Seit Oktober 2016 sitzt Gültan Kışanak, ehemalige Oberbürgermeisterin der nordkurdischen Provinzhauptstadt Amed (Diyarbakir), in türkischer Geiselhaft. Im gleichen Ermittlungsverfahren wurde einen Monat später auch die Ko-Vorsitzende der Partei der Demokratischen Regionen (DBP), Sebahat Tuncel, inhaftiert. Am 1. Februar, fast zweieinhalb Jahre nach der Inhaftierung, wurde am zwölften Verhandlungstag im Prozess gegen die beiden kurdischen Politikerinnen das Urteil gesprochen. Wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und „Terrorpropaganda“ erhielt Gültan Kışanak eine Haftstrafe von 14 Jahren und drei Monaten, Sebahat Tuncel von 15 Jahren.
Kışanak als 19-Jährige gefoltert
Bevor Gültan Kışanak Oberbürgermeisterin von Amed wurde, war die Journalistin Abgeordnete der Partei des Friedens und der Demokratie (BDP) und deren Ko-Vorsitzende. Im Jahr 1980 wurde sie nach dem Militärputsch vom 12. September als 19-Jährige festgenommen und im berüchtigten Kerker von Amed, der „Hölle Nr. 5“ gefoltert. Unter anderem wurde sie für zwei Monate in die Hütte des Hundes des leitenden Gefängnis-Offiziers Esat Oktay Yıldıran eingesperrt, weil sie nicht aufstand, als er in die Zelle kam. Insgesamt blieb Gültan Kışanak damals rund zwei Jahre im Gefängnis.
Appéré: Wir stehen Kışanak bei
Die Bürgermeisterin der französischen Stadt Rennes, Nathalie Appéré, hat Gültan Kışanak, einen Brief geschrieben. Die Politikerin der sozialistischen Parti socialiste (PS) war wie Kışanak über mehrere Jahre Parlamentsabgeordnete, bevor sie Bürgermeisterin wurde. In ihrem Brief, den sie einer Wahlbeobachtungsdelegation des bretonisch-kurdischen Freundschaftsvereins überreichte, schreibt Appéré: „Im Februar erhielt ich die bittere Nachricht, dass Sie zu einer langen Haftstrafe verurteilt wurden. Sie sollten wissen, dass Sie hier in Rennes sehr viele Freundinnen und Freunde haben, die Ihnen beistehen.“
Nathalie Appéré und Gültan Kışanak im Dezember 2015 in Rennes bei der Unterzeichnung eines Protokolls zur Förderung des ezidischen Flüchtlingslagers Fidanlik.
Lesungen in Rennes aus Kışanak-Buch
In ihrem Brief teilt Nathalie Appéré Gültan Kışanak mit, dass in Rennes mit Unterstützung der Stadtverwaltung bereits etliche Veranstaltungen für die kurdische Politikerin stattgefunden haben. Dazu gehörten auch mehrere Lesungen aus dem Buch „Die Farbe Lila in der kurdischen Politik“, das Kışanak mit Unterstützung ihrer Mitgefangenen im Gefängnis von Kandıra verfasst hat und von den Erfahrungen kurdischer Politikerinnen handelt, die sich in türkischen Haftanstalten befinden. Die Texte darin zeugen von dem entschlossenen Kampf kurdischer Frauen gegen das patriarchale Herrschaftssystem in der Politik. Zu den Autorinnen des von Gültan Kışanak zusammengestellten Buches gehören Aysel Tuğluk, Burcu Çelik Özkan, Çağlar Demirel, Diba Keskin, Dilek Hatipoğlu, Edibe Şahin, Evin Keve, Fatma Doğan, Figen Yüksekdağ, Gülser Yıldırım, Leyla Güven, Nurhayat Altun, Sara Kaya, Sadiye Süer Baran, Sebahat Tuncel, Selma Irmak, Servin Karakoç, Yıldız Çetin, Zeynep Han Bingöl, Zeynep Sipçik und Mukaddes Kubilay.
„Trage Hoffnung, dass Ihr Buch ins Französische übersetzt wird“
Nathalie Appéré äußert in ihrem Brief den Wunsch, dass „Die Farbe Lila in der kurdischen Politik“ in der nächsten Zeit ins Französische übersetzt wird. Die Politikerin schreibt außerdem, dass die PS in regelmäßigen Abständen Anfragen an das französische Parlament zur Situation der hungerstreikenden politischen Gefangenen in der Türkei stelle. In dieser Hinsicht bestehe auch ein ständiger Kontakt zu französischen und europäischen Institutionen.