Der Frauenverband Kongreya Star appelliert an UN Women, sich für einen Rückzug der Türkei aus Syrien einzusetzen und einen Untersuchungsausschuss zur Feststellung der vom türkischen Staat in Nordostsyrien begangenen Kriegsverbrechen zu gründen. Um weitere Angriffe der Türkei zu verhindern und eine Rückkehr der Vertriebenen in die besetzten Gebiete zu ermöglichen, ruft der Verband zur Zusammenarbeit auf.
UN Women ist die Einheit der Vereinten Nationen, die sich für die Gleichstellung der Geschlechter und die Stärkung von Frauen und Mädchen einsetzt. 2010 wurden im Zuge eines Beschlusses der UN-Generalversammlung vier separate mit der Gleichstellung der Geschlechter beauftragte UN-Einheiten unter dem Dach von UN Women zusammengefasst. Ursprung dieses Auftrags ist die allgemeine Erklärung der Menschenrechte und insbesondere das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW).
Kongreya Star bezieht sich in ihrem Appell an UN Women auf den 25. November als internationalen Tag für die Beendigung von Gewalt gegen Frauen: „Überall auf der Welt organisieren sich Frauen an diesem Tag und verurteilen alle Formen von Gewalt, die Frauen in ihrem Leben erleiden, und machen auf dieses Thema aufmerksam. Als Frauen in Nord- und Ostsyrien sind wir besorgt über die Situation von Frauen in dieser Region, die sich in einem kontinuierlichen Kriegszustand befindet (ob militärisch, ökonomisch, ökologisch oder psychologisch). Daher schreiben wir Ihnen anlässlich des internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen diesen Brief.“
Prügel, Folter, Jungfräulichkeitstests, Vergewaltigung
Weiter heißt es in dem Schreiben von Kongreya Star:
„Die Region ist weiterhin von Invasions-Kriegen des türkischen Staates bedroht und wird kontinuierlich angegriffen. Die Bewohner:innen der Region haben seit Jahren gegen den türkischen Staat und dschihadistische Milizen Widerstand geleistet. Die Instabilität und die andauernden Angriffe führen zu einem schmerzhaften Einschnitt in das Leben von Frauen und Kindern und verschlechtern die Menschenrechtssituation in der Region. Dies konnten wir während der Besatzung von Efrîn, Girê Spî, Serêkaniyê und zuletzt während der Drohnenattacken auf Kobanê, Qamişlo und die Region Hesekê sehen.
Die Türkei und ihre dschihadistischen Milizen verletzen kontinuierlich internationales und humanitäres Recht. Sie rauben, plündern, vandalieren, zerstören Häuser, entführen, foltern und führen Festnahmen außerhalb geltenden Rechts durch. Gleichzeitig benutzen sie auch chemische Waffen und begehen brutale Verbrechen. Dies alles prägt das alltägliche Leben in den besetzten Gebieten für die Zivilbevölkerung. Frauen werden verhaftet, entführt und in die Gefängnisse der Türkei geschickt, wo sich alle Formen von Gewalt häufen: Prügel, Folter, ,Jungfräulichkeitstests', Vergewaltigung oder die Veröffentlichung von Fotos und Videos, welche zeigen, wie sie missbraucht worden sind. In den besetzten Gebieten werden Frauen Opfer von Mordanschlägen oder sie werden unter Druck gesetzt, bis sie selbst keinen Ausweg mehr sehen und Selbstmord begehen.
Çiçek Kobanê, Hevrîn Xelef und Tote durch Killerdrohnen
In Nord- und Ostsyrien sind Frauen auch das Ziel der Angriffe des türkischen Staates. Im Oktober 2019 wurde Çiçek Kobanê, eine syrische Staatsbürgerin und Kämpferin der Frauenverteidigungseinheiten YPJ, durch dschihadistische Milizen entführt und in die Türkei transportiert. Sie wurde von einem türkischen Strafgericht zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Am 12. Oktober 2019, während der türkischen Invasion in Nordostsyrien, wurde die Generalsekretärin der Syrischen Zukunftspartei, Hevrîn Xelef, von der seitens der Türkei unterstützten Miliz Ahrar al-Sharqiya brutal auf der Straße ermordet. Am 13. Oktober 2019 wurden unser Mitglied Aqide Osman und 14 weitere Zivilist:innen von türkischen Kampfflugzeugen bombardiert, während sie an einem zivilen Hilfskonvoi auf dem Weg nach Serêkaniyê teilnahmen, um gegen die Invasion zu protestieren. Am 23. Juni 2020 wurden drei Mitglieder von Kongreya Star, Hebûn Mele Xelil, Emîna Waysî und Zerha Berkel, durch einen Drohnenangriff im Dorf Helince bei Kobanê ermordet. Am 19. August 2021 wurde Sosin Mihemed, ein Mitglied des Militärrates der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD), von einer türkischen Drohne getötet. Dies sind nur einige Beispiele.
Die Welt kann sich nicht unwissend stellen
Die konstanten Angriffe und die Bedrohung beeinflussen stark das Leben der Bevölkerung und bringen Frauen in große Gefahr. Außer den dschihadistischen Milizen sind auch IS-Zellen weiterhin aktiv. Die Welt war von den schlimmen Vergehen gegenüber Frauen schockiert, welche der IS verübte, aber sie schweigt, während Frauen in den besetzten Gebieten sexualisierte Übergriffe, Gewalt, Folter, Entführung und Mord erfahren. Die Welt kann sich nicht unwissend stellen. Viele Berichte, Artikel und Aufrufe beschreiben die Situation, welche die dunkelsten Perioden, die Frauen unter der Herrschaft des IS erleben mussten, widerspiegelt.
Alle Frauenorganisationen, die für die Befreiung von Frauen und der gesamten Gesellschaft kämpfen, arbeiten das ganze Jahr und geben ihre gesamte Energie, um Frauen vor Gewalt zu beschützen und eine Gesellschaft aufzubauen, in der alle unabhängig von Alter, Geschlecht, Ethnie, Religion oder Behinderung in Frieden und Sicherheit leben können. Unsere Verbindung zu diesem Kampf wird nie enden, aber um unsere Arbeit zu tun, müssen der Krieg und die Besatzung beendet werden.
Druck auf die internationale Gemeinschaft aufbauen
Wir wenden uns an die Vereinten Nationen, deren Hauptrolle es ist, international Frieden und Sicherheit zu stärken, in dem sie effektive gemeinsame Maßnahmen zur Vorbeugung und Beseitigung von Gefahren gegen den Frieden ergreifen, Angriffe unterbinden und Brücken für den Frieden bauen. In diesem Zusammenhang ist die Unterstützung von Frauen essenziell und aus diesem Grund rufen wir die UN dazu die, die internationale Gemeinschaft unter Druck zu setzen, um
- weiteren barbarischen Angriffen und Feindlichkeiten seitens der Türkei vorzubeugen und das geschlossene Waffenstillstandsabkommen zu schützen
- eine Untersuchungskommission zu bilden und diese nach Nordostsyrien zu schicken, um die Verbrechen des türkischen Staates und der ihm verbundenen Gruppen zu untersuchen
- zu verlangen, dass der türkische Staat unverzüglich seine Besatzung und Interventionen in Nord- und Ostsyrien beendet
- eine sichere Rückkehr der Geflüchteten in ihre Heimat entsprechend des internationalen Rechts zu gewährleisten.“