Ermittlungen gegen JinNews-Korrespondentin Öznur Değer

Weil sie einem Polizisten wegen dessen sexueller Belästigung Konter gab, wird auf Betreiben des Gouverneurs gegen die kurdische Journalistin Öznur Değer ermittelt. Der Vorwurf lautet „Beamtenbeleidigung“.

Vorwurf der Beamtenbeleidigung

Gegen die kurdische Journalistin Öznur Değer sind in Mêrdîn (tr. Mardin) juristische Ermittlungen eingeleitet worden – auf Betreiben des Gouverneursamts. Die Behörde sehe eine Beamtenbeleidigung durch die Korrespondentin der Nachrichtenagentur JinNews als gegeben und fordert strafrechtliche Konsequenzen, hieß es am Montag in einer Mitteilung. Auf Beamtenbeleidigung stehen in der Türkei bis zu zwei Jahre Haft.

Hintergrund des Vorgehens gegen Değer ist deren Reaktion auf sexistische Bemerkungen eines türkischen Polizisten. Der Fall von sogenanntem Catcalling ereignete sich am Sonntag in der im Osten von Mêrdîn gelegenen Kreisstadt Midyad. Değer begleitete einen Beileidsbesuch von Aktivistinnen der Bewegung freier Frauen (TJA) bei der Familie der Journalistin Cihan Bilgin, die vergangene Woche zusammen mit ihrem Kollegen Nazım Daştan bei einem türkischen Drohnenangriff in Nordsyrien getötet wurde, als ein Polizeibeamter anstößige und einschüchternde verbale sexuelle Belästigungen von sich gab.

Değer konterte umgehend und wies den Polizisten in seine Schranken, außerdem bezeichnete sie ihn als „obszönen Faschisten“. Der Vorfall wurde auch von einer Kamera verfolgt, ein entsprechendes Video postete die Journalistin auf X. Değers Antwort auf die Belästigung wird nun als Beleidigung ausgelegt, möglicherweise schon bald dürfte es auch zu einer Anklage kommen. Der sexistische Polizist dagegen müsse keine Konsequenzen fürchten, kritisierte der Verein der Journalistinnen Mesopotamiens (MKG), dem auch Değer angehört. „Dadurch, dass derartiges Verhalten nicht beanstandet wird, setzt das System das Signal, dass Polizeibeamte sich sexistisch äußern dürfen – ohne jedwede Konsequenz, die Opfer dagegen aber bestraft werden. Wir akzeptieren dieses System nicht“, so der MKG.

Im Fokus juristischer Schikane: JinNews

JinNews ist eine feministische Nachrichtenagentur mit Sitz in der kurdischen Metropole Amed (Diyarbakır). Sie steht in der Tradition der weltweit ersten Frauennachrichtenagentur Jinha, die kurz nach dem Pseudoputsch im Juli 2016 in der Türkei per Notstandsdekret verboten wurde. Die gesamte Belegschaft von JinNews besteht aus Frauen – von der Chefredakteurin, über die Fahrerin bis zur Technikerin. Ihre Arbeit ist nicht leicht, da das Team von JinNews immer wieder in den Fokus der türkischen Repressionsbehörden gerät. Eine immer wiederkehrende Anschuldigung ist, dass die Agentur der kurdischen Befreiungsbewegung nahestehen würde, Mitarbeitende werden schnell zu „Terroristinnen“ abgestempelt.

Değer zu über sechs Jahren Haft verurteilt

Öznur Değer hat diese Erfahrung bereits häufig gemacht. Mehrmals saß sie im Gefängnis und wurde misshandelt. Vergangenen Juli ist Değer wegen ihrer Arbeit als Journalistin in Ankara zu mehr als sechs Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden, sieben mitangeklagte Medienschaffende erhielten dieselbe Strafe. Ihr Verteidiger Rechtsanwalt Resul Temur hatte das Verfahren als „Zensurprozess“ bezeichnet. Der Fall stünde exemplarisch für den Umgang mit Medien in der Türkei, die sich der Staatsräson nicht beugten und weigerten, Erfüllungsgehilfen der Politik der Herrschenden zu sein. Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig.