„Wo die Hoffnung aufhört, beginnt der Eigensinn“

In Istanbul ist die Freilassung der hungerstreikenden Rechtsanwält*innen Ebru Timtik und Aytaç Ünsal gefordert worden. Die Musikerin Pınar Aydınlar erklärte: „Wenn unsere Hoffnung erschöpft ist, setzt unser Eigensinn ein.“

In Istanbul hat erneut eine Mahnwache für die hungerstreikenden Rechtsanwält*innen Ebru Timtik und Aytaç Ünsal stattgefunden. Die heutige Aktion vor dem Sadi-Konuk Krankenhaus in Bakirköy wurde von den Künstler*innen Pınar Aydınlar, Ayla Yılmaz, Serhad Raşa, Abbas Şahin, Avni Sağlam und der Gruppe Isyan Ateşi unterstützt.

Die Teilnehmenden trugen Fotos von Timtik und Ünsal und ein Transparent mit der Aufschrift „Gerechtigkeit herstellen, Ebru und Aytaç sollen leben!“.

Die Musikerin Pınar Aydınlar sagte in einer Rede: „Wir sind heute hier, weil wir nicht zwei weitere Menschen verlieren wollen. Wir alle sind Zeugen des ehrenvollen Widerstandes von Ebru und Aytaç. Als revolutionäre Künstlerinnen und Künstler, die nach Yılmaz Güney kommen, erklären wir, dass wir uns niemandem beugen. Wo unsere Hoffnung erschöpft ist, setzt unser Eigensinn ein. Und genau das ist es, was auch Ebru und Aytaç tun. Sie kämpfen gegen Unrecht und für ein faires Gerichtsverfahren. Ihr Widerstand richtet sich auch gegen das Unrecht, das Selahattin Demirtaş widerfährt. Sie leisten Widerstand für die Minenarbeiter von Soma, für die Unterdrückung der Arbeiterklasse und für die Mutter, die seit Tagen in Kurdistan für ihre von einem Unteroffizier vergewaltigte Tochter kämpft.“

Die Forderung der Hungerstreikenden sei gerechtfertigt und erfüllbar, sagte Pınar Aydınlar. Die Musikerin erinnerte an den Kampf der Grup-Yorum-Mitglieder Ibrahim Gökçek und Helin Bölek, die im Hungerstreik gegen ihr Auftrittsverbot ums Leben gekommen sind. „Wir sind nicht die Künstlerinnen und Künstler der Paläste und der Herrschenden. Wir sind Teil des Kampfes der Anwälte des Volkes, der Werktätigen, der hungerstreikenden Gefangenen. Wir wollen den Tod nicht, wir gehören zu denen, die sich bis zum Tod für das Leben einsetzen. Es ist unser aller Aufgabe, Ebru und Aytaç eine Stimme zu verleihen“, so Pınar Aydınlar.

Die Mahnwache wurde mit dem Lied „Bella Ciao“ beendet.

Hungerstreik für Gerechtigkeit

Ebru Timtik und Aytaç Ünsal sind seit Monaten im Hungerstreik und werden trotz gerichtsmedizinisch festgestellter Haftunfähigkeit nicht aus dem Strafvollzug entlassen. Auch eine Beschwerde beim türkischen Verfassungsgerichtshof in Ankara blieb zuletzt erfolglos. Die beiden Jurist*innen, die derzeit gegen ihren Willen in verschiedenen Krankenhäusern in Istanbul unter Beobachtung stehen, müssen weiter in Haft bleiben.

Ebru Timtik und Aytaç Ünsal sind Rechtsanwält*innen der linken Vereinigung „Rechtsbüro des Volkes“ („Halkın Hukuk Bürosu“) und waren im Februar gemeinsam mit weiteren inhaftierten Kolleg*innen in den Hungerstreik getreten, den sie am 5. April – dem „Tag des Anwalts” – in ein „Todesfasten” umgewandelt hatten. Die Jurist*innen waren im Komplex der Verfahren gegen vermeintliche Angehörige der DHKP-C aufgrund von widersprüchlichen Aussagen eines Kronzeugen zu langjährigen Haftstrafen nach Terrorparagrafen verurteilt worden. Mit ihrer Aktion fordern sie ein gerechtes Verfahren.