Die Kämpfe unserer Schwestern

„Gemeinsam Kämpfen“ nimmt an der Kampagne der KJK für und mit den Frauen in Şengal und Afghanistan teil und ruft dazu auf, ihren Widerstand zu unterstützen. Femizid muss international als Verbrechen gegen die Menschlichkeit anerkannt werden.

Als „Gemeinsam Kämpfen - feministische Organisierung für Selbstbestimmung und demokratische Autonomie" nehmen wir an der Kampagne der Gemeinschaft der Frauen Kurdistans (KJK) für und mit den Frauen im Şengal und Afghanistan teil.

Die von der KJK ausgerufene Kampagne beginnt am 3. August, dem Jahrestag des Genozids und Feminizids in Şengal (Südkurdistan/Nordirak) durch den sogenannten „Islamischen Staat" (IS). Am 3. August 2014 wurde die êzîdische Gemeinschaft vor den Augen der Weltöffentlichkeit einem Feminizid und Genozid durch die Terrororganisation IS ausgesetzt. Tausende Menschen wurden ermordet. Frauen wurden vergewaltigt und entführt. 500.000 Menschen mussten ihre Heimat verlassen, um ihre Leben zu retten. Wir verstehen diese Tötungen, Zwangskonvertierungen, Versklavungen, Vergewaltigungen als Menschenrechtsverbrechen und verurteilen diese Verbrechen des patriarchalen und gewaltvollen Systems zutiefst. Die Kampagne der KJK endet wiederum am 15. August, dem Tag der Machtübernahme der radikalislamistischen Taliban in Afghanistan 2021.

Speziell in diesem Zeitraum wollen wir auf vielfältige Art und Weise auf das Schicksal und die Kämpfe der Frauen aufmerksam machen, ihren täglichen Widerstand stärken und lautstark fordern, dass Feminizide als Verbrechen gegen die Menschlichkeit anerkannt werden. Wir verstehen unsere Teilnahme an der Kampagne als Zeichen unseres gemeinsamen Kampfes für Gerechtigkeit und ein Leben in Freiheit.

Wir sehen wie die deutsche Bundesregierung zu den bis heute andauernden tagtäglichen Angriffen auf die ezidische Gemeinschaft im Şengal schweigt und tatenlos zusieht, wie der türkische Staat, die irakische Zentralregierung und die PDK (regierende nationalistisch-kurdische Partei in Basûr/Nordirak) die Selbstverwaltungsstrukturen im Şengal auf brutalste Weise attackieren. Auch wenn das mörderische Verbrechen an den Êzîd:innen nach neun Jahre langem Kampf der êzîdischen Selbstorganisierungsstrukturen in Deutschland nun am 19. Januar 2023 von der deutschen Bundesregierung als Genozid anerkannt wurde, werden keine tatsächlichen Konsequenzen daraus gezogen. Stattdessen wird geduldet, dass der türkische Staat Drohnenangriffe auf die Region fliegt und zahlreiche Menschen ermordet und das Recht auf Selbstbestimmung und Selbstverwaltung der Ezid:innen weiterhin in keiner Weise anerkannt. Dafür muss Gerechtigkeit hergestellt werden. Wir fordern die sofortige Anerkennung der autonomen Selbstverwaltung im Şengal und ein Ende der Angriffe auf die Region!

Die Kraft von Frauen im gesellschaftlichen Aufbau

Trotz dieser immensen Angriffe in Şengal 2014 fand insbesondere mit der Kraft der Frauen ein nachhaltiger gesellschaftlicher Aufbau in Anlehnung an das Paradigma des demokratischen Konföderalismus von Abdullah Öcalan statt. Der Schutz der Gesellschaft und die gesellschaftliche Selbstverteidigung ist dabei die Grundlage. In diesem Aufbau und der Verteidigung der Gesellschaft nehmen die widerständigen Frauen eine Vorreiter:innenrolle ein und sind uns mit ihrer Kraft, ihrem Mut und ihrem Kampf ein großes Vorbild!

In der Erklärung der KJK zur Kampagne heißt es: „In mehr als einem halben Jahrhundert Krieg, Verbrechen und Aggression in Afghanistan waren Frauen die größten Opfer der Politik des Imperialismus und der islamischen Fundamentalisten, aber trotz all diesen Leids haben die Frauen ihren mutigen Kampf mit lauten und entschlossenen Schritten fortgesetzt und sich von drohender Inhaftierung, Folter, Vergewaltigung, Demütigung und Beleidigung nicht einschüchtern lassen."

Die Taliban-Herrschaft in Afghanistan ist zutiefst frauen- und lebensfeindlich. Frauen wird Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit, Bewegungsfreiheit, Beteiligung am Arbeitsleben und Bildung verwehrt. Auspeitschungen und Steinigungen sind verbreitete Bestrafungen für die Übertretung der Regeln. Frauenrechtlerinnen sind auf der Todesliste der Taliban und viele wurden in den letzten Jahrzehnten gezielt ermordet. Obwohl 2001 mit der westlichen, militärischen Intervention die damalige Taliban-Regierung gestürzt und in die Illegalität gedrängt wurde, bedeutete das nicht, dass die Taliban vernichtend geschlagen oder für immer geächtet wurden. Sie waren in den 1990er Jahren u.a. mit US-Unterstützung aufgebaut und als Regierung installiert worden. Während der zwanzigjährigen westlichen Besatzung Afghanistans (2001-2021) konnten die Taliban ihre Macht und Gebietskontrolle wieder zunehmend ausweiten. Inhaftierte Taliban wurden zu tausenden ohne Gerichtsverfahren in die Freiheit entlassen. Namen führender Taliban, die Verantwortung für schwerste Menschenrechtsverbrechen tragen, wurden von UN-Gesuchtenlisten gestrichen. Mit westlicher Unterstützung konnten die Taliban 2013 ein Büro in Doha, Qatar, eröffnen und in Verhandlungen schließlich ihre zentrale Forderung nach Abzug des US-Militärs und aller ihrer Verbündeten aus Afghanistan vereinbaren. Afghanistan wurde 2021 (erneut) in die Hände der Taliban gegeben.

