Europäisches Parlament verlangt Abschaffung von „Treuhandsystem“

Das Europäische Parlament hat die Türkei für ihr „Treuhandsystem“ verurteilt und dessen Abschaffung gefordert. Alle abgesetzten und inhaftierten Bürgermeister:innen müssten zurück in ihr Amt, fordern die Abgeordneten in einer Resolution.

Erschließung verurteilt Absetzung von Gewählten

Das Europäische Parlament hat die Türkei für ihr „Treuhandsystem“ verurteilt und dessen Abschaffung gefordert. In einer Resolution kritisierten die Abgeordneten „willkürliche Entlassungen und Inhaftierungen“ von demokratisch gewählten Bürgermeister:innen und warfen der Regierung vor, Antiterrorgesetze systematisch zu missbrauchen, um oppositionsregierte Gemeinden unter Zwangsverwaltung zu stellen. Dieses vor allem in kurdischen Provinzen angewandte Vorgehen stellte einen „eklatanten Angriff auf die elementarsten Grundsätze der lokalen Demokratie“ dar, betonten die Abgeordneten. Auch die Venedig-Kommission betrachte die Praxis der Absetzung und Ersetzung gewählter Amtsträger:innen durch ernannte Treuhänder als „Angriff auf das Wesen der lokalen Demokratie“, hieß es.

Seit der Kommunalwahl im vergangenen März hat die türkische Regierung zehn Kommunen unter staatliche Zwangsverwaltung gestellt. Acht der betroffenen Gemeinden wurden von der kurdischen DEM-Partei regiert, zwei weitere durch die republikanische Oppositionspartei CHP. In allen Fällen wurde der Schritt von Ankara mit vermeintlichen Verbindungen der Bürgermeister:innen zur Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) begründet. Ermöglicht wird das Treuhandsystem durch Gesetzesänderungen, die 2016 kurz nach dem Pseudoputsch in der Türkei durch ein Notstandsdekret eingeführt wurden.

Die meisten entlassenen Mandatsträger:innen befinden sich im Gefängnis. Unter ihnen ist auch der gewählte Bürgermeister von Colemêrg (tr. Hakkari), Mehmet Sıddık Akış, der im Juni als angebliches PKK-Mitglied zu fast 20 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde – laut der Resolution „aufgrund vager und unbegründeter Terrorismusvorwürfe“. Die Abgeordneten fordern die Freilassung des kurdischen Politikers, die Aufhebung des Urteils gegen ihn und auch seine Wiedereinsetzung als Bürgermeister. Gleiches verlangen sie auch für alle anderen abgesetzten Stadtoberhäupter. Die Resolution kritisiert darüber hinaus die Verurteilung von Abdullah Zeydan, dem Bürgermeister von Wan (Van). Offenbar bereitet die Regierung derzeit auch seine Absetzung vor.

Seit der Verurteilung des Ko-Bürgermeisters von Wan, Abdullah Zeydan (DEM) zu fast vier Jahren Haft wegen angeblicher Unterstützung der PKK am letzten Dienstag findet vor dem Rathaus der kurdischen Millionenmetropole eine Mahnwache statt, auch in der Nacht. Damit will die Bevölkerung die Einsetzung eines Zwangsverwalters verhindern © MA

Regime der Zwangsverwaltungen abschaffen

Die EU-Abgeordneten fordern Justizreformen zur Abschaffung des Treuhandsystems, das gegen demokratische Grundsätze verstoße, Millionen von Wähler:innen entrechte und durch das die Kommunalpolitik erstickt werde. Sie verlangen von der türkischen Staatsführung, ihre Politik mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EKMR) „in Einklang zu bringen“ und sich nicht länger in die Belange der Justiz einzumischen. Das beinhalte auch, alle Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vollständig umzusetzen, gerade in Fällen, in denen es um politische Gefangenschaft geht. Damit dürfte unter anderem die fortgesetzte Inhaftierung ehemaliger HDP-Abgeordneter sein, die trotz gegenteiliger Entscheidungen des EGMR weiterhin in Haft sind. Zudem fordern die Abgeordneten die EU-Kommission auf, im Rahmen des bestehenden Menschenrechtssanktionsregimes Maßnahmen gegen türkische Regierungsvertreter für die Ernennung von Zwangsverwaltern in Erwägung zu ziehen. Dies sollte auch für Regierungsbeamte gelten, die als Treuhänder in okkupierten Rathäusern sitzen.