Abgesetzte Bürgermeisterin als „Terroristin“ verurteilt

Die 2019 zur Ko-Bürgermeisterin von Bismîl gewählte und noch im selben Jahr vom türkischen Innenministerium abgesetzte kurdische Politikerin Gülşen Özer ist in Amed als vermeintliche „Terroristin“ zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt worden.

Die kurdische Politikerin Gülşen Özer ist von der türkischen Justiz zu einer fünfzehnjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Das von einem Strafgericht in Amed (tr. Diyarbakır) am Montag verhängte Urteil gegen Özer setzt sich auf Grundlage einer Prozessverbindung aus zwei Strafen in Höhe von jeweils siebeneinhalb Jahren wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer „terroristischen“ Vereinigung zusammen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Gülşen Özer war bei der türkischen Kommunalwahl im März 2019 zur Ko-Bürgermeisterin der kurdischen Kreisstadt Bismîl gewählt worden. Ihre Partei, die HDP, hatte bei der Abstimmung damals 65 Kommunen haushoch gewonnen. Wenige Monate später leitete das Innenministerium unter dem Label „Operation“ eine Serie von Amtsenthebungen ein und setzte demokratisch gewählte Stadtoberhäupter ab.

Insgesamt wurden 48 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister unter vage formulierten Terrorvorwürfen abgesetzt, die meisten von ihnen in der Folge inhaftiert. An ihrer Stelle wurden Regierungsbeamte wie Gouverneure und Landräte in die Rathäuser gehievt. In sechs Kommunen hatten die Gewählten der HDP ihr Amt gar nicht erst antreten können, weil der Wahlausschuss ihnen die Anerkennung verweigerte. An ihrer Stelle wurden trotz Wahlniederlage die AKP-Kandidaten zu Bürgermeistern. Die HDP bezeichnete das staatliche Vorgehen damals als Putsch gegen die kurdische Kommunalpolitik.

Gülşen Özer 2019

Die Absetzung von Gülşen Özer, die bis zu ihrer Wahl zur Bürgermeisterin den Provinzverband der HDP in Amed genderparitätisch mitleitete, erfolgte im Oktober 2019. Bald darauf wurde bereits der erste Prozess gegen sie eingeleitet, 2022 folgte ein weiterer und schließlich die Zusammenlegung beider Verfahren. Verurteilt wurde Özer wegen der Teilnahme an 39 Kundgebungen, Presseerklärungen und Demonstrationen zu verschiedenen Anlässen in den Jahren zwischen 2016 und 2018 – etwa von der kurdischen Frauenbewegung TJA zum Frauenkampftag oder dem Tag gegen patriarchale Gewalt organisierte Versammlungen und Proteste gegen die antikurdische Kriegspolitik des türkischen Staates.

Justiz behandelt HDP und TJA als „Terrorstrukturen“

Persönlich im Gerichtssaal anwesend war Özer nicht. Sie ließ sich von Rechtsanwalt Serhat Karaşin verteidigen. Der Jurist wies die Vorwürfe gegen seine Mandantin zurück und erklärte, dass es sich bei den von der Anklage kriminalisierten Aktivitäten um „legales politisches Engagement“ gehandelt habe. Zudem würden sich die Vorwürfe gegen Özer auf ihre Tätigkeiten als HDP-Vorsitzende von Amed beziehen. Die Staatsanwaltschaft werte die Beteiligung der Politikerin an politischen Veranstaltungen laut Karaşin zu Unrecht als „Beweis dafür, Aufrufen der Terrororganisation“ – gemeint ist die kurdische Arbeiterpartei PKK – „Folge geleistet“ zu haben. Darüber hinaus unterstelle die Anklage den Tatsachen zuwider, dass es sich bei der HDP und TJA um „Handlanger der sogenannten Terrororganisation“ handele. „Beide Parteien bzw. Bewegungen sind legal, auch wenn gegen die HDP derzeit ein Verbotsverfahren anhängig ist“, betonte der Anwalt.

Strafe wegen Demonstration gegen Gewalt an Frauen

Das Gericht zeigte sich unbeeindruckt von der Argumentation der Verteidigung, blieb mit dem Urteil gegen Özer jedoch unter dem von der Staatsanwaltschaft geforderten Strafmaß von dreißig Jahren Haft. Serhat Karaşin kündigte noch im Gerichtssaal an, in Berufung zu gehen. Seine Mandantin ist eine von 450 Personen, denen im Zusammenhang mit dem Verbotsverfahren gegen die HDP ein Politikverbot droht. Vergangenes Jahr befand sich Gülşen Özer etwa drei Monate in Untersuchungshaft. Grund dafür war eine Demonstration gegen Gewalt an Frauen im November 2021, an der sie in Amed als TJA-Aktivistin teilgenommen hatte. Bei der Veranstaltung anlässlich des Kampftages gegen patriarchale Gewalt war es zu Auseinandersetzungen gekommen, als die türkische Polizei den Aufzug stoppen wollte. Diese Veranstaltung gehörte ebenfalls zu den Anklagepunkten.