Die afghanischen Frauen haben niemals aufgegeben

Zu keiner Zeit hat die afghanische Gesellschaft aufgehört, Widerstand gegen Islamismus, ethnische Spaltungen, Demokratiefeindlichkeit, Frauenfeindlichkeit, Ungerechtigkeit und Menschenrechtsverbrechen zu entfalten. Die Revolutionäre Vereinigung der Frauen Afghanistans (RAWA) wurde 1977 als feministische Organisation gegründet und hat seither eine Kontinuität von Selbstorganisierung, Bildungsarbeit, politischen Stellungnahmen und vielen politisch-praktischen Interventionen. Auch mit der zweiten Taliban-Machtübernahme 2021 konnte der Widerstand der Gesellschaft, insbesondere der Frauen, nicht gebrochen werden. Im Februar 2023 äußerte RAWA: „Von den ersten Tagen an, als die pakistanischen und amerikanischen Söldner [Taliban] an die Macht kamen, waren es die afghanischen Frauen, die auf die Straßen strömten und gegen die mittelalterlichen Regeln dieser erbrochenen Elemente der Geschichte protestierten. Sie wurden grausam getötet, geschlagen und gefoltert und in Gefängnisse geworfen; sie waren tödlichem Druck und Drohungen ausgesetzt; sie standen fest vor den Kugeln der Taliban. Sie schwiegen nie und kämpften weiter für ihre Rechte auf jede erdenkliche Weise und gaben niemals auf. Sicherlich haben dieses Mal die Frauen die Führung der Revolution übernommen, und unweigerlich werden die nach Gerechtigkeit suchenden Männer sie begleiten!" RAWA begrüßt die Kampagne der KJK, appelliert an eine weltweite solidarische Einheit unter Frauen und ruft zum gemeinsamen Kampf gegen Imperialismus, Fundamentalismus und das patriarchale System auf.

Die Kämpfe unserer Schwestern

Als feministische Organisierung in Deutschland verurteilen wir die patriarchalen und brutalen Angriffe auf Frauen und Kinder, auf die Gesellschaft, die Kultur, die Geschichte, das Leben und die Freiheit in Şengal und Afghanistan zutiefst. Die Kämpfe unserer Schwestern an allen Orten der Welt zu unterstützen, heißt, uns hier in Deutschland unserer Verantwortung bewusst zu werden uns im Zentrum der kapitalistischen Moderne abseits des Staates zu organisieren. Wir wollen die Herzen der Revolution, das Feuer des Widerstands und die Kraft, die in uns allen steckt, befeuern und gemeinsam das Leben sichtbar und wirksam verteidigen!

Die Kraft der Selbstorganisierung, der Stärke und des Muts werden das Leben zum Leuchten bringen: es sind die Gesellschaft, die Frauen und Menschen aller widerständigen Geschlechter, die das freie Leben verteidigen und aufbauen.

Verschärfte Angriffe auf widerständige Bewegungen

Uns ist klar, dass die Politik der nationalistischen Staaten die Angriffe auf die widerständigen Bewegungen der Gesellschaft immer weiter zu verschärfen versucht. Wir sehen das am Beispiel des Beschlusses des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS-Reform), das einen fairen und rechtsstaatlich abgesicherten Asylprozess verunmöglicht und sowohl die schnelle Abschiebung von Menschen aus sogenannten „sicheren Staaten" als auch die Inhaftierung von Menschen, Familien und Kindern billigt. Wir sehen das am Erstarken faschistischer Gruppierungen und Parteien und wir spüren es in der tiefen Zersplitterung unserer eigenen Gesellschaften. Die staatliche Antwort ist Gewalt, Unterdrückung und Trennung. Diese sind wiederum Ergebnisse eines patriarchalen Systems, das sich strukturell gegen die Befreiung der Frau und aller widerständigen Geschlechter aufbäumt und in welchem insbesondere Feminizide zur Aufrechterhaltung der patriarchalen Herrschaft genutzt werden. Dem gegenüber steht die Kraft der Gesellschaften selbst.

Der Kampf der Frauen in Şengal und Afghanistan ist unser eigener Kampf

Um uns den Worten der KJK anzuschließen: „Wir fordern, dass Femizid offiziell als Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf internationaler Ebene anerkannt wird. Wir rufen alle Frauen auf, den gemeinsamen Kampf zu verstärken, um die Welt für Frauen lebenswerter zu machen und die Femizide zu beenden. In dem Bewusstsein, dass der gerechte und legitime Kampf der Frauen von Şengal und Afghanistan unser eigener Kampf ist, rufen wir alle Frauenorganisationen auf, sich anzuschließen und diesen Widerstand, der unter schwierigen Bedingungen geführt wird, zu unterstützen."

In diesem Sinne werden wir in den kommenden Tagen und Wochen in vielfältiger Form und an vielen Orten die Widerstände der Gesellschaften und insbesondere der Frauen Şengals und Afghanistans sichtbar machen.

Titelbild: YPJ-Kämpferin Jîn aus Kobanê/Rojava, 2017 © Joey Lawrence