„Der Vergewaltiger bist du!“: Sieben Festnahmen in Istanbul

Eine in Santiago de Chile zum 25. November aufgeführte Performance gegen Gewalt an Frauen wird weltweit adaptiert. In Istanbul wurden tanzende Frauen angegriffen, es kam zu sieben Festnahmen.

Die am 25. November anlässlich des Internationalen Tags zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen in Chile erstmalig aufgeführte Performance „Un violador en tu camino“ (Ein Vergewaltiger auf deinem Weg) wird von Frauenbewegungen weltweit übernommen. In Istanbul wurden gestern tanzende Frauen von der Polizei angegriffen. Es kam zu sieben Festnahmen, die Frauen befinden sich immer noch in Gewahrsam. Der Gouverneur von Istanbul begründete die Festnahmen mit dem Text der Performance, dieser stelle eine Straftat dar.

In dem Text werden die Strukturen angeklagt, die Gewalt an Frauen dulden, ermöglichen und selbst ausführen: Nicht die Schuld der Opfer sei es, die sich „am falschen Ort“ aufhielten oder „das Falsche trugen“, sondern die der Polizisten, der Richter, des Staats, des Präsidenten. So heißt es unter anderem: „Der Vergewaltiger warst du! Der Vergewaltiger bist du!“

Die Performance in Istanbul wurde von der Plattform Kadın Cinayetlerini Durduracağız (Wir werden Frauenmorde stoppen) organisiert. Die Plattform ist eine türkische Frauenrechtsorganisation, die Gewalt gegen Frauen erfasst und sich zur Aufgabe gemacht hat, öffentlich über Feminizide aufzuklären und diese zu verhindern.

Feministischer Wutschrei aus Lateinamerika

Bei der Performance aus Chile handelt es sich um einen feministischen Wutschrei gegen patriarchale Gewalt, der Frauen in Lateinamerika auf extreme Weise ausgesetzt sind. Nirgendwo sonst auf der Welt werden mehr Frauen gezielt getötet, meist ohne nennenswerte Konsequenzen für den Täter. Vergewaltigungen in Chile bedeuten nur in acht Prozent der angezeigten Fälle eine Verurteilung der Täter, kritisieren die Frauen von Lastesis. In Mexiko-Stadt registrierten die Behörden von Januar bis Oktober 2019 150 Morde an Frauen und 527 Vergewaltigungen. Letztes Jahr im März wurde eine Stadträtin von Rio de Janeiro, Marielle Franco, Menschenrechtsaktivistin und Leiterin des Frauenausschusses im Stadtparlament, in ihrem Wagen erschossen.

Türkei: Täter werden von patriarchaler Justiz gedeckt

In der Türkei sind in diesem Jahr bereits über 300 Frauen ermordet worden. Frauenorganisationen werfen dem Staat mangelnde Vorkehrungen und Täterschutz vor. Die HDP-Vorsitzende Pervin Buldan erklärte anlässlich des Tags gegen Gewalt an Frauen im November: „Geschlechtergleichheit, soziale Gerechtigkeit, Transparenz, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gehören nicht zu den Zielen der Regierungskoalition aus AKP und MHP. Die Regierung produziert und nährt Gewalt in allen Bereichen des Lebens. 2016 wurden 304 Frauen in der Türkei ermordet, 2017 waren es 353, 2018 280 und in diesem Jahr sind bisher 299 Frauen ermordet worden. Diese Frauen sind nicht bei Erdbeben, Unfällen oder im Krieg ums Leben gekommen. Sie wurden auf offener Straße oder in ihren Wohnungen getötet. Das geschieht in aller Öffentlichkeit und in Kenntnis des Staates, der Polizei, der Justiz, der Politik und des Parlaments. In der Türkei ignoriert die Justiz Übergriffe, Vergewaltigungen und Gewalt an Frauen. Sie schützt die Täter. Handelt es sich bei dem Täter auch noch um einen Polizisten, Armeeangehörigen oder Paramilitär, hat er die Staatsmacht im Rücken, trägt eine staatliche Waffe und sieht sich im Recht, Verbrechen gegen Frauen zu verüben. Er weiß, dass er straffrei ausgeht, weil er von der patriarchalen Justiz gedeckt wird.“