Seit Oktober 2016 sitzt Gültan Kışanak, die ehemalige Ko-Bürgermeisterin von Amed (Diyarbakir), in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr „Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation“ vor und fordert bis zu 230 Jahre Haft für die 57-Jährige. Aus dem Hochsicherheitsgefängnis von Kocaeli ließ Kışanak über ihre Anwält*innen mitteilen, dass sie in Solidarität mit Leyla Güven in einen zehntägigen Hungerstreik getreten ist. Die Politikerin sagt: „Wenn Krieg und Tod die Stimme des Friedens ersticken, dürfen wir nicht schweigen“.
Bevor Gültan Kışanak Bürgermeisterin der Stadt Amed wurde, war sie Abgeordnete der Partei des Friedens und der Demokratie (BDP) im türkischen Parlament und Ko-Vorsitzende der BDP. Im Jahr 1980 wurde sie nach dem Militärputsch vom 12. September als 19-Jährige festgenommen und im berüchtigten Kerker von Amed, der „Hölle Nr. 5“ gefoltert. So wurde sie für zwei Monate in die Hütte des Hundes des leitenden Gefängnis-Offiziers Esat Oktay Yıldıran eingesperrt, weil sie nicht aufstand, als er in die Zelle kam. Insgesamt blieb Gültan Kışanak damals rund zwei Jahre im Gefängnis.
Wir alle tragen die Verantwortung dafür, die Isolation Öcalans zu durchbrechen
In einer Botschaft zur Aufnahme ihres Hungerstreiks schreibt die Politikerin: „Damit die Isolation gegen Abdullah Öcalan aufgehoben wird, trete auch ich ab heute in einen befristeten Hungerstreik. Ich unterstütze damit den von unserer Abgeordneten Leyla Güven initiierten Protest und glaube, dass wir alle die Verantwortung dafür tragen, die Isolation Öcalans zu durchbrechen. Die auf Imrali praktizierte erschwerte Isolation ist ein Verstoß gegen grundlegende Menschenrechte. Es handelt sich um einen schwerwiegenden Gesetzesverstoß, den kein Staat mit dem Streben, demokratischer Rechtsstaat zu sein, begehen darf. Darüber hinaus wissen wir aus der Vergangenheit um die wichtige Rolle Abdullah Öcalans hinsichtlich des gesellschaftlichen Friedens. Daher wird das Ende der Isolation der Beginn eines neuen Prozesses sein, der den Weg für den Frieden ebnen wird.
Wenn Krieg und Tod die Stimme des Friedens ersticken, dürfen wir nicht schweigen
Ich lade die demokratische Öffentlichkeit ein, die an das Gewissen der Gesellschaft appellierenden Hungerstreiks zu verstehen und zu unterstützen. Damit die Türkei nicht noch tiefer in den vom Imperialismus angezettelten und im Mittleren Osten inszenierten Sog des Dritten Weltkriegs gerät, brauchen wir eine Stimme des Friedens. Um der Stimme des gesunden Menschenverstandes, des Friedens und des Dialogs Gehör zu verschaffen, muss die Isolation auf Imrali beendet werden. Wenn Krieg und Tod die Stimme des Friedens ersticken, dürfen wir nicht schweigen. Ich bin überzeugt, dass wir dies schaffen können“.
Leyla Güven seit 41 Tagen im Hungerstreik
Die Politikerin Leyla Güven befindet sich bereits seit dem 7. November in einem unbefristeten Hungerstreik, da sie ebenfalls die Aufhebung der Isolation des auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali inhaftierten PKK-Gründers Abdullah Öcalan fordert. Güvens Aktion löste eine große Solidaritätswelle aus. Überall auf der Welt beteiligen sich in zahlreichen Städten unzählige Menschen an ihrem Protest. In den türkischen Gefängnissen laufen seit dem 27. November Hungerstreiks, die gruppenweise im Wechsel durchgeführt werden. In einer Erklärung der PKK- und PAJK-Gefangenen vom Samstag wurde ein unbefristeter Hungerstreik ab dem 16. Dezember angekündigt. Vorerst beteiligen sich dreißig Gefangene aus verschiedenen Haftanstalten an der Aktion. Vor wenigen Tagen erklärte auch die 87-jährige britische Menschenrechtsanwältin und Aktivistin Margaret Owen, in Solidarität mit Leyla Güven und Abdullah Öcalan einen Hungerstreik zu beginnen. In Straßburg sind gestern weitere 15 Personen in einen unbefristeten Hungerstreik getreten. Dort wurde der Protest gegen die Isolation auf Imrali mit einer Kundgebung vor dem Sitz des Europarats eingeleitet.