Exhumierung von IS-Opfern
Wie irakische Behörden angaben, wurde mit der Öffnung eines weiteren Massengrabes in Şengal begonnen. Ersten Angaben zufolge handelt es sich bei den Leichen vermutlich um schiitische Opfer aus der ezidisch geprägten Region im Norden des Irak, die vom selbsternannten „Islamischen Staat“ (IS) getötet wurden.
Etliche Opfer noch nicht identifiziert
Je nach Zählung wurden bisher mehr als 94 Massengräber in Şengal gefunden. Von diesen wurde gestern das 54. geöffnet. Erst kürzlich wurde in der Gemeinde Tilbenat ein weiteres Massengrab ausfindig gemacht, in dem die Knochen vieler Menschen in einem Wassertank vorgefunden wurden.
Insgesamt wurden bereits Tausende Knochen gefunden, doch nur einige von ihnen wurden identifiziert und ihren Angehörigen übergeben. Andere Überreste von IS-Opfern befinden sich im forensischen Krankenhaus von Bagdad. Da die DNA-Tests derzeit unvollständig sind, konnten die Identitäten noch nicht festgestellt werden.
Forderungen bleiben unbeachtet
Die ezidische Gemeinschaft und vor allem die Institutionen des Gremiums Demokratischer Autonomierat Şengals (MXDŞ) forderten die verantwortlichen Stellen mehrfach auf, sofort mit der Exhumierung der identifizierten Gräber zu beginnen und das Schicksal der vermissten Menschen zu klären. Doch bisher hat die irakische Regierung diesen Forderungen kein Gehör geschenkt, kritisiert der MXDŞ.
Tausende werden noch immer vermisst
Nach Schätzungen der Vereinten Nationen (UN) hat der IS mehr als 200 Massengräber im Irak hinterlassen, in denen sich bis zu 12.000 Leichen befinden könnten. Bei einem Großteil der Opfer handelt es sich um Ezid:innen aus Şengal. Dort hatte die Terrororganisation im August 2014 einen Genozid und Feminizid verübt und etwa 10.000 Menschen ermordet. Über das Schicksal von 2.594 Ezid:innen fehlt laut Angaben der Free Yezidi Foundation mit Stand vom Dezember 2024 noch immer jegliche Information.
Arbeit des UN-Ermittlungsteams
Das vom UN-Sicherheitsrat 2017 eingesetzte UN-Ermittlungsteam UNITAD hat sich in den vergangenen Jahren intensiv der Aufarbeitung der Verbrechen des IS an der ezidischen Gemeinschaft gewidmet. Seine Tätigkeiten umfassten Aufgaben von forensischer Arbeit, inklusive der Exhumierungen im Nordirak, bis hin zur Untersuchung der Finanzströme der Terrororganisation.
Hoffnung auf echte Gerechtigkeit erstickt
Das Mandat von UNITAD lief auf Wunsch der irakischen Regierung im September 2024 aus. Als Grund gab Bagdad an, mit der Zusammenarbeit mit der Untersuchungsmission unzufrieden zu sein, insbesondere, weil Ermittlungsergebnisse an Drittstaaten, jedoch nicht an den Irak übergeben würden. Vertreter:innen der ezidischen Gemeinschaft und anderer Minderheiten kritisieren diese Entscheidung, handelt es sich doch bei UNITAD bislang um den einzigen (zwischen-)staatlichen Mechanismus zur rechtlichen Aufarbeitung.
Zahlreiche Organisationen kritisieren Entscheidung scharf
Fünfzig Organisationen, darunter die ezidische Hilfsorganisation Yazda, äußerten vor dem Auslaufen der Mission ihre Besorgnis zur Einstellung der UN-Ermittlungen: „Viele Überlebende und die unterzeichnenden Organisationen sehen in UNITAD die einzige Hoffnung auf echte Gerechtigkeit im Irak. Würde die Arbeit der Organisation so abrupt eingestellt, während noch kein einziges IS-Mitglied im Irak wegen schwerer Völkerrechtsverbrechen (Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen) vor Gericht gestellt wurde, wäre dies eine Katastrophe für die Überlebenden, den Irak und die internationale Gemeinschaft. Es würde das Signal aussenden, dass Gerechtigkeit keine wirkliche Priorität hat, dass das Vertrauen der Überlebenden umsonst aufgebaut wurde und dass ihre Zeugenaussagen und ständigen Forderungen nach Gerechtigkeit vergebens waren.“