediensteten handelt, wird er geschützt. Trägt er sogar eine Uniform, werden alle Mechanismen der Strafverfolgung ausgeschaltet. Für Frauen, die von staatlichen Kräften vergewaltigt oder misshandelt werden, gibt es keine offene Tür, an die sie sich wenden können.“

Istanbul-Konvention ist nie umgesetzt worden

Zur Debatte um den Ausstieg aus der Istanbul-Konvention erklärt Zeynep Üren: „Der Regierung geht es ja gar nicht darum, Frauen zu schützen. Sie will sowieso keine Gleichberechtigung. Frauen sollen immer von der Familie abhängig bleiben. Die Istanbul-Konvention ist bis heute nicht praktisch angewandt worden, und jetzt soll sie gänzlich abgeschafft werden. Bei dieser Konvention handelt es sich weniger um eine rechtliche Angelegenheit, sondern vielmehr um eine ideologische Frage. Regierung und Staat wollen alles niederreißen, was ihrer eigenen Ideologie im Wege steht. Eines dieser Hindernisse ist die Istanbul-Konvention.“