Mit dem vom Parlament der Türkei verabschiedeten Gesetzesentwurf können Personen, die Verbrechen an Frauen und Kindern verübt haben, wegen „guter Sozialprognose“ freikommen. Im ANF-Gespräch äußerte sich die Abgeordnete der Grünen Linkspartei (YSP), Beritan Güneş, über die Hintergründe und Folgen der Neuregelung. Die Abgeordnete sieht das Gesetz im Zusammenhang eines Frontalangriffs des AKP/MHP-Regimes auf Frauenrechte und kündigt parlamentarischen und sozialen Widerstand an.
„AKP-Regime entkriminalisiert de facto Gewalt an Frauen“
Güneş unterstrich, die AKP-Regierung beabsichtige, die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern zu vertiefen, anstatt sie zu beseitigen, und führte aus: „Seit es Zivilisation gibt, haben Menschen eine Vielzahl von mündlich und schriftlich verfassten Regeln, um das soziale Leben zu organisieren und Verbrechen sowie Handlungen, die Verbrechen darstellen können, zu verhindern. In der heutigen Türkei haben wir es jedoch mit einem Rechtssystem zu tun, das von diesem historischen Zweck abweicht. Das bedeutet konkret, dass Gewalt gegen Frauen für die AKP-Regierung leider nicht zu den Verbrechen gehört, die sie verhindern will. Im Gegenteil, indem sie nichts dagegen unternimmt, entkriminalisiert sie de facto diese Handlungen.
In den aktuellen Gesetzen und deren Umsetzung bleiben die Strafen für Täter von Gewalt gegen Frauen auf einem symbolischen Niveau. Dies gilt insbesondere, wenn man die Strafreduktionen wegen ‚guter Sozialprognosen‘ durch die Gerichte berücksichtigt. Das bedeutet, dass die AKP-Regierung bewusst Gewalt eskalieren lässt, anstatt sie zu verhindern. Die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern wird vorsätzlich vertieft, statt verringert, und die Diskriminierung von Frauen verstärkt, statt minimiert.“
„Frauen sollen zu Objekten gemacht werden“
Güneş sieht dies auch in den steigenden Zahlen von Gewalt gegen Frauen und Femiziden unter der Regierung der AKP bestätigt. Sie beschrieb: „Wir haben es mit dem rechtsextremsten und frauenfeindlichsten Parlament in der Geschichte der Türkei zu tun. Man darf nicht vergessen, dass das auf Frauenfeindlichkeit aufgebaute Bündnis im Parlament die Mehrheit hat. Die Mitglieder dieses Bündnisses sind sich einig in ihrer Ablehnung der Istanbul-Konvention, des Rechts auf Unterhalt, der gemischten Erziehung in Schulen, des Gesetzes Nr. 6284 und in ihrer Absicht, Frauen aus dem öffentlichen Raum zu entfernen und sie zu Hause einzusperren. Sie sehen die Frau als ein Objekt, das dem Mann zu dienen hat. All dies und die Politik der Straflosigkeit führen dazu, dass Femizide und Gewalt gegen Frauen von Tag zu Tag zunehmen.“
„Das Vollzugsgesetz widerspricht der Verfassung“
Die Abgeordnete stellte fest, dass das Vollzugsgesetz der Verfassung widerspricht, und begründete dies wie folgt: „Es widerspricht dem Gleichbehandlungsgrundsatz der Verfassung und dem dort verankerten Diskriminierungsverbot, das neue Vollzugsgesetz für Straftäter gelten zu lassen, aber politische Gefangene davon auszunehmen.
„Die Vision der AKP gleicht einem Horrorfilm“
Mit diesen und ähnlichen Regelungen versucht die AKP-Regierung, eine neue Gesellschaftsordnung zu schaffen. Sie versucht, eine Gesellschaftsordnung zu etablieren, in der die Gewalt gegen Frauen zunimmt, Frauen versklavt werden, Frauen ihre Häuser nicht mehr verlassen können, Frauen sich in der Gesellschaft nicht sicher fühlen können, ihnen ihre Rechte weggenommen und geraubt werden, und zugleich Belästigungen, Vergewaltigungen, Femizide, sexualisierte Gewalt an Kindern und Kinderehen legitimiert werden. Das neue Jahrhundert der AKP bedeutet eine Katastrophe für die Türkei. Wir können behaupten, dass die Ordnung, die sie sich wünschen, an einen Horrorfilm erinnert, aber ich muss auch sagen, dass wir niemals zulassen werden, dass dieser Horrorfilm ausgestrahlt wird."
„Der Druck auf Frauen wird weiter zunehmen“
Güneş warnte: „Es ist absehbar, dass der Druck auf die demokratischen Kräfte und die Frauen parallel zur systematischen Entlassung von Frauenmördern, übergriffigen Männern und Vergewaltigern zunehmen wird. Insbesondere die wegen Gewalt gegen Frauen inhaftierten Täter werden mit dieser Regelung in kurzer Zeit aus der Haft entlassen, und die Gefahr für Leib und Leben von Frauen wird erheblich zunehmen, insbesondere wenn die betroffenen Frauen nicht über diese Situation informiert werden. Es ist klar, dass der patriarchal-etatistische Geist versucht, eine neue Gesellschaftsordnung zu schaffen. Es steht eine Zeit bevor, in der die Gewalt gegen Frauen entkriminalisiert wird und versucht wird, Frauen vom gesellschaftlichen Leben abzuschneiden.“
„Die Frauen werden in ihrem Kampf nicht nachlassen“
Die YSP-Politikerin kündigte an, dass der Frauenrat der YSP den Kampf gegen das neue Vollzugsgesetz aufnehmen werde und schloss mit den Worten: „Wir wissen, dass wir es mit einer auf Misogynie gegründeten Koalition zu tun haben. Während es sich bei den parlamentarischen Bestandteilen dieses Bündnisses um große und kleine Parteien im Parlament handelt, wird es im gesellschaftlichen Leben von verschiedenen Sekten und Orden getragen. Sie sehen den Kampf der Frauen als das wichtigste Hindernis für das von Männern beherrschte System, das sie erschaffen und verewigen wollen, an. In diesem Punkt haben sie nicht unrecht. Wir wissen sehr wohl, womit wir es zu tun haben.
„Der Frauenwiderstand wird seine stärkste Form erreichen“
Der Widerstand der Frauen gewinnt durch die Repression und die Unterdrückung eine immer größere Notwendigkeit und Legitimität. In diesen Tagen, in denen die Organisierung der Frauen lebensnotwendig ist, kann der Frauenkampf seine stärkste Form und seine größte Breite erlangen. Damit steht eine historische Chance offen.
Daher ist es sehr wahrscheinlich, dass jedes Wort und jeder Schritt, den Frauen gegen dieses auf Femizid aufgebaute ‚neue Jahrhundert der Türkei‘, in dem versucht wird, jede Errungenschaft der Frauen zu zerschlagen, erfolgreich sein wird, weil die Kraft der Realität von der Frauen getragen wird, ihnen Stärke verleiht. Denn alle Frauen sind im Leben permanent damit konfrontiert. Es handelt sich um die Tatsache, dass Frauen nie davon abgelassen haben, auf den Straßen, auf den Plätzen, zu Hause, im Parlament und überall zu kämpfen, und dass sie das auch in Zukunft nicht unterlassen werden.“