Nach einem Leben voller staatlicher Gewalt hat Garibe Gezer ihre letzte Ruhe gefunden. Einen Tag nach ihrem Tod in einer Einzelzelle im Hochsicherheitsgefängnis Kocaeli-Kandıra wurde die 28-jährige Kurdin am späten Freitagabend in ihrer Geburtsstadt Kerboran an der Seite ihres Bruders Bilal bestattet. Die Todesursache ist noch nicht eindeutig geklärt, da die Autopsieergebnisse noch ausstehen. Die Vollzugsleitung spricht von Selbstmord.
Kurdische Frauen stimmten das schrille Trillern (Tilîlî) an, als der Sarg von Garibe Gezer aus dem Flughafen von Mêrdîn getragen wurde. Von dort aus setzte sich ein langer Konvoi in das 120 Kilometer entfernte Kerboran in Bewegung. Die gesamte Fahrt über kam es wiederholt zu Nötigungen durch Sicherheitskräfte und unwürdigen Behandlungen bei temporären Polizeikontrollen. Als der Konvoi schließlich die Einfahrt in die Stadt passierte, säumten hunderte Menschen die Straßen und empfingen den Sarg von Garibe Gezer mit Applaus und dem Victory-Zeichen.
„Wir werden nicht weinen“ - Mehmet Emin Gezer
Der Leichnam wurde zuerst in die Seyit-Hasan-Moschee gebracht, um die muslimische Totenwaschung durchzuführen. Die vor dem Gotteshaus wartende Menge rief währenddessen immer wieder „Ey şehid xwîna te erdê namîne“, zu Deutsch: „Oh Gefallene, dein Blut bleibt nicht auf dem Boden“. Garibe Gezers Bruder Mehmet Emin Gezer, der bei der Suche nach den Mördern des anderen Bruders Bilal von polizeilichen Sondereinsatzkräften angeschossen wurde und seitdem an beiden Beinen gelähmt ist, sprach zur Menge: „Wir werden nicht weinen. Mit erhobenem Haupt werden wir aufrecht stehen. Niemand sollte auf den Gedanken kommen, dass wir unsere Leiche liegen lassen.“
Nach der Totenwaschung setzte sich eine lange Prozession in Bewegung zum Friedhof. Den Sarg von Garibe Gezer trugen ausschließlich Frauen. Begleitet wurde der Trauerzug von ohrenbetäubendem Tilîlî, das die Frauen ertönen ließen, und der Parole „Şehîd namirin“ – Die Gefallenen sind unsterblich. Sicherheitskräfte ordneten zwar an, dass nur der engste Familienkreis die Ruhestätte betreten dürfe. Doch die Menge ignorierte die Anweisung und lief zum Gebetsplatz. Auf dem Weg dorthin stimmten Freundinnen und Weggefährtinnen von Garibe Gezer das Lied „Bûka Kurdistanê“ an, es folgte die Verrichtung des Totengebets. Danach wurde die Tote in die Erde herabgelassen.
Garibe Gezers Mutter Halime sprach zu den Anwesenden: „Sie ist nicht nur meine Garibe. Sie ist eine Tochter Kurdistans.“ Anschließend sang sie ein Klagelied. Andächtig lauschten die Anwesenden dem Trauergesang, es flossen viele Tränen. Gemeinsam zogen die Menschen still und leise zum Trauerhaus, um den Angehörigen von Garibe Gezer zu kondolieren.
Wer war Garibe Gezer?
Garibe Gezer wurde im März 2016 in der Provinz Mêrdîn festgenommen. Sie war damals 23 Jahre alt und im Vorstand des Kreisverbands der DBP in Kerboran (tr. Dargeçit). Zwei Jahre zuvor wurde ihr Bruder Bilal Gezer bei den Kobanê-Protesten im Oktober 2014 von Unbekannten ermordet. Ein weiterer Bruder, Mehmet Emin Gezer, wollte bei der Polizei in Kerboran nach den Mördern fragen und wurde vor dem Gebäude von Sondereinsatzkräften angeschossen. Aufgrund der Schussverletzung sind seine Beine gelähmt. Alle neun Mitglieder der Familie wurden festgenommen, es wurden Ermittlungen gegen sie eingeleitet.
Der Haftbefehl gegen Garibe Gezer erging aufgrund eines Verfahrens gegen alle, die Kerboran nach der Ausrufung der Ausgangssperre im Dezember 2015 nicht verlassen haben. Sie wurde zu einer erschwerten lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt, die nach türkischem Strafrecht bis zum Tod vollzogen wird. Garibes Bruder Haşim Gezer wurde ein knappes Jahr später verhaftet und zu 22 Jahren verurteilt.
Garibe Gezer wurde in Einzelhaft gehalten und wehrte sich dagegen. Im Gefängnis in Kayseri zündete sie aus Protest ihre Zelle an und wurde zur Strafe nach Kandira verlegt. Dort war sie 22 Tage in einer Einzelzelle und wehrte sich erneut. Im Mai drang männliches und weibliches Wachpersonal in ihre Zelle ein. Während Gefängniswärterinnen ihre Arme festhielten, traten die Männer ihr mit Stiefeln in den Rücken. Der Gewaltakt dauerte mehrere Minuten an. Ihr wurde die Wäsche vom Leib gerissen und sie wurde halbnackt durch den Männerbereich geschleift. Anschließend wurde sie in eine vollständig isolierte, 24 Stunden am Tag kameraüberwachte ‚Gummizelle‘ gesperrt. In diesem Raum erlebte sie sexualisierte Gewalt von Seiten der Gefängniswächterinnen. Danach versuchte sie sich das Leben zu nehmen. Auf der Krankenstation wurde sie erneut misshandelt. Eine medizinische Behandlung blieb aus.